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Katharina Höhnk

Kochbuch von Thomas Vilgis: Der Gastronaut ★★★★★

Der Gastronaut – Erkundungen
eines kochenden Physikers
Thomas Vilgis
Fotos: Joerg Lehmann
Stiftung Warentest (2018)

Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.

Dietmar Adam

Von

Thomas A. Vilgis ist in seiner Kombination als Naturwissenschaftler und Feinschmecker schon lange kein Unbekannter mehr. Auch bei Valentinas konnte er mit „Aroma“ und „Kochen für Angeber“ begeistern. Nun will er als „Gastronaut“ zu kulinarischen Höhenflügen aufbrechen. Begeben wir uns also mit an Bord.

Schon beim Inhaltsverzeichnis wird mir klar, dass der Autor (Foto uten) eher ohne festes Ziel unterwegs ist, schließlich ist das kulinarische Universum unermesslich und mit einer gehörigen Portion Entdeckergeist gelangt man in ganz unterschiedliche Galaxien. Daher ein kurzer Überblick, wohin die Reise geht: zunächst zum angesagten Thema Fermentation, dann in die fünf Geschmackskontinente, es folgen überraschende Texturexperimente, dann ein Gang durch die saisonale Küche. Verschiedene Methoden der Zubereitung werden untersucht inklusive Räuchern und Rösten, bevor der Gastronaut zu seiner schwäbischen Basisstation zurückkehrt und es sich bei Spätzle mit Soß’ gut gehen lässt.

Kochbuchautor Thomas Vilgis

Ein leicht chaotischer Gemischtwarenladen gepaart mit wissenschaftlichem Hintergrundwissen

Nun mag das manchem wie ein leicht chaotischer Gemischtwarenladen vorkommen. Hobbyköche, die an Hintergrundwissen interessiert sind, wird das jedoch kaum abschrecken, finden sich doch an vielen Stellen Erkenntnisse, die man als naturwissenschaftlicher Laie gerne übernimmt und in der Praxis anwenden kann. Vor allem gefällt mir, dass Vilgis nicht mit Zutaten aus der Spitzengastronomie in höhere Sphären abhebt, sondern zunächst schaut, was der eigene Kühlschrank oder der Wochenmarkt so zu bieten hat. Und dabei zu der Erkenntnis kommt: „Ein kleiner Sellerie, eine Karotte, etwas Buchweizen und 1–2 Esslöffel Joghurt bergen schon ein hochdimensionales kulinarisches Potenzial.“

Tipps für die Rhabarberschwemme

Apropos Sellerie: den verarbeitet Vilgis nicht nur zu einem leicht alkoholischen Sommergetränk à la Ginger Ale, er kocht, nachdem er die Knolle gründlich abgebürstet hat, eine äußerst aromatische Essenz aus der Schale, die einem Kartoffelpüree einen ungewohnt erdigen Röstgeschmack verleiht.

Kartoffeln werden bei Vilgis übrigens auch mal in der Mikrowelle gegart oder mit Miso fermentiert. Da mir dafür der Vakuumierer fehlt, habe ich mich lieber dem Rhabarber zugewandt, einem angesichts meiner überbordenden Ernte aktuellen Thema. Der Autor empfiehlt hier, aus leicht gezuckerten Rhabarberstücken, die mehrere Tage stehen gelassen werden, Saft herzustellen. Die dabei übrig gebliebenen abgetropften Reste werden nicht etwa weggeworfen, sondern sind püriert vielseitig einsetzbar, etwa für Schwein süßsauer. Eine weitere Variante: rohen Rhabarber kombiniert der Autor mit Forellenfilets zu einer feinen Vorspeise.

Marmelade mal ganz anders

Mit seinen Ansichten zum Marmeladenkochen – er lehnt Gelierzucker als Aromaverhinderer kategorisch ab – hat mich der Autor sofort auf seine Seite gezogen. Ich praktiziere das zwar auch schon seit geraumer Zeit, kannte aber die Hintergründe nicht. Vilgis bleibt dabei nicht bei sattsam bekannten Zutaten stehen, sondern schlägt überraschend auch Gemüsesorten mit reichlich Zuckergehalt vor, also Fenchel, Rote Bete, Möhren, Pastinaken. Mein Versuch mit Roten Beten war jedenfalls geschmacklich eine Offenbarung und Bereicherung.

Eine Fundgrube an kulinarischen Tipps und Anregungen

Immer wieder stieß ich in dem umfangreichen Buch, das sich ähnlich gut lesen lässt wie die Bücher von Nigel Slater, auf Vorschläge, die mich, neugierig gemacht, schnurstracks in die Küche leiteten. Etwa der Tipp, Nüsse und Saaten in der Mikrowelle zu rösten, was abgesehen von der Zeitersparnis noch den Vorteil bietet, dass die Röstung nicht nur an der Oberfläche erfolgt. Kombiniert mit ebenfalls in der Mikrowelle gegarten Kartoffeln und mit etwas Haselnussöl beträufelt ergibt das ein feines Essen, das schnell auf dem Tisch steht.

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Überraschend war für mich auch sein Vorschlag, Mayonnaise mit Eiweiß herzustellen. Das Ergebnis ist von der Struktur her elastischer und standfester als die bekannte Version mit Eigelb. Geschmacklich steht hier das möglichst hochwertige Öl klar im Vordergrund. Alternativ kann die Mayonnaise auch vegan mit Sojamilch zubereitet werden. Und auch zum Thema Spinat hat der Autor Tipps parat, die verhindern, dass das Gemüse als zerkochte Pampe endet. Das gelingt sowohl in der Mikrowelle als auch im Wok oder im Ofen bei hoher Temperatur.

Mit seinen Erklärungen, Abschweifungen und Wertungen unterscheidet sich das Buch ziemlich stark von herkömmlichen Kochbüchern. Viel Text, ein sehr gutes Register, wenig Bildmaterial, eine überschaubare Anzahl an konkreten, leicht nachkochbaren Rezepten, dafür umso mehr Informationen und Anregungen, die auf einem profunden Fachwissen und der Leidenschaft und Experimentierfreude eines ambitionierten Freizeitkochs fußen. Wer sich davon angesprochen fühlt, wird reichlich belohnt und kann sich auf eine deutliche Erweiterung seines kulinarischen Horizonts freuen.

Veröffentlicht im November 2019

2 Kommentare

  1. Thea

    Zum ersten Mal bedaure ich das Fehlen einer Mikrowelle in meiner Küche.

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