Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Meine erste Begegnung mit peruanischem Essen hatte ich vergangenen Sommer. Ich arbeitete mich durch Gastón Acurios ‚PERU‘, jagte peruanischen Chilies hinterher, trank meinen ersten Pisco Sour und aß meine erste Ceviche. Hammer. Umwerfend. Eiskalt, sehr sauer und sehr scharf. Dazu geröstete Cancha-Maiskörner. Genau das Richtige mitten im glühheißen Sommer in Berlin. Kurz danach besuchte ich in London das Ceviche von Martin Morales und das Sterne-Restaurant LIMA von Virgilio Martinez, beide im Stadtteil Soho gelegen. Nachdem Morales und Acurio vorgelegt hatten, ist jetzt endlich auch das Kochbuch von Martinez erschienen.
Das LIMA-Buch sieht toll aus, und auf den ersten Blick ist genau das drin, was mir bei der Peru-Bibel von Acurio fehlte: eine kleine Übersicht über die wichtigsten Zutaten, die wichtigsten Chili-Sorten und Kräuter der peruanischen Küche in Wort und Bild – und wie man sie zur Not ersetzen kann. Die peruanische Küche ist nämlich derart vielfältig, dass man leicht erschlagen ist und womöglich gar keinen Einstieg findet. Außerdem sind viele der Zutaten, die den speziellen peruanischen Geschmack hervorzaubern, hierzulande schwer aufzutreiben, selbst in Metropolen wie Berlin oder London. Martinez bietet mit seiner Auswahl ganz bewusst einen ersten Einstieg. Was mir besonders gut gefällt: dass er seine Leser nicht bevormundet, sondern zur kulinarischen Kreativität animiert.
Das kulinarische Erbe Perus
In der Einleitung erzählt Martinez von seiner kulinarischen Herkunft, und wie bei so vielen Köchen steckt die Großmutter hinter seiner Liebe fürs Essen und Kochen. Was er nicht erwähnt: er war mal passionierter Skateboarder, zum Koch wurde er erst durch zwei Unfälle. Erst brach er sich das Schlüsselbein, dann die Schulter, da war’s genug. Architektur hätte ihn auch gereizt, doch er wollte viel reisen. Jetzt klettert er in den Anden umher auf der Suche nach Kräutern und Knollen und jettet um die Welt, um die peruanische Küche bekannt zu machen. Neben seinen beiden Restaurants in London (Lima Fitzrovia und Lima Floral) betreibt er noch das ‚Central‘ in Lima, außerdem hat er in Peru zusammen mit seiner Schwester die ‚Mater Iniciativa‘ gegründet, ein kulinarisches Forschungszentrum, das sich der Erforschung, (Wieder-)Entdeckung und Bewahrung traditioneller peruanischer Zutaten widmet.
Nach der Einführung gibt es Kapitel zu ‚Drinks & Snacks‘, ‚Salads & Side Dishes‘ (Salate und Beilagen), ‚Tiger Milks, Chilli Pastes & Sauces‘; ‚Ceviches, Tiraditos & Causas‘; ‚Vegetarian Main Courses‘ (Vegetarische Hauptgerichte); ‚Fish & Meat‘ (Fisch und Fleisch); ‚Home Baking & Desserts‘ (Gebäck für zuhause und Nachspeisen); ergänzend gibt es noch ‚Glossary & Ressources‘ (Glossar und Bezugsquellen) und einen Index.
Das Buch ist sehr hochwertig und robust gestaltet, mit seinen 224 Seiten bringt es ein ganzes Kilogramm auf die Waage. Innen ist es komplett und sagenhaft schön bebildert, man bekommt große Lust, alles sofort zu probieren. Sofort fällt auf: Virgilio Martinez verwendet gerne frische Blüten. Im Rezept steht dann zwar, dass sie optional sind, aber eigentlich sind es die Blüten, die den Unterschied ausmachen und zum Beispiel die bäuerliche Melange aus Kartoffelstampf, Rosenkohl und Buschbohnen in ein Kunstwerk verwandeln.

Das Geheimnis – und die Arbeit – steckt in der Marinade
Auf den ersten Blick wirken besonders die ‚kalten Rezepte‘ sehr einfach. Doch Vorsicht. Hier steckt das Geheimnis – wie so oft – in der Marinade. Und die eigentliche Arbeit. Bis man die ganzen Pasten und Marinaden, die Tigermilch etc. zubereitet hat, gehen mitunter Stunden ins Land. Meist lohnt sich der Aufwand, bei den Chilipasten jedoch kann man getrost zum Glas greifen oder mit tiefgefrorenen peruanischen Chilis arbeiten, die man mit ein wenig Öl kurz vor Gebrauch püriert (Kerne und Zwischenhäute vorher entfernen!). Voilà . Es schadet durchaus nicht, wenn die Schoten noch halbgefroren sind, das erleichtert die Arbeit sogar und gerade bei Ceviche sollte sowieso alles ganz kalt sein. Doch ich bin Martinez dankbar, dass er eine genaue Anleitung dafür liefert, wie man mit den trockenen Schoten umgeht.
Abgesehen von ein paar kleinen Unstimmigkeiten bei den Mengenangaben und fehlenden Hinweisen darauf, welche Beilagen und Soßen zu den jeweiligen Gerichten passen (bei den Dips wird z.T. auf das passende Gericht verwiesen, umgekehrt fehlt der wichtige Tipp), ist alles ganz wunderbar austariert und zuverlässig. Hilfreich wären noch Angaben zum jeweiligen Zeitaufwand inkl. Ruhezeiten (Einweich-/ und oder Kühlzeiten) gewesen.
Und noch eine praktische Anmerkung: Wer sich in das kulinarische Abenteuer Peru stürzen möchte, sollte unbedingt einen Blender/Mixer oder zumindest einen tüchtigen Pürierstab besitzen. Häufig werden ganze Eiswürfel reingemixt, die sollte man – falls man seinen Pürierstab noch eine Weile behalten möchte – vorab mit einem schweren, stumpfen Gegenstand zerkleinern. Für die meisten Desserts braucht man außerdem eine Eismaschine.
Insgesamt bietet LIMA einen hervorragenden Einstieg in die moderne peruanische Küche und zugleich einen Einblick in die traditionellen Techniken und Rezepte. Das macht Lust auf mehr und inspiriert zu eigenen Kreationen. Ein tolles Buch für alle, die eine der aufregendsten Küchen der Gegenwart kennenlernen möchten.
Veröffentlicht im Juli 2016