Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
Um das fünfbändige Werk Modernist Cuisine bin ich schon oft im Buchhandel herum geschlichen. Die großartigen Detailfotos und das immense Wissen in diesem Buch haben mich begeistert, trotzdem blieb die Frage: „Brauche ich das wirklich?“ Ich habe die Entscheidung vertagt und wollte zuerst die Neuerscheinung von Modernist Cuisine at Home abwarten, eine „abgespeckte“ Ausgabe für den Hausgebrauch – aber tatsächlich immer noch ein Kochbuch von beeindruckendem Gewicht. Dieses Buch hat den Hobbykoch im Fokus und überträgt moderne wissenschaftliche Methoden auf das Kochen im Privathaushalt.
Moderne Kochmethoden wie z. B. Sous-Vide-Garen gehören in guten Restaurants mittlerweile zum Standard und immer mehr ambitionierte Hobbyköche statten ihre Küche daheim mit solchen Geräten aus. Das Interesse am Hintergrundwissen dazu steigt und benötigt den Erfahrungsaustausch von Experten. Die Zusammenarbeit von Köchen und Wissenschaftlern findet mittlerweile regelmäßig statt und ist für beide Seiten sehr bereichernd. Modernist Cuisine at Home hat sich zur Aufgabe gemacht, dieses Wissen für den Hobbykoch bereitzustellen.
Beide Autoren glänzen mit hoher Kompetenz. Nathan Myhrvold promovierte in den USA in Wirtschaftsmathematik und theoretischer Physik. Er baute als Chief Technology Officer unter anderem Microsoft Research auf und verließ das Unternehmen, um sich intensiv seiner Leidenschaft für Kochen und Lebensmitteltechnologie zu widmen. Maxime Bilet erwarb sich einen Bachelor in Kreatives Schreiben, Literatur und Visuelle Kunst und einen Studienabschluss mit Auszeichnungen am Institute of Culinary Education in New York. Seine Praxisstationen waren ebenfalls auf sehr hohem Niveau, u. a. im Entwicklungsteam des Fat Duck bei Heston Blumenthal in London.
Modernist Cuisine at Home besteht aus drei Teilen. Neben dem großformatigen und dicken Buch gibt es ein Ringbuch im DIN A4-Format mit allen Rezepten. Beides steckt in einem sehr stabilen Schuber. Das ist sinnvoll, da es sehr schade wäre, wenn dieses hochwertige Buch in der Küche verschmutzt wird.
Im ersten Teil des Buchs werden ausführlich Küchengeräte, alles rund um das Sous-Vide-Garen und Zutaten vorgestellt. Die Fotos begeistern mich. Es gibt Fotostrecken, die jeden Arbeitsschritt präzise verfolgen lassen und die vielen Querschnittsaufnahmen der Geräte lassen mich staunen. Hier kann ich zum ersten Mal das Innenleben einer iSi-Flasche oder einer Mikrowelle sehen. Aber auch ganz konventionelle Geräte wie Elektroherd oder Schnellkochtopf werden genau erklärt. Überrascht hat mich, dass der Thermomix nicht erwähnt wird. Er gehört mittlerweile zu den Lieblingen der Hobbyköche. Das Kapitel über die Zutaten ist eher knapp gehalten und beschränkt sich auf ein paar Exoten und allgemeine Beschreibungen.
In Teil 2 sind 406 Rezepte in 23 Kapiteln zu finden. Auch hier werden die Arbeitsschritte mit vielen Fotos dokumentiert. Exemplarisch möchte ich die Eiertexturen nennen, wo zu 14 unterschiedlichen Temperaturen das aufgeschnittene Ei gezeigt und Zustand von Eigelb und Eiweiß beschrieben wird. Alle Rezepte sind sehr exakt formuliert, die Mengenangaben sind in Gramm angegeben und die Zubereitungsschritte sind genau beschrieben. Die Rezeptauswahl ist wohl auch dem amerikanischen Geschmack geschuldet. Es finden sich Kapitel wie Cheeseburger, Chicken-Wings oder Mac and Cheese. Im Kapitel Meeresfrüchte wird das Töten eines Hummers mit dem Messer beschrieben. Das hätte für den deutschen Markt überarbeitet werden müssen, da dies bei uns verboten ist.
