Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
Sieh her, so wunderbar schmeckt die Welt!
Land & Meer ist das Ergebnis der lebenslangen kulinarischen Weltreise des englischen TV-Kochs Rick Stein. Das Rezepte-Potpourri bietet eine Auswahl mit interessanter Schwerpunktsetzung: Neben den üblichen Verdächtigen (Mittelmeer, Indien, Thailand) finden sich u. a. auch 21 englische und irische Gerichte. Dabei liegt der Fokus des Buches auf Fisch und Meeresgetier. Die Foodfotos von James und Noel Murphy sind atemberaubend gut. Die Rezeptanweisungen sind klar und zuverlässig, die Zutatenlisten lang. Ein Buch für kulinarisch experimentierfreudige Hobbyköche mit Zeit.
Der Mitarbeiter vom Paketdienst klingelt – schon sehnsüchtig erwartet. Schnell den Karton aufgerissen, andächtig über den blauen Einband mit gelbem Zitronenkleckser gestrichen, einmal angeblättert – von selbst schlägt sich eine Doppelseite auf – WOW! Was für eine Wirkung! Über die ganze linke Seite hinweg drei ausgenommene Tintenfische im weißen Bräter, rechts daneben in durchdringendem, kontrastreichen Dunkelgelb der Safranreis mit den zubereiteten Meerestieren. Und so geht es weiter. Alle zwei bis drei Seiten ein fotografisches Highlight. Lebensmittel und Gerichte in ungewohnter und bestechender Intensität. Jedes Bild ein Versprechen: „Sieh her, so wunderbar schmeckt die Welt“. Besser hätten die Fotografen James und Noel Murphy die Verheißung des Autors – eine kulinarische Weltreise – nicht einfangen können. Ich bin beeindruckt.
Der Engländer Rick Stein (Foto links) hat sich in seiner Heimat als Fernsehkoch, noch mehr aber als Chef des Padstrow Seadfood-Restaurants in Cornwall einen Namen gemacht. In seinem neuesten Buch nimmt er seine Leser mit „von Küste zu Küste“ (bzw. „from coast to coast“, so der englische Originaltitel). Über alle Weltmeere geht es von Großbritannien und Irland quer durch Westeuropa, die Mittelmeerregion und Nordafrika, Indien, Asien, Australien und Neuseeland sowie Nordamerika und Mexiko. In lesenswerten Einseitern zu jedem Kapitel schreibt er liebevoll anekdotisch über seine kulinarischen Entdeckungen: Über die Genussmenschen, die ihm auf allen Kontinenten und in allen Ländern begegnet sind, über ihre kulinarischen Traditionen und kleinen Küchengeheimnisse. Und natürlich über die Gerichte, die ihn auf seinen Streifzügen besonders beeindruckt haben.
Die Rezepte, die es bis in das Buch geschafft haben, werden ausführlich beschrieben. Einem jeden ist nochmals eine kurze Einleitung vorangestellt mit kleinen Tipps und Tricks für die Zubereitung oder der einen oder anderen persönlichen Anekdote. Die Auswahl geht querbeet durch die Kochtöpfe des Globus und reicht von Hugos Frühstücks-Fischfrikadellen aus Cornwall über spanischen Safranreis mit Tintenfisch und Allioli, thailändischem Meeresfrüchteeintopf und verschiedenen indischen Currys bis hin zu mexikanischem Hähnchen Coloradito (übersetzt = „mit etwas roter Farbe“) und Shortcake mit Erdbeeren und Vanillecreme aus den USA. Lose sind die Kapitel nach Vor-/Hauptspeise und Nachtisch gegliedert. Man bekommt eine Menge geboten für sein Geld. Das Buch hat stattliche 285 Seiten. Allein das Kapitel über England&Irland umfasst 21 Rezepte. Zwar sind auch einige Fleisch- und Gemüsegerichte dabei (siehe unten). Der eindeutige Schwerpunkt liegt aber auf Fisch. Wer den nicht mag, der sollte von dem Buch lieber die Finger lassen.
