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Katharina Höhnk

Kochbuch von Vicky Bennison: Pasta Tradizionale ★★★★

Pasta Tradizionale – Die Originalrezepte
aus ganz Italien: Das geheime Wissen
der „Pasta Grannies“
Vicky Bennison
Fotos: Emma Lee
Edition Michael Fischer (2020)

Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.

Charlotte Schrimpff

Von

Sie kennen die Pasta Grannies? Italienische Hausfrauen von mindestens 65 Jahren, denen man via YouTube dabei zusehen kann, wie sie sich durch Italiens Pastaspezialitäten kochen? Falls nicht: Dank einer Britin gibt es die Damen inzwischen auch als Buch.

Vicky Bennison, das Mastermind behind the scenes, kam zu ihren „Nonne“ bzw. „Grannies“ wie die Jungfrau zum Kind. Als sie eines Sommers eine italienische Familie von Kirschweinproduzenten für ein Interview besuchte, fand sie sich später an deren Esstisch wieder, wo Maria, die Nonna des Hauses, auftischte: Antipasti vorweg, im Anschluss ricottagefüllte Ravioli in einer Sauce aus frischen Tomaten, Olivenöl und Basilikum und als secondo geschmorten Kaninchenbraten. Bennison war hin und weg: nicht nur von der Einfachheit der Zubereitung, die jede Zutat im idealen Zustand und Zusammenspiel vereinte – sondern vor allem von der Bescheidenheit einer Köchin, die partout nicht dazu zu bewegen war, sich mit an den Tisch zu setzen und Applaus entgegenzunehmen. Ist doch wirklich keine große Sache, oder? Bennison, die mit ihrem Mann seit 15 Jahren zeitweise selbst ein kleines Häuschen in den Marken bewohnt, lernte zweierlei: Erstens, welchen Stellenwert Pasta in Italien wirklich einnimmt – und zweitens, wie eng der mit der jeweiligen Großmutter verknüpft ist.

Zum Weiterlesen

Website & Instagram der Pasta Grannies

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Leider ein Punkt mit Ablaufdatum, denn auch die italienische Gesellschaft hat sich inzwischen derart gewandelt, dass die Tradition, nach der die Mütter ihre kulinarischen Tricks und Kniffe an die Töchter (selten: Söhne) weiterreichen, abzureißen droht – einfach, weil junge Frauen zwischen Job, Kindern und Haushalt keine Zeit mehr finden für geduldiges Kneten und Rollen und Formen von Nudeln.

Eine Arche Noah für Nudeln

Für Bennison ein Horroszenario: Zusammen mit einem Kameramann und einer Türöffnerin („Granny Finder“) machte sie sich darum auf, eine Arche Noah der italienischen Pastakultur anzulegen. Das Trio reist seit 2014 quer über den Stiefel und hat inzwischen an die 300 Nonne in ihren Küchen gefilmt – nachdem man hat feststellen müssen, dass keine noch so elaborierte Textform genügt, die mitunter hochkomplexen Bewegungsabläufe abzubilden. Allerdings: Ganz ohne geht es auch nicht. Bennisons unaufgeregten, hochsympathischen YouTube-Videos haben zwar einen (offenbar sehr zeitgeistigen) Nerv getroffen und sind zu einem kleinen YouTube-Hit avanciert; mit dem Erfolg wurde jedoch auch der Ruf nach einem Rezeptbuch laut.

Kochbuch von Vicky Bennison: Pasta Tradizionale

Dass Buch und Video-Archiv idealiter Hand in Hand gehen, merke ich beim Nachkochen schnell: Marias „Raschiatelli“ etwa – kleine Hartweizennudeln, die man mit dem Druck der Fingerspitzen zu Röllchen formt – gelangen mir erst, als ich den zugehörigen Clip zurate zog. An manch anderer Stelle war es ebenfalls hilfreich zu sehen, wie dünn der Teig ausgewallt werden sollte, wie fest oder wie groß die einzelnen Stücke anzufertigen sind. Obwohl sich Bennison wirklich Mühe gegeben hat, die großmütterlichen „So-nach-Gefühl“-Angaben zu vermessen, bin ich ohne den visuellen Support manchmal gestrauchelt.

Hommage an alle Nonne dieser Erde

Dabei wird auch im Buch mit Bildern nicht gegeizt: Fotografin Emma Lee fängt nicht nur viel Atmosphäre ein – sonnengebräunte, altersfleckige Hände auf mehlschlierigen Pastabrettern, ein sympathisches Potpourri aus Schürzen, Tischtüchern und Tellern längst vergangener Moden, verwachsene Gemüsegärten, tiefstehende Sonnen – sondern auch manchen Zubereitungsschritt.

Jedes Gericht wird vom Porträt jener Frau flankiert, aus deren Küche es stammt. So blättert man durch Landstriche und Orte, von denen man nie auch nur gehört hat, erfährt viel zur Geschichte Italiens und den Verhältnissen, in denen Menschen lebten und leben, man lernt Pastasorten kennen, die kein noch so sortiertes Delikatessengeschäft führt, und platziert Post-it um Post-it um Post-it. Übrigens: Fertigpasta war lange nur ein Ding derer, die es sich leisten konnten. Das, was heute als Luxus schlechthin gilt – echte, handgemachte Nudeln – galt als Arme-Leute-Essen.

1001 Tomatensaucen

Die Rezepturen – verteilt auf acht Großkapitel (Nüsse und Kräuter, Gemüse, Hülsenfrüchte, Kartoffeln und Gnocchi, Meeresfrüchte, Fleisch, Pasta in brodo und Ravioli und Tortelli) – sind in der Regel recht simpel, setzen auf schlichte, aber hochwertige Zutaten wie reifes Gemüse, frische Kräuter, gutes Olivenöl und, freilich, Muße. Dummerweise sind genau das die Dinge, die man mitunter nicht einfach so bekommt. Weil die Landschaft fehlt, die im Original in die Zutaten eingewachsen ist, die routinierte Selbstverständlichkeit, die in jedem Handgriff steckt – und das Gefühl, bei Oma am Küchentisch zu sitzen und nichts anderes tun zu müssen, als sich „verwöhnen“ zu lassen (so nannte meine das). Nur, dass am Ende keiner traurig ist, dass so eine Pasta im Selbstversuch zwar schmeckt – aber eben nur fast ganz so gut wie direkt von Nonna.

Pasta tradizionale ist ein Many-in-one: Ein Kennst-Du-das-Land-Sehnsuchtsbuch, ein schier endloser Fundus an Traditionsrezepten und eine Hommage an jede einzelne Nonna (und sogar den einen oder anderen Nonno). Hier geht der Schatz Kulturerbe vor Akribie – für manche dürfte das Wie und Warum noch genauer sein.

Veröffentlicht im Dezember 2020

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