Am letzten Wochenende habe ich erstmals eine geeiste koreanische Gurkensuppe zubereitet. Gurke, Wasser, Algen, Chili und etwas Reisessig kamen hinein. Bevor ich sie ins Tiefkühlfach zum Abkühlen stellte, schmeckte ich ab: oh. Das soll etwas werden?
Wer ein unbekanntes Rezept nachkocht, kennt dieses nagende Misstrauen. Es bewegt sich zwischen der Sorge vor einem Totalflop und der Hoffnung auf einen Volltreffer. Beides tritt immer wieder ein. Und dieser Aufwand! Warum mutet man sich das eigentlich zu?
Als ich anfing, Rezepte 1:1 nachzukochen war ich auf der Suche nach einem anderen Geschmack als meinem. Damals war mein Repertoire übersichtlich und vor allem mediterran geprägt. Alle Tage damit zu bespielen, erschien mir zunehmend langweilig. Ich wollte andere kulinarische Handschriften und Küchen schmecken und dafür nicht immer ins Restaurant gehen. Dabei wollte ich nicht bloß adaptieren, sondern hundertprozentig neue Geschmackserlebnisse.
Es geht um mehr als Neues und Fremdes
Am Anfang war es geradezu ein Akt, fremde Rezepte komplett nachzukochen – vor allem ohne am Ende doch bei einer eigenen Interpretation zu landen. Und das lag weniger am Abarbeiten der Zutatenliste und an der praktischen Kocherei, sondern auch am Kopf, stellte ich fest. Fremden Anweisungen penibel zu folgen und das eigene Wissen außen vor zu lassen, erfordert Disziplin. Die Verführung ist groß, heimlich selber Hand an zu legen und zu „verbessern“. (Davon ausgenommen sind natürlich Rezeptfehler, die zu umschiffen sind.) Besonders die asiatische Küche mit ihren Zuckermengen für herzhafte Gerichte hat mich anfänglich immer wieder Augen-zu-und-durch-Überwindungen gekostet.
Was aber am Anfang aufwendig war, wurde zügig Routine. Ich kann da nur jeden ermutigen. Es ist auch eingetreten, was ich erhofft hatte – wir essen sehr abwechslungsreich. Inzwischen ist es eher ein Problem, Lieblingsgerichte wieder auf den Tisch zu bringen.
Aber abgesehen von einem aufregenden Speiseplan, ist da noch etwas, warum es aus meiner Sicht lohnt Rezepte nachzukochen. Es ist der Spaß an der kulinarischen Erkenntnis. Es kann eine Jagd werden.
Denn was passiert eigentlich wirklich beim Rezeptenachkochen?
Sie beginnt immer gleich. Beim ersten Lesen eines Rezepts entsteht eine grobe Idee, wie das Gericht munden könnte. Dafür werden Erfahrungswerte aktiviert, das kulinarische Gedächtnis durchforstet und Kombinationen fantasievoll probiert. Ja, das kling vielversprechend, ja, das könnte der Clou sein, hm, weiß nicht, interessant. Aber manchmal ist es auch eine Blackbox, seien wir ehrlich. Ich bin immer wieder erstaunt, wie bedingt sich Geschmack antizipieren lässt.
Beim Kochen wird die Idee des Rezepts dann endlich greifbar: Die Zutaten zeigen sich zusammen, es beginnt hier und da zu duften. Und schließlich rückt der „Moment of Truth“ näher. Schmeckt’s und vor allem wie? Wenn ich das erste Mal ein neues Gericht esse, dann ist das ein Moment voller Präsenz: die Sinne sind super-anwesend und sammeln fleissig alle Details ein. Ach! So! Es ist ein Moment des Lernens und Vergnügens. Die innere kulinarische Landkarte ist größer geworden. Man hat etwas Neues probiert und Zweifel hinter sich gelassen. Das fühlt sich einfach super an. Sogar die Flops fallen weich. Meistens taugen sie zu Anekdoten, die immerhin Lacher ernten, wenn schon kein Lob.
Als ich am Sonntag dann die Eiswürfel – wie vom Rezept verlangt – auf die Suppenschälchen verteilte und diese mit der abkühlten Gurkensuppe auffüllte, keimte Hoffnung. Sie war immerhin hübsch anzusehen. Aber nicht nur das. In großer Runde stellten wir fest: Sie schmeckte subtil und tat richtig gut in der Hitze. Dabei bestand sie gefühlt aus Nichts. Essig und Gurken für die Frische, Algen für Subtilität, Chilischärfe für den Nachhall. Aber erst die Kälte und Eiswürfel zauberten daraus diesen Hit an Sommersüppchen.
PS: Das Suppenrezept stammt übriegens aus dem Kochbuch von Jordan Bourke: So kocht Korea.
Veröffentlicht im August 2019
Klasse Text, Katharina! „Fremden Anweisungen penibel zu folgen und das eigene Wissen außen vor zu lassen, erfordert Disziplin.“ Die aufzubringen fordert Respekt und Ruhe. Im Alltag oft schwer. Aber lohnend! Ein Hoch auf gute Kochbücher, die den eigenen Horizont erweitern … schöne woche! regina
Merci!!
Ich habe erst jetzt den Text entdeckt und er spricht mir aus der Seele! Es ist so schwer, sich an ein Rezept genau zu halten aber beim Essen im besten Fall überraschend und genussvoll. Ein befreundeter Koch meinte: wenn du wirklich wissen willst, was wir Köche uns bei der Entwicklung des Rezept gedacht haben, musst du es genauso nachkochen. Sonst verpasst du was. Ich versuche, daran zu denken. Kulinarische Grüße Nina
Liebe Nina, das ist ein toller Satz. Ja, das kann ich gut nachempfinden, dass er das aus seiner Perspektive sagt. Er hat sich dabei etwas gedacht.
Ich muss meine inneren Köchin immer wieder sagen: Still! Herzlichst 🙌🏽
Mitten ins Herz, Katharina! So, genau so und nicht anders ist es! Vor allem, weil man sich durchs geduldige Nachkochen Ideen und Techniken aneignet, die das eigene Freestylen eklatant verbessern (und einen besser unterscheiden lassen, was ein Rezeptfehler ist und was nicht)…
Sehr herzlich zum Wochenende: Charlotte
Danke, Charlotte! 🙂