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Katharina Höhnk

Kochbuch von Stiftung Warentest: Perfektion – Die Wissenschaft des guten Kochens. Band 1: Fleisch ★★

Perfektion – Die Wissenschaft des
guten Kochens. Band 1: Fleisch
America’s Test Kitchen
Guy Crosby
Stiftung Warentest (2015)

Zwei Sterne: Begeisterung sieht anders aus.

Ulrike Thyll

Von

Bei der Vorstellung von einem herrlich duftenden und gebräunten Gulasch mutiere ich gerne wieder zur Fleischesserin, aber nur selten habe ich trotz sorgfältigsten Anbratens die erhoffte Zartheit in Kombination mit einer tiefen Bräunung erreicht. Heutzutage muss Fleisch, so reduziert wie es in unserer Küche noch auf den Tisch kommt, gefälligst richtig gut sein. Nicht immer reicht es, teures Fleisch zu kaufen. Da kommt ein neues Kochbuch zum Thema Fleisch gerade recht, auf dessen Cover das Wort ‚Perfektion‘ in übergroßen Buchstaben prangt und das diese Perfektion durch die ‚Wissenschaft des guten Kochens‘ erreichen will. Das Logo der Stiftung Warentest schafft zusätzliches Vertrauen.

Im Inneren erfüllt das Buch beim Durchblättern die so geweckten Erwartungen: es ist stark textlastig mit nur 18 ganzseitigen Fotos der zubereiteten Produkte auf den insgesamt 217 Seiten und kleinen Fotos auf etwa jeder dritten Seite. Es ist ein Lese-, kein Bilderbuch. Die zahlreichen Tabellen, Textboxen und Grafiken zur Illustration von Kochprozessen und mit erklärenden küchentechnischen Hinweisen unterstreichen, dass es hier um Aufklärung geht: wie lange kann ein Hähnchen eingefroren bleiben? Warum frisch gepresster Orangensaft bitter wird. Lorbeerblätter optimal lagern.

Thema verfehlt

Was hingegen beim Durchblättern irritiert, sind die Fisch- und Eierspeisen in einem Buch, in dem es um Fleisch gehen soll. Das sind nicht etwa Ausnahmen. Auch wenn Rind, Schwein, Lamm und Geflügel abgedeckt werden, finden sich hier 15 Fisch- und Meeresfrüchte-Rezepte und 6 Eierspeisen (bei nur einem Lammrezept). Da muss man leider sagen: Thema verfehlt! Wer als Käufer etwas zum Thema ‚Fleisch‘ sucht, will keinen Fisch.

americas-test-kitchenWie kann es zu einer solchen Fehlinformation auf dem Titel kommen? Das Buch stellt die Ergebnisse der Arbeit von ‚America’s Test Kitchen‘ vor, eine Institution, die Dutzende von Köchen, Wissenschaftlern und Redakteuren beschäftigt mit dem Ziel, wissenschaftlich basierte Kochexperimente zu machen und die Ergebnisse regelmäßig zu veröffentlichen.

Der amerikanische Originaltitel ‚The science of good cooking: master 50 simple concepts to enjoy a lifetime of success in the kitchen‘ belegt, dass es hier primär um Kochprozesse und Kochtechnik geht, Produkte also nur die Nebenrolle spielen. Aber dann hätte man das Kind in der deutschen Ausgabe anders nennen müssen.

Wissen hilft

Dennoch ist es natürlich reizvoll, von Experimenten profitieren zu können, die mehr als drei Dutzend Fachleute in akribisch dokumentierten Testreihen ausgewertet haben. Vor allem, wenn es um fest im Erfahrungsschatz verankerte Grundsätze geht wie z.B., dass sich Fleischporen durch scharfes Anbraten schließen. Stimmt nicht, zeigt das Experiment. Es ist egal, ob man scharf oder sanft anbrät, wichtig ist allein die am Ende erreichte Kerntemperatur. Überhaupt kommt man um die Anschaffung eines richtig kalibrierten Fleischthermometers nicht herum. Wie man richtig kalibriert, wird ebenfalls in Text und Bild erläutert.

