Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Es gibt selten Fortsetzungen von Filmen, die mich auch als eigenständiges Werk überzeugen können. Spontan fällt mir hier nur „Before Sunset“ ein, das dem legendären Klassiker „Before Sunrise“ auch 9 Jahre später das Wasser reichen konnte. Ähnlich geht es mir, als ich das von Sami Tamimi und Tara Wigley verfasste„Palästina“ in Händen halte, das im Design stark an das 2012 erschienene „Jerusalem“ erinnert (damals Tamimi mit Ottolenghi). Ist es ein Abklatsch des Originals oder werde ich wieder ins Schwärmen geraten?
Sami Tamimi ist in einer Großfamilie mit 12 Kindern aufgewachsen – hier wurde richtig viel gekocht. Ihn braucht man nicht lange vorzustellen: Das Handwerk des Kochs erlernte er zunächst in Tel Aviv, bevor es ihn nach London zog, wo er mit Yotam Ottolenghi ein legendäres gemeinsames Restaurant eröffnete und „Jerusalem“ verfasste.
Tara Wigley hingegen ist – was das Kochen betrifft – sozusagen eine Spätberufene. Nach 10 Jahren Tätigkeit im Verlagswesen stieg sie in die „Ottolenghi-Familie“ ein und ist vor allem für das Niederschreiben der Rezepte verantwortlich. Auch wenn sie im Süden Londons mit Schweineschnitzeln aufgewachsen ist, ist sie rasch dem Geschmack von Granatäpfeln und Za’atar verfallen und hat Palästina vielfach bereist. Das Buch ist eine Liebeserklärung an die Küche des Landes und das erste Werk des Duos mit Tamimi als Gastgeber und Wigley als Reisebegleiterin. Wer sich von den beiden (Foto links) ent- und verführen lässt, den erwarten fantastische Geschmackserlebnisse.
Optisches „Deja vu“ – gänzlich neue Rezepte
Wer „Jerusalem“ wie ich kennt (und liebt), wird sich auch in „Palästina“ rasch zurechtfinden. Nur die Einleitung über Land und Leute fällt in „Palästina“ im Vergleich – leider – etwas kurz aus. Aber dennoch sind immer wieder bebilderte Geschichten über einzelne Orte und Zutaten eingestreut. Die Fotos sind wunderschön und ansprechend in leuchtenden Farben, liebevoll und eindeutig von Profihand inszeniert.
Auch die Rezepte sind übersichtlich (fast immer) auf eine Seite komprimiert. Angenehmerweise werden in der Einleitung zu jedem Rezept Tipps zu Alternativen für eventuell nicht erhältliche Zutaten und auch Möglichkeiten zum Vorausplanen geboten. Einzig eine Zeitangabe wäre noch angenehm, denn man muss die Rezepte manchmal wirklich genau lesen, um nicht zu übersehen, dass das Gericht zum Beispiel 1 Stunde vor sich hin köcheln sollte. Aber das sind Kleinigkeiten in einem sonst ausgezeichneten Kochbuch.
Kulinarisches Schwelgen
Was soll ich sagen – in der Zeit der Rezension habe ich 15 Rezepte nachgekocht und alle (!) zur vollsten Zufriedenheit der beteiligten Tester. Ich glaube, das ist mir bisher noch nie gelungen. Das größte geschmackliche Feuerwerk war sicher das „Orangenblüten-Honig-Semifreddo mit Baklava“. Es vereint das Beste von allem: Die nussige Komponente des Baklava ohne dessen aufdringliche Süße, ein leichter Orangengeschmack abgemildert durch Granatapfelkerne und eine ordentliche Menge Kardamom für das gewisse Etwas.
Aber auch die anderen Gerichte stehen um nichts nach. Hähnchen-Schawarma-Pie war der Liebling der Kinder, aber konnte dank einer Vielfalt an gekonnt kombinierten Aromen auch die Erwachsenen begeistern. Der Bulgur-Pilaw mit Tomaten und Auberginen ist verblüffend einfach und wird mit Feta und griechischem Joghurt zum perfekten leichten Sommerabendessen. Und der gebackene Fisch-Kubbeh wird von meiner Familie zunächst etwas kritisch beäugt, aber ist dann doch erstaunlich rasch aufgegessen. Bei diesem Rezept – wie bei manch anderem – denke ich mir zunächst, ob der Geschmack des Fisches nicht in dem Mix der vielen verschiedenen Gewürze (sehr häufig ist Zimt mit dabei) untergehen wird. Aber in verblüffender Weise unterstreicht es immer noch die Aromen der Speisen und ich werde in Zukunft nun noch beherzter bei diversen Gewürzen wie Kreuzkümmel und Zimt zugreifen.
Abschließend bleibt nur zu sagen: Ja, es gibt sie – die Fortsetzungen, die sich vor dem Original nicht verstecken müssen.
Und ähnlich wie bei Richard Linklaters Filmen, wo ich sehnsüchtig auf das Jahr 2023 und somit der möglicherweise nächsten Fortsetzung von „Before Sunrise“ entgegen fiebere, frage ich mich abschließend nur noch: Wann kommt das nächste Prachtwerk von Tamimi?
Sami Tamimi ist seit „Jerusalem“ kein Unbekannter. „Palästina“ überzeugt durch ein Feuerwerk an Aromen, gekonnt ausgewählte Gewürzmischungen und fantastische Rezepte von den Vor- bis zu den Nachspeisen. Unter den 15 nachgekochten Rezepten könnte ich keines nennen, das ich nicht jederzeit wieder kochen würde. Dieses Buch vereint Kochfreude und Genuss.
Veröffentlicht im Oktober 2020
Ich kann dieser Rezension nur vollumfänglich beipflichten! Nachdem ich Palästina ca. sechs Wochen hatte, hab ich es für zwei Wochen einem Freund geliehen, im Tausch gegen dessen Jerusalem, und am Ende der zwei Wochen haben wir beide das jeweils andere Kochbuch gekauft :-). Und es seitdem nicht bereut.