Das Buch lädt zum Schmökern, Staunen und Lernen ein und ich war schon sehr gespannt auf den Praxistest. Als erstes sollte es ein Rindersteak aus der Kühlbox und mit einer Hollandaise Sous-Vide geben. Das Steak-Rezept ist eine witzige Alternative für Sous-Vide-Garen mit Bordmitteln. Dazu ist weder ein Sous-Vide-Garer noch ein Vakuumierer notwendig. Das Fleisch kommt in einen Plastikbeutel mit einem Gleitzug und wird in einer Wasserschüssel verschlossen. Danach gibt man es in eine Kühlbox mit entsprechend temperiertem Wasser. Beides hat wunderbar funktioniert, das Fleisch hatte den perfekten Garpunkt und war ein großer Genuss.
Die Hollandaise wollte ich machen, weil hier zwei moderne Küchengeräte zum Einsatz kommen: der Sous-Vide-Garer und die iSi-Flasche. Die Menge habe ich halbiert, 6 Eigelb und ein Paket Butter ist einfach zu viel im Privathaushalt. Mit dem Ergebnis war ich nicht zufrieden, da es ziemlich umständlich war das Eigelb mit der Weinreduktion sous-vide zu garen. Vom Herausschaben des Garguts aus dem Beutel will ich noch gar nicht sprechen. Die Masse wurde dann mit der flüssigen Butter mit dem Pürierstab vermengt und in die iSi-Flasche gegeben. Mein Ergebnis war eine Sauce, die innerhalb von Sekunden abstürzte und sich wieder in die Bestandteile trennte. Künftig mache ich das wieder nach der konventionellen Methode.
Das Buch bietet auch viele Rezepte, für die keine besondere Ausstattung notwendig ist. In diese Kategorie fallen die knusprigen Chicken-Wings auf Koreanische Art. Die können in jeder Küche zubereitet werden. Sie werden zuerst mariniert und dann mit Mehl bestäubt und im Topf frittiert. Dazu gibt es eine würzige Sauce, mit der sie überzogen werden. Die besonderen Zutaten sind im asiatischen Supermarkt leicht erhältlich. Auf die Verwendung von Glutamat habe ich verzichtet. Sie sind einfach zuzubereiten und waren geschmacklich absolut überzeugend. Die wird es bei uns jetzt öfters geben.
Modernist Cuisine at Home ist kein Buch für schnelle Anregungen, man muss sich damit schon intensiv auseinandersetzen. Dann bietet es enormes und sehr gut aufbereitetes Wissen und jede Menge Denkanstösse. Bei dem hohen Niveau und der akribischen Darstellung von Küchengeräten, Arbeitsschritten und Gerichten hätte ich mir eine Anpassung an deutsche Gegebenheiten gewünscht. Ich werde das Buch noch oft zur Hand nehmen, um Zusammenhänge zu verstehen und neue Methoden auszuprobieren. Wer sein Kochwissen erweitern und innovative Methoden aus der Profiküche übernehmen will, der wird mit dem Buch sehr glücklich werden. Meine Frage, ob ich mir auch Modernist Cuisine anschaffen möchte, ist immer noch offen. Die Faszination ist immer noch da, auch wenn ich mir mittlerweile darüber im Klaren bin, dass ich nicht alles nutzen würde.
ZUM REZEPT: Steak – auf dem Blog bushcooks kitchen von der Rezensentin Dorothée Beil
Veröffentlicht im Februar 2014
Das mit dem Thermomix ist nicht verwunderlich, wenn Du berücksichtigst, daß es sich um ein amerikanisches Werk handelt. In den USA hat keine Sau einen Thermomix, dort herrschen Vitamix und (eingeschränkt) Blendtec. Persönlich kann ich den Hype um den Thermomix ja nicht ganz nachvollziehen, denn als Blender ist vergleichsweise solala und sanftes Garen geht mit anderen Methoden besser (z.B. sous-vide) besser. Eine Küchenwaage und einen Dampfgarer hab ich auch schon – wozu also den Thermomix?
Gute Frage, stelle ich mir auch immer wieder. Denn alle Thermomix-Eigentümer sind so verzückt!
Ja Peter, da bin ich voll bei Dir. Auch als Thermomix-Besitzerin habe ich den Hype nie verstanden. Er ist wohl in USA erhältlich und hat sich eben nie durchgesetzt.
Zum Thermomix kann ich etwas besteuern: ein Mixer mit Messer der gleichzeitig erwärmt werden kann. Das Gargut wird immer wieder an den Rand gedrückt und nicht optimal gerührt. Temperatur etwas ungenau. „Er kann alles aber nichts richtig“ ist eine nicht unpassende Beschreibung. Für ambitionierte Köche – nach über 15 Jahren Erfahrung – eher nicht geeignet. Sous Vide geht gar nicht, ebensowenig Kochen größerer Mengen (> 4).
Würde jetzt immer eine gescheite Küchenmaschine vorziehen.
Spannendes Buch, vielen Dank für die Rezension