Drei Sterne: Hat Stärken, aber überzeugt nicht ganz.
Ich bin ja ein typisches Kind der 70er Jahre: Aufgewachsen im Ruhrgebiet und an der Adria auf einem Campingplatz. Pünktlich zu Ferienbeginn machten wir uns mit vollbepacktem Auto und voller Vorfreude in Richtung Süden auf.
Allerdings ist es geradezu absurd, auf einem Campingplatz an der Adriaküste italienische Kultur zu erwarten. “Unser Platz”, wie wir ihn schon nach wenigen Jahren nannten, trumpfte mit Straßennamen à la Hafenstraße und Schloßstraße auf, so dass schnell erkennbar wurde, welche Nationalität dort am häufigsten vertreten war. Man war und blieb unter sich und hatte während eines Sommers nur sporadisch Kontakt zu Einheimischen.
Der jedoch, kam er zustande, war eindeutig: Wir sind hier in Norditalien, dem einzigen, echten Italien! Alles andere ist Moloch, nicht der Reise wert. Südlich von Rom beginnt Afrika – eine Überzeugung, die erst mein Geographielehrer mit Not und Karte entkräften konnte. Geprägt von diesen Eindrücken reiste ich mit Anfang Zwanzig erstmals in Gefilde jenseits der ewigen Stadt und erlebte auch kulinarische Überraschungen. Neapel sollte mir als Archäologin zum häufigen Standort werden und schnell war klar, dass die doch recht ländlich geprägte Küche des Nordens den Vergleich mit der Küche der südlichen Regionen Italiens bei meinen Geschmacksnerven nicht gewinnen konnte.
Und nun Sizilien in Form von Mama Rosas Sizilianischem Kochbuch. Ich hoffte auf eine kulinarische Reise, wie Signora Rosa sie im Vorwort versprach. Gemeinsam mit ihr und ihren Familienrezepten wollte ich mich in das Sizilien der 50er und 60er Jahre begeben.
Es ist ein Fest, dieses Kochbuch in den Händen zu halten. Der Schutzumschlag ist eigentlich ein großes Plakat mit Familienfotos, die so arrangiert sind als seien sie in der Küche an die Tapete geheftet. Auch in der Papierstärke setzt sich das Konzept fort. Es ist grobes Papier das gemeinsam mit dem Layout den Eindruck einer persönlichen Rezeptsammlung vermittelt.
Das Format eignet sich gut zum Kochen. Es ist nahezu quadratisch, lässt sich gut auch mal mit einer Hand halten (was beim Kochen eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft ist) und nimmt aufgrund seiner Größe nicht die gesamte Arbeitsfläche ein. Das kann man nicht von jedem Kochbuch behaupten. Das Layout funktioniert wunderbar miteinander und unterstreicht die bodenständigen Rezepte, die hier von einer vermittelt werden, die tatsächlich damit aufgewachsen ist. Das alles ist keine Attitüde. Man sieht Signora Rosa mit ihrer Familie am Tisch sitzen: essend und erzählend. Man sieht sie auch in der Küche stehen, während sie all die Rezepte zubereitet, die sie von ihrer Mutter erlernt hat.
Das Äußere ist also vielversprechend und lenkte meinen sehr gespannten Blick aufs Eingemachte.
Die Aufteilung ist traditionell, aber nicht langweilig. Sie entspricht einer typischen Menüfolge mit Antipasto, Brodo, Pasta, Carne e pesce, Verdura und abschließend Dolce. Leider finden sich die einzelnen Gerichte nicht im Verzeichnis, sondern nur die übergeordneten Kategorien, so dass ich, um das konkrete Rezept zu finden, immer erst das Register bemühen musste. Dies wiederum ist nach Zutaten gegliedert, was besonders vorteilhaft ist, wenn man beispielsweise ein Gemüse im Kühlschrank unbedingt verarbeiten muss. Insgesamt finden sich auf 230 Seiten rund 150 Gerichte. Ergänzt werden die Rezeptseiten durch kurze Episoden, in denen die heute in Australien lebende Mama Rosa von ihrer Jugend auf Sizilien erzählt.
Die präsentierten Gerichte folgen keinem erkennbaren Auftrag. Sie kommen in Form einer Sammlung, wie sie typischerweise in handgeschriebenen Kochbüchern zu finden ist, daher. Dennoch sind Klassiker der sizilianischen Küche wie etwa Cannoli sind vertreten, wenn auch die Auswahl etwas willkürlich erscheint. Das entspricht einerseits dem persönlichen Charakter des Buches und dem Verlagsversprechen. Signora Rosa erlaubt dem Leser sozusagen Einblick in ihr persönliches Kochbuch. Aus Sicht der Hobbyköchin wünscht man sich andererseits hier und da etwas mehr. Vereinzelt gibt es einen Hinweis, wie etwa dass man eine Suppe durch Pasta ergänzen kann, damit es ein vollständiges Hauptgericht ergibt. Oder zu welchem Anlass ein bestimmtes Dolce gereicht wird, aber gerade die Antipasti und die Fleisch- bzw. Fischgerichte stehen etwas zusammenhanglos da. Ich hatte bisweilen den Eindruck, dass sizilianische Küche vor allem aus Gesprächen und familiären Treffen besteht, wobei mir aber nicht klar wurde, was man denn dazu gegessen hat.
Doch ich war bereit mich von der Qualität der Gerichte überzeugen zu lassen.
