Drei Sterne: Hat Stärken, aber überzeugt nicht ganz.
Der Phaidon Verlag erweitert seine Serie dicker Länderkochbücher: “Indien” entstammt der Feder des Hobbygastronomen Pushpesh Pant. Der kochende Politikprofessor hat bereits eine Vielzahl indischer Kochbücher veröffentlicht, u.a. “Buddhist Peace Recipes” und “Hindu Soul Recipes”, im Video (s.u.) kann man bewundern, wie er erklärt, was ein Paan (Betelblatt) ist. Der Verlag preist den Band als “das einzige Buch über die indische Küche, das Sie unbedingt besitzen sollten” an. Leider kann ich dem nicht zustimmen, im Gegenteil, dies ist mein einziges Indienkochbuch, auf das ich gut und gerne verzichte.
Aber beginnen wir von vorne. Voller Vorfreude habe ich diesen Band erwartet, denn wir essen und kochen begeistert indisch. Hier wurde uns das ultimative Indienkochbuch versprochen, quasi der Larousse des Subkontinents. Der erste Eindruck war geprägt von OH – wer könnte nicht begeistert ein derart dickes Kochbuch in den Händen halten?! – aber das AH ließ auf sich warten. Einen ersten Minuspunkt gab es für das (Alt?)papier, das zwar leicht und bunt auf sich aufmerksam macht, aber bereits vermuten lässt, dass es allzu bald vergilbt. Mein Sohn klärt einen weiteren Aspekt: so dünnes Papier zerreißt ganz schnell beim Blättern. Der Band beginnt mit einer gut lesbaren Einleitung zur Geschichte indischen Essens, ayurvedischer Einflüsse, den wichtigsten Regionen und ihren kulinarischen Traditionen. Der anschließende Rezeptteil ist im Umfang vor allem eines: erschlagend.
Arbeit für die Leser:in
Dies ist kein Buch, das man freudig querliest. Der Rezeptteil ist überwiegend unbebildert, farbig gedruckte Impressionen von Indien leiten die einzelnen Kapitel ein und etwa alle 50-100 Seiten durchziehen den Band jeweils 8 Doppelfotoseiten. Warum nur findet man bei so wenigen Fotos dasselbe Gericht auf mehreren Abbildungen? Z.B. Kokos Chutney (S. 38, 115 ), Mango-Pickle aus Telangana (S. 47, 117), Masala Tee (S. 197, 687), Geschichtetes Fladenbrot (S. 546, 595), Chutney aus Curryblättern (S. 44 , 597).
Sonderlich ist auch das Auseinanderreißen zweier Abbildungen zum selben Gericht, z.B. “Gebackener Fisch im Bananenblatt” (S. 125, 127), oder dass zwei Bilder desselben Gerichtes (Trockenes Khichari S. 285, 602) ganz unterschiedlich aussehen. Oder ich blicke auf einen Teller halb mit Garnelen, halb mit Bohnen, von denen nur das Rezept der Bohnen genannt wird (S. 388). Schade, die appetitlichen Garnelen habe ich nirgendwo wiedergefunden. Welches Rezept das wohl war? Das gesagt, bin ich gerne bereit auf Fotos zu verzichten, wenn nur die Rezepte stimmen. Aber genau hier beginnen meine Probleme.
Die reiche Rezeptauswahl muss man recht genau durchlesen, um sich für ein bestimmtes Gericht zu entscheiden, denn Pant schreibt präzise und knapp: Name, Herkunftsregion, Kochzeit, Mengenangabe, Zutatenliste und Anleitung, doch nicht ein einzelner Satz, der das Gericht ein wenig beschreibt. Da sich ein Großteil der Gewürzzutaten in gefühlt jedem Rezept wiederfindet, erschließt sich mir nicht ohne weiteres, wie sich die einzelnen Rezepte unterscheiden.
Verbesserungen
Sehr positiv ist jedoch zu vermerken, dass die deutsche Ausgabe einige Mängel der Originalausgabe, die ich zum Vergleich heranziehen konnte, beseitigt hat. So fehlt im englischen Original das Stichwort “Suppe”, nur mit Hindi-Kenntnissen kommt der Suppensuchende unter dem Stichwort “Rasam” weiter! Aus uneindeutigen Angaben wie “Chicken Tikka Breast” als Zutat für das Murg Sheora Natwara wird in der Übersetzung “Hähnchenbrust ohne Haut und Knochen, in 2-3 cm große Stücke geschnitten”. Damit kann man etwas anfangen. Auch wer ansonsten gerne zu englischen Kochbüchern greift, sollte hier die deutsche Fassung bevorzugen.
Mir fehlt v.a. ein klares, auf die Leser ausgerichtetes Konzept. Die nur minimal kommentierte Rezeptfülle mag für den indischen Markt stimmig sein, da die dortigen Leser in dieser Küche heimisch sind. Als nicht indische Leserin hätte ich mehr Freude an potentiell weniger, dafür anschaulicher dargebrachten Rezepten. Und da ich nicht täglich indisch koche bzw. Restaurantportionen herstellen möchte, sind manch elementare Rezepte wie die Knoblauchpaste, die in großen Mengen hergestellt werden soll, aber nur kurz im Kühlschrank haltbar ist, nicht praktikabel für mich. Frischer Knoblauch im Rezept wäre eine bessere Lösung. Mir scheint, Puspesh Pant ging es wohl mehr um die getreue Dokumentation als um seine zum Nachkochen entschlossenden Leser.
