Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Butterweiches Weißbrot, saftige Plunder und, natürlich: Piroggen. Aber wenn man ehrlich ist: So richtig viel Kulinarisches ist bei mir nicht hängen geblieben vom Jugendorchesterbesuch in Polen. Gut: Die Prioritäten waren damals andere (Auftritt: Mantel des Schweigens) – trotzdem: Wonach ich hätte suchen müssen – ich hätte es nicht gewusst.
Dass ich damit offenbar nicht alleine bin und das Land, mit dem wir 449 Kilometer Bundesgrenze teilen, nicht nur für mich ein ziemlich weißer Fleck auf der kulinarischen Landkarte ist, ahnt, wer Zuza Zaks Kochbuchpremiere „Polska“ aufschlägt.
Polen? Mehr als Piroggen und Kartoffeln mit Fleisch!
Zuza, eine Enddreißigerin mit großer Brille und breitem Lachen (Foto links), nervt das ziemlich. Als Achtjährige aus dem damals noch kommunistischen Polen nach Großbritannien verpflanzt, blickt sie immer wieder in fragende Gesichter, wenn es um die (Ess-)Kultur ihrer Heimat geht – und das, obwohl die polnische Community auf der Insel nicht eben klein ist.
Verschenktes Potenzial, wie sie findet, weshalb sie ihren Erstling auch in Sachen Hintergrundwissen üppig ausgestattet hat. Bevor sie sich auf Seite 18 langsam typischen Zutaten nähert und sechs Seiten später ein erstes Frühstück serviert, gibt es: polnische Geschichte, polnische Geografie, Polens Klima im Jahresverlauf.
Dass das nicht zur Klitschko’sch „schwääären“ Kost wird (by the way: Blinis gibt’s bei Zuza auch!), liegt an dem liebevollen, fast ein bisschen verklärten Blick, den sie auf ihr Geburtsland wirft. Wenn man ihr lesend folgt, dann klingt dieses Polen nach lauen Sommerabenden auf der Datscha, gemütlichen Wintern am Ofen, endlosen Streifzügen durch Wälder voller Pilze im Herbst und luftig-leichtem Frühling.
Traditionsverwurzelt und offen für Neues
Und: Es schmeckt so! Zuzas Küche? Ist bodenständig und unkompliziert: Du findest partout keinen twaróg, diesen besonderen polnischen Frischkäse? Nimm Ricotta! Dein Piroggen-Teig ist trotz akkuratem Abwiegen zu fest oder zu weich? Mach’s wie die polnische Hausfrau und verlass dich beim Justieren aufs Gefühl. Keine Lust auf den ganzen Aufwand für einen einzigen Brandteig? Die Vanille-Kardamom-Karpatka verträgt sich auch prima mit Blätterteig aus dem Tiefkühlfach (heißt dann bloß Napoleonka).
Wenn Zuza bei ihren Rezeptrecherchen im Verwandten- und Bekanntenkreis eines gelernt hat, dann ist das: Es gibt viele ultimative Rezepte für ein einziges Traditionsgericht – und das, was einem selbst am besten schmeckt (oder zur aktuellen Vorratslage passt), sticht.
Viele der im Buch zusammengetragenen Essen von Frühstück bis Kuchentafel, Cocktail bis Fisch wurden also peu à peu an ihre eigenen Vorlieben angepasst: Putenfleisch statt Hühnchen in der Tomatensuppe ihrer Mama, Krebsfleisch für den „russisch“ genannten Salat, Himbeeren oder Stachelbeeren für einen Nachtisch namens Kisiel.
Entdecke die polnische Hausfrau in dir!
Ich habe es beim Nachkochen ähnlich gehalten: Auch wenn ich Zuzas polnischen Lebkuchen gern einmal kosten würde, habe ich für die Lachswürfel in Lebkuchenpanade doch erst mal den genommen, den es als Gastgeschenk auf einer Hochzeit gab. Beim ersten Piroggen-Versuch war hinterher einiges an Teig übrig – weshalb ich beim zweiten Mal gleich entsprechendes Augenmaß walten ließ. Weizenkeime hatte ich beim Roggenbrotbacken gerade nicht zur Hand – geschmeckt hat es uns auch ohne.
Überhaupt, der Geschmack: Am eindrucksvollsten waren die Frühlingspiroggen mit Spinat, gerösteter Buchweizengrütze, Feta, Zitrone, Muskat und weißem Pfeffer und besagte Lachs-Lebkuchenwürfel: ungewöhnlich, aber trotzdem unheimlich spannend und stimmig.
Ein Eindruck übrigens, der sich auch in der Gestaltung wiederfindet mit Holly MacDonlads verspielten Illustrationen mit Anklängen an traditionelle Muster und Laura Edwards unprätentiöser Food-Fotografie.
Ich hatte damals wirklich keine Ahnung: Mit der bei Zuza Zak geschulten Zunge allerdings wird dieser weiße Fleck Polen ruckzuck auch kulinarisch zur Must-Destination und ich ahne, wieso sie das Piroggen-und-Kartoffeln-mit-Fleisch-Vorurteil gegenüber der Küche ihrer Vorfahren nicht so stehen lassen kann. Voilà – ihr Antidot in Kochbuchform wirkt!
Veröffentlicht im Oktober 2017