Beim Stöbern stellt sich schnell heraus, dass gutes Essen überall auf der Welt seine Zeit und vor allem seine Zutaten braucht: Die Listen sind verhältnismäßig lang, und die Ingredienzien haben mich und mein enges Zeitbudget öfters vor logistische Herausforderungen gestellt. Dankbarerweise gibt es am Ende des Buches Hinweise zu gut sortierten Internethändlern, bei denen man insbesondere die eine oder andere Chilisorte für eine authentische Küche beziehen kann. Denn wer denkt, Chili ist gleich Chili, wird von Rick Stein eines besseren belehrt. Neben den allerweltsgrünen und –roten „mittelscharfen“ Chilis verwendet er Jalapeno-, Serrano-, Guajillo-, Pasilla-, Kashmiri- und Bird’s Eye-Chilis – und ich will nicht ausschließen, dass ich nicht noch die eine oder andere Sorte übersehen habe.
Die etwas zeitaufwendige Beschaffung der Zutaten ist auch der Grund, warum ich das Buch trotz seiner zahlreichen Stärken – überzeugende Gerichte, Rezepte, die funktionieren, atemberaubend gute Bilder und ein stimmiges Drumherum (so zum Beispiel überzeugende Grundrezepte und ein ausführliches Register) – nur solchen Köchen empfehlen kann, die Spaß daran haben, Samstagvormittag lange Einkaufslisten im Supermarkt abzuarbeiten und auch vor der Jagd nach exotischen Zutaten in diversen Spezialitätenläden nicht zurückschrecken. Zwar gibt es auch das eine oder andere schnelle und unkomplizierte Gericht (darauf habe ich mich hauptsächlich fokussiert, siehe unten). Aber um das kulinarische Potential des Buchs voll auszuschöpfen, muss man schon etwas Zeit mitbringen.
Daran, dass von Küche und Essen etwas Völkerverbindendes ausgeht, wie Rick Stein in seinem Vorwort meint, besteht im Übrigen kein Zweifel. Bestes Beispiel ist meine Großmutter, die den sprachbarrierebedingten Herausforderungen des internationalen Freundeskreises ihrer Enkelkinder regelmäßig begegnet durch das Auftischen solch bodenständiger, ruhrgebietstypischer Gerichte wie Grünkohl mit Mettwurst, Kartoffelsalat oder Reibekuchen mit Apfelkompott. Glückliches Schweigen auf Seiten unserer Gäste. Und sprachloses Verständnis und lebenslange Freundschaft zwischen ihnen und meiner Großmutter. Deutsche Gerichte fehlen übrigens noch in der Stein’schen Rezeptesammlung. Ich glaube, der Autor sollte sich mal mit meiner Oma unterhalten!
Veröffentlicht im November 2010
Ich hab das Buch schon öfters durchgeblättert – und bleibe immer wieder bei einem Foto mit toten Kaninchen hängen. Sie sind so fotografiert, dass man meint, man könne das Fell streicheln. Sicher, Kaninchengerichte sind nichts anderes als totes Kaninchen – aber solche Fotos von Kaninchenleichen finde ich dann doch nicht sehr appetitanregend. Ich hab das Buch aus dem Grunde bisher immer wieder liegen gelassen…
Ich weiss, welches Foto Du meinst. Es ist genau, wie Du beschreibst und es hat mich auch nachdenken lassen. Das ist eine sehr persönliche Entscheidung, die viel mit dem zu tun, welche Bilder im Kopf sind. Ich selber habe in der Kindheit einige Schlachtungen erlebt, vor allem von Geflugel und Hasen (übrigens in der Naehe von Bremen). Daher ist das Foto für mich sehr echt und hat kein Grauen, das auf den Magen schlaegt. Auf der anderen Seite gehöre ich zu den partiellen Vegetarieren, weil mir manche Tier zu nahe gehen, zB Kaelber (so jung). Gespraechstoff fuer einen Abend mit einer Flasche Rotwein. 🙂
Das Buch will ich schon allein deswegen haben, weil ich das Cover liebe. Ich zoome vor dem inneren Auge heraus und sehe genau wo dieser Tisch steht. Die Wellen rauschen :-).
… und dann schmeckst Du die Meeresfrüchte. Fast. So toll die Fotos!