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Katharina Höhnk

Kochbuch von Thomas Vilgis: Kochen für Angeber ★★★★★

Kochen für Angeber – Die besten Tricks der Spitzenköche, Thomas Vilgis, Fotos Jörg Lehmann, Stiftung Warentest (2014)

Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.

Annick Payne

Von

„Ein Angeber ist ein sehr edler Mensch, der um die wahren Werte weiß. Er hat begriffen, dass die Grundlage eines durchdachten Wertesystems Egoismus und Bewunderung durch andere ist. Daher ist sein ganzes Handeln auf Imponierverhalten […] ausgerichtet. Er prahlt gerne mit seinen Erfolgen und seinen besonderen Eigenschaften. Ihm ist es äußerst wichtig, im Mittelpunkt zu stehen. Ein Angeber zelebriert und inszeniert sich selbst als den großen Star. Er macht jede Situation zu einer Show. Er umgibt sich gern mit Statussymbolen aller Art. Ein guter Angeber hat eine große Virtuosität darin entwickelt, seine eigenen Eigenschaften immer als die wahren und anstrebenswertesten Eigenschaften darzustellen, selbst wenn sie auf den ersten Blick nicht dazu taugen.“ (Quelle: hwww.stupidedia.org/stupi/Angeber)

Wer Thomas Vilgis in das Abenteuer “Kochen für Angeber” folgt, wird sich allerdings mit dem zweiten Platz zufrieden geben müssen, denn es steht – wenigstens im Buch – die Kreation, nicht der Koch im Mittelpunkt. Beifall und Bewunderung, das können erst die eigenen Gäste spenden.

Küchengeräte = kein Ferrariniveau

Auch die Statussymbole sind vergleichsweise bescheiden, außergewöhnliche Zutaten und/oder Küchengeräte, die nicht in jedem Haushalt vorhanden sind, muss man sich zwar für die meisten Rezepte besorgen, doch finanziell wird kein Ferrariniveau erreicht.

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Was und wie kocht also der moderne Angeber? Er bemüht sich natürlich um Exklusivität, die v.a. aus der zwar bekannten, doch im häuslichen Bereich keineswegs weit verbreiteten Molekularküche kommen. Gleichzeitig geht es dem Autor (links), seines Zeichens Professor für Theoretische Physik in Mainz, mehrfacher Kochbuchautor und Herausgeber des journal culinaire, darum, durch neue Rezepturen Wissen zu schaffen.

Weiterbildung zum Hobby-Spitzenkoch

Der Autor bietet dem Leser 52 Rezepte an, die Tricks der Spitzenköche illustrieren und kreativ umsetzen, und die mit ausführlichen Erläuterungen punkten, damit sich der Laie autodidaktisch zum Hobby-Spitzenkoch weiterbilden kann.

Die große Stärke des Bandes liegt darin, dem Leser die Angst vor fremden Zutaten und Geräten zu nehmen. Denn Vilgis erläutert, an welcher Stelle die klassischen Methoden an ihre Grenzen stoßen, und wie avantgardistische Mittel die etablierten Grenzen überwinden können. Sehr interessant ist bereits die Einleitung des Bandes, die u.a. verschiedene Aspekte des Geschmacks und der Präsentation beleuchtet.

Nahtlos schließen sich die Rezepte an, die typischerweise über jeweils zwei Doppelseiten inszeniert werden: 1. Foto als Anrichtungsvorschlag, mit erläuternder Beschriftung, welche Funktion das jeweilige Element übernimmt. 2. Text, der ausführlich vorstellt, um welchen Effekt bzw. Trick es sich handelt, wie dieser funktioniert, welche Gerätschaften benötigt werden. 3. Rezept.

Wer sich vom Bild verführen lässt und nach der textlastigen Erläuterung weiterhin inspiriert ist, darf sich über eine knappe, präzise Anleitung freuen. Hilfe auf fremdem Terrain bietet ein Glossar zu Fachwörtern, Zusatzstoffen und Geräten.

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Überraschung statt Bedienung traditioneller Erwartungen

Gekocht werden beispielsweise Fake-Kaviar oder feste Suppenwürfel, es wird Umamiessenz hergestellt und nach Cappuccino-Art serviert. Vielfach geht es um ein Spiel mit Zubereitungsarten wie Garen bei Niedrigtemperatur oder hauseigener Milchsäuregärung. Dann wieder treffen Kochkunst und bildende Kunst aufeinander, wenn Essen als Skulptur oder Gemälde inszeniert wird.

Bei aller Diversität der 52 hier vereinten Effekte gibt es doch einen gemeinsamen Nenner: es soll überrascht und verwirrt, traditionelle Erwartungen aufgebrochen werden. So wird der Spieß umgedreht und der Cocktail nicht on sondern in the Rocks serviert, also in einer großen Eiskugel. Oder es werden die Geschmacksnerven gereizt, mit Paprika-Chili-Eis, Pfefferkäse, Senfmayonaise, dazu Chorizo-Couscous und “Kalte Erde”, Krümel aus Grieß, Olivenpaste und Minze. Untertitel dieses Tricks: Heiß, kalt, brennend, stechend. Au oder wow?

„Kochen für Angeber“ ist ein Band, in den Freunde fundierter Texte genüsslich eintauchen können. Aufgetaucht wird erst wieder, wenn der letzte Zaubertrick verstanden ist. Man muss kein Hobbychemiker oder -physiker sein, um an diesem Buch seine Freude zu haben, aber man muss den Tricks der Spitzenköche mit einer gehörigen Portion Neugier begegnen, dann lohnt die Lektüre, selbst wenn man den Band als Lese- statt Kochbuch (miss)braucht. Vielleicht können wir abschließend eine neue Definition wagen: beim Kochen löscht der Angeber zuerst den Wissensdurst, bevor er den Hunger meisterhaft austrickst.

Veröffentlicht im November 2015

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