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Katharina Höhnk

Kochbuch von Solla Eiríksdóttir: Raw ★★★

Raw – Recipes for a modern 
vegetarian lifestyle
Solla Eiríksdóttir
Fotos Simon Bajada
Phaidon (2016)
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Drei Sterne: Hat Stärken, aber überzeugt nicht ganz.

Charlotte Schrimpff

Von

Island ist ein kleines Land. Gut 103.000 Quadratkilometer Fläche, knapp 335.000 Einwohner … zum Vergleich: Deutschland ist dreieinhalbmal so groß und wird von 245-mal (!) so vielen Menschen bewohnt. Island ist allerdings auch ein Land, das gern über sich hinauswächst: Bei der EM 2016 setzte das zusammengestoppelte Nationalteam von Zahnarzt bis Filmregisseur die Engländer in den Flieger nach Hause (der, ganz ohne Vulkanasche, prima durchkam) und etablierte nebenbei eine ganz eigene Schlachtrufkultur. Skyr, der isländische Joghurtverwandte, war jüngst das Ding im Kühlregal, und mit der Fernsehköchin Solla Eiríksdóttir setzt eine weitere Isländerin zum Überholen an.

Darin hat sie Übung: Die Suche nach Linderung für die Allergien und Unverträglichkeiten ihrer Kindheit trieb Solla (Foto unten) in den Achtzigerjahren einmal quer um den Globus. Über Kopenhagen, wo sie sich mit makrobiotischer Ernährung beschäftigte, Puerto Rico, wo sie mit Ann Wigmores Rohkost in Berührung kam, und Kalifornien, wo sie an der weltweit ersten vegan-rohköstlichen Kochschule lernte, ist die Mittfünzigerin inzwischen nach Reykjavík zurückgekehrt. Dort betreiben sie und ihr Mann insgesamt vier Restaurants, darunter das hippe „Gló“, und vermarkten eine eigene Produktlinie. „Raw“, Sollas erstes Kochbuch für den englischsprachigen Markt, ist auch so ein Familienprojekt: Hildur, die älteste Tochter, ist Co-Autorin, und auch das Erbe der Großeltern scheint immer wieder durch.

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Roh ist nicht gleich roh

Vor allem aber sieht man die Insel: Große, intensive Landschaftsaufnahmen durchsetzen das sonst sehr aufgeräumte Layout. Manchmal hat man eher den Eindruck, durch ein coffee-table book zu blättern als durch eine Rezeptsammlung. Die Gerichte selbst sind sowohl nach Tageszeit als auch nach Jahreszeiten sortiert: Aufs Frühstück folgt in dieser Systematik frühlingshaft Leichtes, auf Snacks folgen Sommerrezepte – bis die Wintergerichte von Kuchen und anderen Süßigkeiten abgelöst werden. Das inzwischen fast obligatorische Kapitel mit Erklärungen zu Zutaten von A wie Açai bis Z wie Za’atar findet man ganz hinten. Kleine Piktogramme neben jedem Rezept schlüsseln auf, ob es vegan, laktose-, gluten-, nussfrei oder roh ist.

Denn dem Titel zum Trotz bleibt hier längst nicht alles ungekocht: Sollas Küche ist vielmehr ein buchstäblich gesunder Mix aus den Einflüssen, denen sie im Laufe der Zeit ausgesetzt war: Es gibt fermentierte Karotten nach dem Rezept ihrer Eltern, roh-vegane Eiscreme aus Kokosmilch und Cashews, aber eben auch geröstetes Ofengemüse mit Dinkel-Risotto sowie heiße Suppen.

Wichtigste Zutat: Zeit

Simon Bajada hat das alles fotografiert – und zwar so, dass man am liebsten gleich losessen will. Dem steht eigentlich auch nicht viel im Weg, denn die Zutatenlisten und Arbeitsschritte sind überschaubar und nutzerfreundlich dargestellt. Das Einzige, von dem man manchmal mehr braucht, ist Zeit: Zeit zum Quellen, Zeit zum Sprossen, Zeit zum Fermentieren.

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Vielleicht hätte ich auch einfach noch ein bisschen mehr Zeit gebraucht: Der Impuls loszulegen, tatsächlich eines dieser bunten Essen auf den Tisch zu bringen, ließ nämlich auf sich warten. Und als es dann so weit war, endete Versuch eins im Desaster. Drei Esslöffel Kokosöl und bis zu vier Esslöffel Wasser sind aber auch verdammt wenig Flüssigkeit, wenn es um 630 Gramm Trockenmasse geht. Für die Schoko-Hafer-Kekse aus dem Finalkapitel habe ich die gehackte Schokolade schlussendlich geschmolzen und als Bindungsmittel eingesetzt. Das hat geholfen und geschmacklich macht man der Serotoninbombe so schnell auch nix vor – trotzdem: erste Desillusionierung.

An anderer Stelle war es dann mit dem Geschmack nicht so weit her: Für die sehr appetitlich aussehenden Burger mit Wurzel-Fritten braucht es ohnehin Muße für die Zubereitung der Bratlinge aus Bohnen und Pilzen, des deftigen Körnerbrotes, das stark an Sarah Brittons „Leben veränderndes“ Brot erinnert, der Cashew-Mayo, der gerösteten Kokoschips, des gebackenen Wurzelgemüses sowie von allerlei Grünzeug. Zeit- und Arbeitsaufwand: hoch. Geschmack: Sagen wir – da waren einfach zu viele Komponenten mit Sendungsbewusstsein im Spiel.

Konsequenz mit Fragezeichen

Überhaupt habe ich mich manchmal gefragt, wie das alles zusammenpasst: Einerseits betonen Solla und Hildur im Vorwort, wie wichtig ihnen ein Leben im Einklang mit der Natur und dem eigenen Organismus ist, betonen den Wert von saisonaler und unverarbeiteter (Roh-)Kost. Die Quinoa-Pizza soll dann aber mit veganen Käseraspeln bestreut werden. Vegane Käseraspel – ein Produkt, bei dem sich unlängst nicht nur die Krautreporter gefragt haben, wie eng wohl die Verwandtschaft zu Analogkäse ist, dem noch vor wenigen Jahren verfluchten Kunstprodukt.

Amy Chaplin, Angela Liddon, Ella Woodward: Solla Eiríksdóttir ist nicht die Erste und Einzige, die ihre naturbelassene, kernige Küche in Buchform präsentiert. Welche der Rezepte und Herangehensweisen man persönlich am liebsten mag: Geschmackssache. Sollas USP allerdings: Die schönen, schönen Island-Fotos – hallo Fernweh!

Veröffentlicht im Januar 2017

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