Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Skandinavische Küche ist für mich ein Lichtblick auf der Karte des Genusses, das schreibe ich als Nordlicht, das eingelegten Fisch auch zum Frühstück isst. Zwar kommt diese Kochtradition nicht immer in bester Qualität hier an (Stichwort Köttbullar im Möbelhaus), aber dank des Nordic-Trends der Spitzengastronomie (Stichwort NOMA) springt nun vielleicht auch für uns home cooks etwas raus, sozusagen als kulinarischer Top-down-Prozess – so mein erster Gedanke, als ich diese Neuerscheinung in den Händen hielt.
Der Autor – mir völlig unbekannt. Ursprünglich Australier, lebt er heute mit seiner schwedischen Frau in Stockholm. Nach Selbstauskunft Fotograf für Food, Interior & Lifestyle. Oh je, denkt man, in Sorge um die Qualität der Rezepte, aber es folgt der Hinweis, dass er auch als Koch gearbeitet hat.
Fotografieren kann Simon Bajada (Foto links) auf jeden Fall. Die Landschaftsfotos fangen Schweden begehrenswert ein: ein eisblaues, klares Meer eingebettet in eine schneebedeckte, schroffe Bergkette, die von goldenem Sonnenlicht geflutet wird. Eine Lichtung inmitten eines tiefgrünen Waldes, der vom Morgenlicht geweckt wird. Dazwischen Foodfotos mit gefälliger Hygge-Keramik auf Holz, ausgeleuchtet von sanftem Licht, kleinen Farbakzenten mit Blick auf die Teller. Es scheint, der erste Biss wurde gerade genossen, der glückliche Esser hat nur kurz den Platz verlassen. Alles sieht zufällig aus und setzt doch die Klarheit der Landschaftsbilder fort. Selten hat bei mir der Genuss des Essens so früh eingesetzt wie hier. Optisch eine Perle, unaufgeregt, gelassen und geerdet.
Ein Spiegel der Landschaft
Zum Essen. Der Titel New Nordic verspricht uns ja, dass der Autor weiter geht, als die Tradition uns führen möchte, aber ihr wiederum treu bleibt – der Süße & Säure, dem Einlegen & Räuchern, dem Fisch & Wild. Für Bajada bedeutet der Ausdruck bildlich, dass das Essen ein Spiegel der Landschaft sein soll. In dem Buch würden daher nur Produkte verwendet, die in Nordeuropa üblich sind (mit kleinen Freiheiten wie Kakao) – verfeinert mit modern interpretierten Kochtechniken, getreu dem Manifest von Claus Meyer für das Kochen zu Hause.
Die Rezepte: Tradition und Moderne
Dann wird es praktisch: Räuchern, einlegen und beizen. Es folgen die Rezeptkapitel: Vorräte, Klassiker, Aus dem Wasser, Vom Land, Aus dem Wald, Backen und Süßes. Bajada ist dabei stets präsent und begleitet die Rezepte mit einer Einleitung, konzentriert sich aber ganz auf kulinarische Aspekte. So ist er die Stimme aus dem Off, die den Weg ebnet.
Besonders gefällt mir die Rezeptauswahl, die sich zwischen Klassikern wie Hasselback-Kartoffeln, Hackbraten, Gurke & braune Sauce und Salat von Wurst, Graupen & Roter Bete und Modernem bewegt wie Makrelensalat, Buchweizen und Birne sowie Ente, geröstete Gurke & Malzbrösel (überhaupt – Brösel!). Das erzeugt beim Lesen eine wunderbare Spannung des Appetits: Hier den Klassiker, den man endlich selbst gemacht genießen möchte, da der Schritt weiter, der die alten Motive neu verwebt und Neugierde weckt.
Nur vereinzelt ist wirklich eine Jagd iSv der Zutatenbeschaffung notwendig, wie z. B. für Fichtennadeln, Bienenpollen und Hagebutten, die hier für die Desserts die Schlüsselaromen sind, aber im Übrigen werden wir aufgefordert, frei zu ersetzen iSd regionalen Gegebenheiten. Man muss also schauen, was im Garten steht oder beim Fahrradausflug ins Körbchen fällt.
Endlich: Köttbullar selbst gemacht
Es ist immer interessant, welche Rezepte man als Erstes kocht. Vor Jahren hatte ich hier auf Valentinas Kochbuchtests mit Leserinnen veranstaltet, bei denen alle drei unabhängig voneinander tatsächlich das Wiener Rindsgulasch ausprobierten. Ich bin mir sicher, dass es hier die Köttbullar treffen würde. Das Rezept war vorzüglich und ich hätte nie gedacht, dass wir so viele Bällchen verspeisen würden. Danach folgte eine Premiere – ich habe mein erstes Knäckebrot gemacht. Sehr fein.
Es gab einen Moment, da hätte ich gerne das Original gesehen, und zwar bei der Erdbeersuppe mit Rosmarin & Feta. Der Käse erstaunte mich an diesem Platz, da nicht regional und etwas dominant salzig, oder? Im Übrigen klingt das Dessertkapitel beeindruckend: Bratapfel, karamellisierte Schokolade & Maronen, Blaubeer-Holunder-Pie und Mandelmilchreis, Johannisbeeren & Joghurtkuchen. Alles aufwendiger, aber dafür so richtig Dessert.
New Nordic ist eine schwedische Perle von Kochbuch für uns KöchInnen zu Hause, das die neuen Strömungen von Regionalität verinnerlicht, und für die Zubereitung ist keine Küchenmannschaft eines NOMAS notwendig. Das Buch ist betörend schön, der Leser wird aufmerksam geführt – am Ende steht ein Essen auf dem Tisch, das herrlich geerdet ist. Für Menschen, die Fisch, Eingelegtes und die Kombination von süß & sauer lieben, geradezu ein Muss.
Veröffentlicht im Januar 2017