Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
Kennt Ihr die Dabbawallas? Ein Wunder der Logistik: Jeden Tag werden 200.000 frisch gekochte Gerichte in Henkelmännern – den Dabbas – von den Familienküchen in die Büros der Innenstadt von Mumbai transportiert und dort noch warm verspeist. Jeder Angestellte erhält das Gericht seiner Familie – entsprechend seiner oft religiös motivierten Präferenzen. Statt QR-Codes hilft ein simples System mit Strichen und Buchstaben bei der Zuordnung – und aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz funktioniert es prächtig.
Speisen, die mit Klugheit, Umsicht und Liebe zubereitet werden, die guttun, dem Menschen, der es genießt, der Umwelt und dem Menschen, der es zubereitet – so versteht sich das Prinzip von Karma Food, hinter dem sich ein erfolgreiches österreichisch-indisches Familienunternehmen verbirgt.

Ein österreichisch-indisches Familienunternehmen
Unternehmerisches Herz sind Simone und Adi Raihmann (Foto links), in deren Ehe die beiden so unterschiedlichen Länder verschmelzen. Doch die Wurzel des Ganzen liegt im Wissens- und Erfahrungsschatz von Adis Mutter Taro, die im Jahr 2000 Indien verließ und seither mit ihren Kindern in Wien lebt. Nach ihrem ersten Lokal in Klosterneuburg gibt es mittlerweile sechs Dependancen ebendort und in Wien – und nun das zweite Kochbuch, nach dem Erstlingserfolg Karma Food.
Bunt, familiär, von Herzen – so kommt das Buch daher und das macht Spaß. Vegetarisch und vegan sind alle Rezepte – und ayurvedisch, für den, der sich damit beschäftigen möchte. Vor allem im deutschen Winter sind die fast psychodelischen Farben, und auch die Düfte und Geschmäcker, die reinste Therapie, auch wenn gelbe Buchstaben auf pinkem Untergrund nicht optimal zu lesen sind. Viele Bilder aus dem indischen Familienfotoalbum illustrieren das Buch. Da meine Gewürzschublade von vielen Kochabenteuern schon gut gefüllt ist, lasse ich mich von den auf den ersten Blick langen Zutatenlisten nicht schrecken.
Zum Weiterlesen:
Website der Autoren
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Gewürzschublade auf und dann Löffelchen für Löffelchen
Ich fühl mich immer ein bisschen wie ein Apotheker bei indischen Rezepten: Gern nehme ich mir zu Beginn eine oder mehrere kleine Schälchen, in die ich die verschiedenen Gewürze schon mal abmesse, dabei aufpassend, bei welchem Kochschritt sie benötigt werden. Im Rezept stehen sie meist schon in der richtigen Reihenfolge. Dann Gewürzschublade auf und hier ein Teelöffel und dort ein halber. Wie wird wohl die Gesamtkomposition schmecken? Wer wie ich nicht mit dieser Küche aufgewachsen ist, für den bleibt es aufregend – und das liebe ich an den indischen Gerichten.

Aufgeteilt sind die Rezepte nach Himmelsrichtungen – Indien ist ja ein Subkontinent und überall sind verschiedene Einflüsse zu schmecken. Die meisten Gerichte sind schnell gemacht, meine indische Freundin kennt fast alle, viele sind typisches Streetfood. Für einen großen Testabend lade ich Freunde ein und bereite vier Chutneys, Fladen, drei Nachtische und 5 Hauptgerichte zu – wie viel Spaß nach der langen Pandemieflaute! Dabei fällt mir auf, dass es kaum Hinweise zur Kombination von Gerichten gibt: Wozu würde das dicke, süße Dattelchutney besonders gut passen? Und ist es okay, quer durch die Himmelsrichtungen zu kombinieren? Nun, für uns hat es an dem Abend ausgezeichnet funktioniert.
And the winner is …
Der Gewinner des Abends waren die Kartoffelpuffer Aloo Tikki – meine indische Freundin meinte, als Streetfood werden die oft gefüllt, aber diesen Aufwand spart uns das Rezept. Die Punjabi-Sauce dazu: auch ein Gedicht. Die Paneerspieße und das Dal fanden auch großen Anklang – sowie die vielen Chutneys. Die Schärfe ist verträglich bemessen, wobei Chilis natürlich unterschiedlich ausfallen – daher: lieber später noch mal nachschärfen.
Simone & Adi Raihmann:
„Liebe geht durch den Magen, so auch Dankbarkeit – und Respekt vor der Natur, die all die wunderbaren Zutaten hervorbringt, aus denen die Mahlzeiten in der heimischen Küche zubereitet werden.“
Nur ein Gericht kostete Nerven – und enttäuschte: das Vegan Rogan Josh. Die Angabe „Maismehl“ interpretiere ich als gemahlene Maiskörner, so wie es mir auch Google vorschlagen würde, doch das kann nicht gemeint sein. Die Sauce wurde pampig, brauchte sehr viel zusätzliche Flüssigkeit. Die Auberginen wurden und wurden nicht weich – und mit Rogan Josh hatte das Ganze nichts mehr zu tun. Vielleicht war statt Maismehl Stärkemehl aus Mais gemeint – oder das typischere Kichererbsenmehl, das ließ sich nicht mehr aufdecken.
Sonst gab es keine Aussetzer, im Gegenteil, die Gerichte sind einfach nachzukochen, harmonisch und lecker. Manchmal benötigt man etwas mehr Flüssigkeit (z. B. bei den Kokoskugeln Laddu), manchmal dauert es ein wenig länger, doch damit lässt sich gut leben.
Karma Food Currys ist ein Kochbuch, das Laune macht, Fernweh weckt und stillt, das man gerne anfasst (raues, kräftiges Papier, schönes Format), teilt und aufschlägt. Die 64 Rezepte eignen sich zumeist für den Transport in einem Dabba – oder auch einer anderen Box zum Mitnehmen – zum Selbst- und Fremdverwöhnen. Die Küche Indiens ist so viel mehr und so viel besser als das, was uns die hiesigen Restaurants auftischen. Macht Euch selbst die Freude, neue Geschmäcker zu erkunden – Karma Food Currys kann ein guter Einstieg sein.
Veröffentlicht im Oktober 2022