Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
„Einmal saß eine Amerikanerin allein im Restaurant und ließ sich jedes Gericht in allen Einzelheiten erläutern. Schließlich entschied sie sich für die Paprika auf piemontesische Art, aber “bitte ohne die Sardellen”. Graham Williams, der damalige Geschäftsführer, entsprach diesem Wunsch und gab die Bestellung dem für die Vorspeisen zuständigen Küchenchef weiter. Ausgerechnet bei dieser Beststellung befolgte die Küche Grahams Anweisung jedoch nicht und schickte das Gericht mit den Sardellen heraus. Die Amerikanerin ließ es – völlig gerechtfertigt – zurückgehen.
Graham: “Wir entfernten die Sardellen und servierten die Paprika aufs Neue.” Die Dame fragte zaghaft: “Haben Sie einfach nur die Sardellen herausgenommen?” Graham bejahte ganz ehrlich. “Dann kann ich es nicht essen, für mich ist es verunreinigt. Ich bestelle stattdessen das Risotto mit Trüffeln.” “Bloß nicht”, warnte Graham “das können Sie unmöglich essen. Die Trüffel sind irgendwann sicher einmal von einer Schweineschnauze berührt worden!”

Eine der besten Restaurant-Ankedoten, die er kennen würde, schreibt Hopkinson. Seine Geschichte über den verzweifelt naiven (oder gewitzten) Geschäftsführer und seinen eigenen Spaß daran erzählt sehr viel über Hopkinsons Einstellung zu dem Thema Gemüse-Fleisch-Fisch. Nein, ein Vegetarier würde er nicht mehr werden, setzt er fort. Sein Humor ist zweifellos einmalig. Wer hat schon den Mut, so eine süffisante Geschichte ausgerechnet einem vegetarischen Kochbuch ins Vorwort zu schreiben. (Wenn es um diese Küche geht, landet man schnell bei Überzeugungen und Idealismus.) Hopkinsons Stil wird in seiner Heimat England sicherlich geschätzt, wo Eigenwilligkeit ein geschütztes Kulturgut ist.
Masterrezepte
Dabei ist es interessanterweise ausgerechnet ihm gelungen, wonach Kochbuchliebhaber wie ich suchen und Vegetarier erst recht. Eine sagenhaft gute Rezeptsammlung mit fleischlosen Rezepten – eine Rarität! Manche seiner Gerichte setzen für mich den Schlusspunkt auf der Suche nach DEM Rezept, wie z. B. seine gefüllten Tomaten und sein Kartoffelkuchen. Maßstab für seine Rezepte waren Gerichte, die vollkommen für sich stehen können. Höchstens an ein Stück Brot für das Aufwischen der Sauce sei zu denken, schreibt er. Mein Kompliment, das ist ihm gelungen (mit ein, zwei Ausnahmen).
Das Kochbuch Alles Gemüse! umfasst 135 Rezepten auf 7 Kapiteln: Gemüse, Kräuter, Pasta, Hülsenfrüchte, Reis, Eier und Obst (Foto links: der Autor). Heimat der Rezepte sind die populären Länderküchen: vorwiegend mediterran mit Sprengsel aus England und Asien. Wenn der Autor diese miteinander verwebt, dient es weniger der kulinarischen Idee einer Fusion, sondern vielmehr um aromatisch den letzten Clou herauszuholen. Die Rezepte sind ganz dem Homecooking verpflichtet, wenn auch tendenziell recht aufwendig, dabei durchsetzt mit schnellen einfachen Gerichten wie z. B. der Brokkoli mit Sauce couchamps, einem Dip aus Estragon, Petersilie, Schalotten, Dijonsenf, Zitrone, Öl und Sojasauce. In der Zubereitung liegt für mich der Schatz des Buches, meine Augenbrauen wanderten bei mancher Lektüre immer höher. Hopkinson hat seine Beschreibungen sehr präzise formuliert, was mitunter zur Länge führt. Dabei hat er Raffinessen aufgetan, die die Rezepte vom Durchschnitt auf das Siegerpodest hieven.
Ein elegantes Kochbuch
Gut gefallen haben mir seine persönlichen Hinweise, sehr authentisch und ungeglättet, (auch wenn sie grafisch etwas unglücklich im Sinne von „Mal was Anderes!“ im Layout dargestellt werden). Der Folgende gehört zu meinen Favoriten, er begleitet die eisgekühlte Germinsuppe: „Diese Suppe ist leicht und trotzdem cremig, aromatisch und erfrischend. Regen Sie sich nicht auf, wenn der Sauerampfer während des Kochens schnell eine schlammig-grüne Farbe annimmt, so ist er eben.“
Alles Gemüse! ist ästhetisch ein schönes Buch, wobei es ohne die große Foto-Sause auskommt: bodenständig und edel. Das Cover finde ich sehr gelungen in seiner Schlichtheit – fast tanzen die Bohnen. Die Texte sind auf angenehm glattem und festem Papier gedruckt, das einige Jahre Küchenbenutzung zu schultern weiß. Das Auge findet sich in dem übersichtlichen Layout schnell zurecht, was ich immer sehr wichtig finde, denn beim Kochen geht es mitunter schnell zu. Fast jede zweite Doppelseite ist bebildert: Food-Fotos mit natürlichem Licht und ohne Vorwand-Kräuter, um ein wenig Frische ins Bild zu bekommen. Holz und die Farbe Weiß begleiten die authentisch dargestellten Gerichte. Auf meinem Teller sahen sie genauso aus, bis auf den Kartoffelkuchen, da hat mein handwerkliches Geschick bei den ersten zwei Anläufen verschlafen.
Alles Gemüse! ist eines der besten Kochbüchern, die je in meiner Küche lagen. Simon Hopkinsons fleischlose Gerichte stehen für sich und brauchen keine kulinarischen Begleiter mehr. Die Raffinesse liegt nicht in außergewöhnlichen Zutaten, sondern in ihrer gelungenen Kombination und der lehrreichen Zubereitung. Tendenziell aufwendig, aber immer noch ganz dem Homecooking verpflichtet! (Meine Lösung: soviel zubereiten, dass es für zwei Tage reicht.)
Veröffentlicht im Januar 2010
Freut mich. 🙂
Oh, wie schön, dass das Buch übersetzt wurde. Mir gefiel ja auch schon sein “Roast Chicken and other Stories” außerordentlich gut. Die Gemüse-Bouillon aus “Alles Gemüse” kann ich sehr empfehlen, auch wenn die Zubereitung im Weckglas erst einmal ungewöhnlich erscheint.
Mmmmh, diese Rezension macht so richtig Lust auf mehr. Nach diesem Buch werde ich in der Buchhandlung meines Vertrauens auf jeden Fall die Augen aufhalten. Danke!