Das Kochen selber gestaltet sich unproblematisch, unser indisches Festmahl erweist sich als weitestgehend anständig, wenn man von der suppenartigen Konsistenz des Currygerichts absieht. Es schmeckt, nicht mehr und nicht weniger, doch die übliche Begeisterung seitens der Familie bleibt aus. Dies ist nicht das einzige Indienkochbuch, das ich je brauchen werde. Sorry. Masse ist nicht gleich Klasse. Es sei denn, man versteht sich als kulinarischer Dokumentar.
Veröffentlicht im Januar 2013
Ich kann die Kritik voll und ganz nachvollziehen. ich habe das Buch gekauft, voller Vorfreude begonnen zu lesen – und ich bin sehr enttäuscht. Hier ersetzt Masse die Klasse. Und ich erwarte keine Moodshots, aber ich finde diese Rezeptesammlung, so umfassend sie sein mag, so lieblos, dass ich gar keine Lust verspüre, etwas nachzukochen.
Aber an Euch ein herzliches Danke für die mit viel Liebe betreibene Website!
Vielen Dank für Deine herzlichen Worte!! 🙂
Ich kann die Kritik nur teilweise nachvollziehen. Natürlich handelt es sich bei Rezepten um Geschmacksache. Und für Leute mit Kindern ist das leicht zerreißbare Papier sicher ein Punkt. Auch wenn ich mir mehr Fotos gewünscht hätte: Ich habe bisher mind. 10 Gerichte nachgekocht und bin begeistert von der Bandbreite der Auswahl, der lokalen Zuordnung, der präzisen Beschreibung. Vor allem hat mich positiv überrascht, dass gerade TROTZ der sehr ähnlichen Zutaten Gerichte häufig völlig anders schmecken. Zwar hat das Nachkochen was von etwas Risiko aber wer sich daran nicht stört, sondern gerne auch mal ausprobiert, ist mit dem Pushpesh Pant bestens bedient. Sicher kein Mood-Shot-Foto-Buch a la Jamie oder Donna Hay. Aber für mich eines der umfassendsten Indien-Kochbücher, das ich nicht missen will (engl. Version übrigens)
Danke für Deine Einschätzung. Ich gebe zu, ich war sehr gespannt auf Deine Meinung und die einiger anderer Bloggerinnen, von denen ich wusste, dass sie das Buch haben.
Danke, das ehrt mich. Im Blog gibt\‘s ja auch schon einige Rezepte aus dem Buch. Ich verstehe, was Annick meint. Aber es wird dem Buch nicht ganz gerecht bzw. kommt – das wird mir jetzt klar – sehr darauf an, was man sucht u. wie man kocht. Für eine Familie, die zudem wissen will, was sie erwartet, wenn sie ein Gericht ausprobiert, ist das Buch sicherlich schwieriger. Ich fand aber gerade sympathisch, dass nicht unendliche Mood-Shots und Gefühlsduseleien vom Eigentlichen ablenken. Da ist man dann hinterher nämlich auch oft enttäuscht. Trotzdem: Sehr spannende Rezension u. deshalb mal wieder ein dickes Dankeschön an Eure Seite!!
Herzlichsten Dank. Ja, ich kann Dir sehr folgen. Wir haben darüber auch diskutiert. Und sowieso ist die kulturelle Arbeit, die Pushpesh Pant geleistet hat im Sinne es ein Chronisten der Alltagskultur immens.
Interessanterweise ist es mir vor Kurzem bei anderem wunderschönen Buch von Phaidon ähnlich ergangen wie Annick und zwar bei The Art of French Baking . Zunächst war ich hingerissen, aber dann waren mir viele frz Patisserie-Spezialitäten nicht geläufig, obwohl ich mich durchaus etwas auskenne und es fehlt die kleine Raffinesse der Gegenwart, außerdem an Butter und Ei etc. Im Grunde geht es um die Frage des Spannungsfeld: Mitnehmen des Leser, der nicht id Küche zuhause sowie moderne Verfeinerungen vs Präsentation von authentischen Rezepten. Wir haben uns für ersteres entschieden. Und das liegt in den Augen des Betrachters. 🙂
Ich muss mich hier anschließen. Ich selbst bin indischer Abstammung und kenne mich daher in der indischen Küche gut aus. Das Buch hat mich zunächst auch wegen des Layout abgeschreckt. Kaum Bilder, keine Zuordnungsmöglichkeiten der wenigen Bilder zu allen Rezepten – und für mich persönlich am schlimmsten: Es wird nicht gesagt, welche Gerichte man zusammen serviert (dies ist gerade bei Chutneys und Dosas zum Beispiel wichtig, wenn man es noch nicht weiß) bzw. Sachen, die zusammen gehören, werden als getrennte Gerichte behandelt.
ABER: Die Rezepte sind super! Ich habe schon vieles nachgekocht – auch Gerichte, deren Rezepte ich bisher nirgends finden konnte – und der Großteil dessen war fabelhaft. Einige Gerichte sind sehr einfach, so dass man in wenigen Minuten ein indisches Essen zubereiten kann, einige sind etwas ausgefeilter und benötigen Zeit. Man kann das Buch sicher eher als Dokumentation sehen und am Äußeren wurde sichtlich gespart, aber an den Rezepten selbst kann ich höchstens bemängeln, dass die Knoblauch- und Chili-Angaben für Europäer (und viele Inder) doch etwas großzügig sind – zumindest bei den Chutneys.