Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
An zu vielen Stellen werden von zu vielen Menschen zu viele Dinge entsorgt, die im Prinzip noch genießbar wären. Ein Gebrechen einer Überflussgesellschaft, gegen das kein Kraut gewachsen scheint? Vielleicht doch …
Für Paul Ivić (Foto links), Inhaber dreier Lokalitäten in München und Wien, davon zwei mit Stern, heißt es „Flower Sprouts“: Mit dieser Kreuzung aus Rosen- und Grünkohl im Arm sprach einst Robert Brodnjak bei ihm vor. Der Ex-IT-Manager und Neu-Gemüsebauer war auf der Suche nach Abnehmern und für 35 Euro pro Kilo wäre auch das TIAN dabei. Ivić schreibt, er sei in diesem Moment kurz davor gewesen, den Mann aus dem Laden zu werfen. 35 Euro! Für Kohl! Als er jedoch eine Kostprobe intus hatte und sich herausstellte, dass auch Stängel, Blätter und Abschnitte genießbar waren, sah die Sache anders aus. „Krautwerker“ Brodnjak und er waren im Geschäft – und Ivić nachdenklich.
Der Wert von Lebensmitteln
Wie kann es sein, fragte er sich, dass dieses Grün so viel besser war als alles, was er bislang in den Fingern hatte? Und wieso war er nie so daran interessiert gewesen, auch die „Second Cuts“ zu verwenden?
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Mehr Kochbücher zur Nachhaltigkeit bei Valentinas
Seinem Nach- und Umdenken zum Wert von Lebensmitteln kann man in „Restlos gut“ knapp 200 Seiten lang folgen. Für den Brandstätter Verlag hat Ivić diesen „Versuch, die Welt auf kulinarischem Weg zu verbessern“, aufgeschrieben und mit zahllosen Rezepten gespickt. In Anlehnung an die Flower Sprouts von einst verarbeitet er zum Beispiel Blumenkohl – wahlweise im Ganzen gebacken oder zu Püree gerührt, die Blätter zu Salsa geschnitten oder als Vanille-Kümmel-aromatisierter Spinat geschmort, die Stiele mit Ingwer gegart, die rohen Röschen zu Salat mariniert.
Wo das Ei nach Ei schmeckt
Außerdem hat er sich auf die Suche nach dem „echten“ Geschmack gemacht, die ihn einmal rund um Wien führt: Unter der Überschrift Regionalität ins Weinviertel zum Sauerteig-Bäcker Georg Öfferl, in Sachen Saisonalität aufs winzige Feld der erwähnten Krautwerker, und schließlich auf den Biohof Schäffer, wo Kreislaufwirtschaft betrieben wird und Mensch und Natur Partner sind statt Gegner.

Diese Mischung aus Essay- und Rezeptband wurde von Caroline Plank-Bachselten in ein schlichtes und variantenreiches Layout verpackt, an dem mir vor allem die Nummerierung gefallen hat, mit der die Zuordnung von Rezeptfoto und Anleitung ein Leichtes war. Die Aufteilung auf die Großkapitel „From Root to Leaf“ (sic), „Mit Laib und Seele“, „Sharing Chef’s Garden“, „Haltbar machen“ und „Basics“ hingegen erschien mir nicht überall plausibel, war aber angesichts der Vielfalt der Gerichte vielleicht nicht anders möglich. Denn vor allem im innovativen Umgang mit Rohstoffen und Küchentechniken zeigt sich Ivićs Talent. Er weiß um Röstaromen genauso wie um langsame, schonende Geschmacksentwicklung durch Fermentation oder Reifung. Das macht manches im Buch zu Geduldsproben, weil es eben seine Zeit braucht, bis ein Melonenschalen-Kimchi reif ist. Dafür versprechen seine Ideen Erlebnisse jenseits des Aromenmainstreams.
Eine Frage der Balance
Für uns waren es die beiden unscheinbarsten der getesteten Rezepte, die am meisten überzeugten: Kleine, buttergebratene Sauerteig-Crumpets mit einer Creme aus weißen Bohnen und Cashews sowie das Sauerteig-Mischbrot „Madame Crousto“ nach Bäckermeister Öfferl. Am längsten zu tun hatten wir mit dem Aschermittwoch-Salat mit Rote-Bete-Hummus und Kartoffelbrot. Nicht nur ob der schieren Menge – das Rezept sättigt locker fünf bis sechs Personen und Hinweise zu Portionsgrößen fehlen konsequent –, sondern auch ob der notwendigen Vorbereitung.
Paul Ivić:
„Jeder von uns kann etwas tun. Und sei es, wunderbares, nachhaltiges Essen zu kochen. Das ist schon sehr viel.“
Hier zeigte sich exemplarisch manche kleinere Unausgewogenheit, die ich am Buch beobachte: Das Gemüse für den Salat wird beispielsweise im Salzbett gebacken, was insbesondere bei Roter Bete seine Zeit braucht. Was anschließend mit diesem Salz geschieht, bleibt ebenso offen wie die Frage, warum der Ofen derart lange laufen muss, wenn hinterher doch alles in einem intensiven Dressing endet. Hier hätte ich weitere Ideen zur Balancierung von Genuss- und Nachhaltigkeitsanspruch begrüßt.
Der Verlag hat der Umwelt zuliebe auf die Folienverschweißung verzichtet und Fotograf Ingo Pertramer auf künstliches Licht. Paul Ivić beschränkt sich in „Restlos gut“ auf heimische Zutaten und handelsübliches Küchenequipment, um aus seinen vegetarischen Essen buchstäblich alles herauszuholen. Seine Auseinandersetzung steht ganz im Zeichen von Kreativität und Genuss. Das dürfte vor allem jene interessieren, die aus Dingen wie Brotresten mehr machen wollen als Arme Ritter und küchenerfahren genug sind, um sich beispielsweise Portionsgrößen selbst zu erschließen.
Veröffentlicht im Mai 2021
Ich habe das Buch „Restlos gut“ von Hugh Fearnley-Whittingstall und bin damit auch „rest-los“ zufrieden. Sehr sogar. Gute Unterteilung in die verschiedenen Bereiche, so finde ich schnell ein Rezept, das zu meinem Rest passt. Mehr noch: Hugh F-W. kocht vorausschauend, d.h. er plant die Reste schon im Voraus mit ein. Sehr praktisch. Und seine Rezepte sind wie immer bei ihm sehr präzise, gut nachzukochen, nicht zu kompliziert und sehr lecker.
Ein „Blick ins Buch“ bei Paul Ivic’s „Restlos glücklich“ konnte mich bislang nicht so richtig überzeugen, vieles klingt für mich weniger alltagstauglich, auch scheinen die Angaben nicht 1:1 in der Praxis zu stimmen. Mal sehen, wie ich über das Buch denke, wenn ich es in einer Buchhandlung einmal komplett durchblättern kann…..