Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
Im Fernsehen würde es piepen. Lang und durchdringend – die Frequenz und Varietät der … nennen wir sie: Kraftausdrücke in Thug Kitchen ist nämlich ansehnlich. Genau genommen sind sie Programm, denn „thug“ bedeutet „Gangster“, sämtliche Konnotationen inklusive.
Eine dieser Konnotationen ist seit 2012 ein veganes Foodblog aus Kalifornien, der schon 2013 vom Saveur-Magazin zum „food blog of the year“ gekrönt wurde und im Jahr darauf den ersten Kochbuch-Deal in der Tasche hatte; Titel: „Eat like you give a f*ck“.
Peep Show – aber bitte mit Sternchen!
„Einfach. Vegan. Geiler Scheiß“ heißt die freie Übertragung ins Deutsche, die angesichts des deutlich direkteren Thug-Kitchen-Stils Schlimmstes befürchten lässt: Übervorsichtige Übersetzungen werden schließlich ganz schnell ganz peinlich. Dolmetscher Martin Rometsch allerdings war nicht zimperlich und hat einen Stil kreiert, der ein bisschen an Jamie-Oliver-Synchronisierungen erinnert (der ist laut Buchrücken übrigens Fan der Thug Kitchen), aber das flapsige Original erkennen lässt. Vor allem in kulinarischen Fragen ist die redaktionelle Leistung vorbildlich: die amerikanischen Imperialmaße wurden säuberlich in Gramm und Milliliter umgerechnet; bei Zutaten, die nicht überall erhältlich sind, Alternativen recherchiert. Thumbs up!
Nutzerfreundlichkeit ist ohnehin eins der erklärten Ziele der beiden Autoren „MD“ und „MH“, über deren Identität lange gerätselt wurde (einen Aufschrei inklusive, als Michelle Davis und Matt Holloway von Epicurious als weißes Mittelklassen-Paar aus Los Angeles enttarnt wurden, das sich auf „Thug Kitchen“ ungeniert der „schwarzen“ Straßensprache bedient). Sie sind fest davon überzeugt, dass sich mit guten Anleitungen auch kulinarische Faultiere an den Herd zurückfinden, Parole „wenn schon Fast Food, dann selbstgemacht“. Fleisch spielt dabei keine Rolle – und in der Regel vermisst man das in ihren Interpretationen moderner kalifornischer Klassiker wie Tacos, Enchiladas und Asia-Salaten auch nicht.
Noch weniger vermisst man den veganen Kochbüchern sonst eigenen Sermon aus Superfood und Tierleid – ein Storytelling, das seine Berechtigung haben mag, bei nicht ganz so geneigten Geistern aber sicher eher in Trotzreaktionen mündet als im Kaufimpuls. Und das genau ist der Punkt: Um statt eines Schwungs Tiefkühlpizzen ein Kochbuch in den Einkaufskorb zu werfen und den festen Willen, es auch zu benutzen, gleich daneben, braucht es andere Reizworte als „Gesundheit“ und „Umwelt“. „Geschmack“ und vielleicht auch ein gewisser Coolness-Faktor sind die vermutlich viel entscheidenderen Argumente.
Erst kommt das Fressen, dann die Moral
Die Moral – iss besser, dann gehts dir besser – kommt bei Davis und Holloway zwar auch zur Sprache, aber eben in einer, die – sonst wäre die Empörung ob der tatsächlichen Herkunft der beiden nicht so groß gewesen – sehr deutlich wird: „Wann zum Teufel sind wir unter den Fluch des Mikrowellenpopcorns geraten? Schmeiß das Zeug weg!“ Bäm!
Genauso ehrlich ist die Optik: Wenn für eine Brühe Gemüseabschnitte im Tiefkühlfach aufbewahrt und später ausgekocht werden sollen, sieht man auf dem Foto: Zwiebel-, Möhren- und andere Schalen in Wasser. Nachteil: Nicht alle Rezepte sind bebildert, und die, die ohne auskommen müssen, übersieht man im sonst eher schlichten Layout schnell – Stichwort Zitrone-Minze-Quinoa und Ananasguacomole. Vorteil: Man muss kein Foodstylist sein, um die Essen genauso auf den Tisch zu bringen.
Alles alltagstauglich
Dazu braucht es auch sonst nicht viel: Von den leidigen veganen Geschmackszusätzen Nährhefe und Liquid Smoke einmal abgesehen, reicht für die Thug Kitchen eine solide Grundausstattung an Gewürzen, Equipment und Zeit. Vom Frühstück bis zum Fernsehsnack ist an alle Situationen gedacht, in denen Hunger und Arbeitsscheu zusammenfallen könnten, 115 Rezepte schaffen Abhilfe.
Auf Aroma-Überraschungen darf man unter diesen Voraussetzungen freilich nicht hoffen (Ausnahme: die gebackenen Bohnen mit Apfel!), aber ausgerechnet Raffinesse haben sich die beiden Thugs ja auch nicht auf die Fahnen geschrieben.
Wem die grünen Besseresser auf den Keks gehen und Jamie Oliver inzwischen ein bisschen zu gesetzt ist, könnte mit Mr. und Mrs. Thug Kitchen glücklich werden: Die fleischlose kalifornische Küche der beiden ist eine echte Ausnahme in der derzeitigen veganen Kochbuchflut.
Veröffentlicht im Dezember 2016