Überzeugen kann zunächst die Grundstruktur des Buches, die auf 18 Garkonzepten aufbaut (z.B. ‚perfektes Garen mit niedriger Temperatur‘ oder ‚Nasspökeln macht mageres Fleisch saftig‘), deren wissenschaftliche und küchenpraktische Grundsätze im einleitenden Teil jeweils auf einer Doppelseite dargelegt werden. Nützlich ist auch die Anlage der einzelnen Rezepte, die nach der klassischen Aufteilung in Zutatenliste und Beschreibung der Zubereitung jeweils nach einem kleinen Topfsymbol erklären ‚‘warum das Rezept funktioniert‘ und dann häufig noch wichtige Aspekte der Zwischenschritte darlegt. Beispiel bei Eiern: ‚Wenn die Eier 10 Minuten … gegart haben, sollte man die Temperatur im Innern der Eier so schnell wie möglich senken, damit sich auf gar keinen Fall ein schweflig riechender grüner Rand bildet.(Die Verfärbung des Eigelbs entsteht durch übermäßige Wärmeeinwirkung; dabei reagiert das im Dotter enthaltene Eisen mit Schwefelverbindungen des Eiklars). Am Wirkungsvollsten ist es, die Eier aus dem heißen Wasser direkt in eine Schüssel mit Eiswasser zu geben‘. Ein Paradebeispiel dafür, dass Wissen hilft. Wer hat nicht schon die Eier mit den hässlichen grünen Rändern auf Buffets gesehen?

Sehr viel Salz

Auffällig ist, dass sowohl das nachgekochte Schweineschnitzel mit Panade als auch die gebratene Hühnerbrust vor dem Garen bzw. Panieren für längere Zeit in eine starke Salzlake gelegt wurden -ohne nähere Erläuterungen im Rezept. Erst nach der späteren Lektüre des Kapitels zum Nasspökeln begriff ich die Zusammenhänge: es geht um das Zartmachen von magerem Fleisch. Hier wäre ein Verweis im Rezept hilfreich gewesen, denn Kochbücher sind keine Romane, die man chronologisch lesen muss. Auch fragt man sich, ob so viel Salzeinsatz nicht erhöhte gesundheitliche Risiken mit sich bringt. Das Salz soll nämlich durch das Pökeln besser in die Struktur des Fleisches eindringen (als nur oben aufgestreut) und es würziger machen. Die zusätzliche Salzmenge beträgt nach den Untersuchungen eines Lebensmittellabors pro Portion 1 g. Bei generell zu hohem Salzkonsum ist auch dieses Gramm wieder ein Gramm zu viel.

Die Stiftung Warentest hat hier ein Kochbuch vorgelegt, dessen Lektüre auch den kocherfahrenen Leser bereichern kann, insgesamt aber zu viel verspricht und auch im Detail nicht beim Thema ‚Fleisch‘ bleibt. Perfektion ist grundsätzlich ein schwieriger Begriff. Wenn man diesen aber vollmundig auf einem Buchcover verwendet, sollte man den so erzeugten hohen Erwartungen auch weitgehend gerecht werden. Das gelingt diesem Buch nur punktuell. Hierfür sind sowohl Schwächen in der Produktion (Reihentitel, Ungenauigkeiten in der Übersetzung) als auch die zu hinterfragende Annahme verantwortlich, dass die Perfektion von Speisen ausschließlich oder überwiegend das Produkt von (richtiger)Technik ist. Beim Nachkochen bestätigte sich dies lediglich bezüglich optimierter Texturen, während die behaupteten Geschmacksverbesserungen in vielen Fällen nicht eintraten. Ob Konsistenz und Geschmack von Speisen sich in einer glücklichen Balance befinden, hängt offensichtlich nur zum Teil von der perfekten Kochtechnik ab.

Veröffentlicht im März 2016

2 Kommentare

  1. Stefan

    Vielen Dank für die Rezension. Es stimmt, der Titel ist irreführend, weil es nicht nur um Fleisch geht. Und natürlich kommt es nicht nur auf die Kochtechnik an (ich weiß nicht, ob das Buch das behauptet). Aber zwei Sterne? Das finde ich ehrlich gesagt ziemlich hart. Ich habe das Buch auch. Es ist kein Standardkochbuch und will es wohl auch nicht sein, aber ich würde es nicht missen wollen. Wenn man sich immer schon mal gefragt hat, ob es egal ist, das Fleisch drei Stunden auf 120 Grad oder anderthalb Stunden auf 180 Grad zu garen (in Rezeptsammlungen findet man ja die unterschiedlichsten Anweisungen und ich stelle mir solche Fragen häufig) – hier findet man eine Antwort, und zwar eine, die man nachvollziehen kann. Ich habe noch kaum Rezepte daraus ausprobiert (die sind ja auch im Grunde nur Erläuterungsbeispiele zum jeweiligen Konzept), aber ich habe schon viel in dem Buch gelesen und fand es hochinteressant.
    Und auch die hier ausprobierten Rezepte sind teilweise gut bewertet und in einem Fall sogar hervorragend, nämlich für den Filetbraten.
    Ist der Totalverriss nach Punkten wirklich gerechtfertigt?

    • Katharina

      Dank Dir für Deinen Blick auf das Buch.
      Oh, die Sterne – immer schwierig. Letztlich ist der Text entscheidend.

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