Die Zubereitung der Gerichte selbst ist vorzüglich erklärt. Jedes Rezept nimmt eine Seite ein. Unter der italienischen Originalbezeichnung findet sich immer direkt die deutsche Übersetzung. Manchmal hat Signora Rosa vor den Mengenangaben einen kurzen Zwischentext eingefügt, der Besonderheiten des Gerichts und seiner Zutaten erklärt. Die Rezeptbeschreibungen sind klassisch und erwarten vom Koch nicht allzu viel. Es finden sich genaue Mengenangaben und Produktbezeichnungen. Lediglich das Salzen und Pfeffern, sowie die Parmesanzugabe wird dem Koch selbst überlassen.
Kompliziertere Vorgänge werden verständlich geschildert, so dass auch Anfänger mit allen Rezepten klarkommen sollten (außer vielleicht mit der Salamiherstellung). In der Regel sind Standardzutaten für die Gerichte ausreichend. Immer wenn etwas Außergewöhnlicheres erforderlich ist, wie etwa wilder Fenchel, nennt Signora Rosa (siehe Foto) ein Ersatzgemüse oder Gewürz, mit dem man das Gericht ebenfalls zubereiten kann.
Es gibt einige wenige Gerichte wie Gefüllter sizilianischer Rinderrollbraten (Farsomagro), die zeitlich etwas aufwendiger sind. (Erfahrene Köche sehen das auf den ersten Blick, für ungeübtere wäre es hilfreich, wenn die Zubereitungszeiten extra angegeben wären.) Nachdem ich mir einen ersten Überblick verschafft habe, habe ich mir vorgenommen, etwas Eingemachtes, Pasta, ein aufwendiges Hauptgericht, eine Suppe und natürlich die herrlichen Kekse zuzubereiten. Bis auf das Hauptgericht bestachen alle Rezepte durch die wenigen notwendigen Zutaten. Ich bin ein großer Fan des Einfachen, nicht nur in der Küche, und immer wieder überrascht, zu welchen Geschmacksexplosionen Gemüse imstande ist, dessen Geschmack ich doch eigentlich kenne. Meine berühmte Zitronenpasta etwa, die ich von einer Freundin abgekupfert habe, ist ein gutes Beispiel dafür (Das Rezept verrate ich bei anderer Gelegenheit auf Valentinas).
Mein kulinarischer Sizilienaufenthalt begann also mit Pasta e piselli und Melanzane sott’olio (S. 17). Letztere konnte ich nun endlich letzte Woche probieren, nachdem sie einen Monat eingelegt waren und das Ergebnis ist überzeugend. Ich hätte nie gedacht, dass die Auberginen zart werden, wenn sie nicht vorher angebraten wurden. Der Trick ist scheinbar der, die Scheiben insgesamt 48 Stunden zu entwässern. Solche Hinweise machen manchmal das ganze Gericht aus und setzen es vom Durchschnitt ab.
Dennoch bin ich zusammenfassend noch nicht endgültig überzeugt von Mama Rosa und ihren Rezepten. Ich habe einige Zeit nachdenken müssen, was es denn ist, das mich gestört hat. Zum einen habe ich bei den nachgekochten Gerichten feststellen müssen, dass sie in ihrer Einfachheit schlichtweg nicht funktionieren. Die Erbsensuppe mit Pasta hat auch nach mehreren Versuchen einfach nicht geschmeckt und musste stark nachgewürzt werden. Es könnte auch sein, dass das Gericht einfach nicht mein Fall war. Aber es war fade und hat auch meine Gäste nicht überzeugt. Die anderen Gerichte waren zwar besser, aber leider nicht wesentlich. Es war keines dabei, wo man am Ende des Tages gesagt hätte: Wow. Die waren in Ordnung, aber auch nicht mehr. (Das Eingelegte und den Braten nehme ich ausdrücklich von dieser Aussage au.s.
Noch etwas anderes hat mich gestört: Die immer wieder betonte sizilianische Lebensart. Sicherlich ist Kochen ein wichtiger Bestandteil der Kultur, aber in den Geschichten von Mama Rosa löst ein Klischee das nächste ab, so dass man fast versucht ist zu sagen: “Ja, ja. Sizilien. Lecker essen, genießen, viel Reden und Mafia.” Das ist dann im letzten auch nicht mehr Kultur als ich von “unserem Platz” kenne.
Veröffentlicht im Oktober 2010
Ich habe den Eindruck, dass sie nur die “billigsten” Gerichte ausgesucht haben, was ist mit dem Kaninchen oder dem Kalb? Oder der Pasta mit Sardinen? Alles fantatisch! Die Erbsensuppe schmeckt gut, wenn man die Erbsen lang genug kocht und gutes Olivenöl verwendet und das reichlich, aber so ist sizilianische Küche nun Mal! Bei der Pasta mit Ricotta braucht man auch nur wenige Zutaten, aber die müssen qualitativ stimmen: So funktioniert gute italienische Küche nun Mal! Und Blumenkohl mit Koriander und Limette aufpimpen? Nein! Sorry, aber ich finde das Kochbuch einfach gut und diese Kritik nicht gerecht!
Hi Helma, hm, nur die billigsten Gerichte? Das war Patricias Auswahlkriterium sicher nicht. Ich glaube, es war eher die Auswahl einer Köchin, die täglich eine Familie bekocht. Bei der Erbsensuppe hat sie sich nur an das Rezept gehalten … Aber: Über Kochbücher kann man trefflich streiten, wie wir wissen. Schön, dass es Dir so gut gefällt und Du das hier kommentiert hast. Patricia hatte das auch gehofft, hat viele Rezepte ausprobiert, kam dann aber zu einer anderen Meinung.