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Katharina Höhnk

Kochbuch von Monica Meehan + Maria von Baich: Die alte Wiener Küche ★★★★

Die alte Wiener Küche – 105 traditionelle Familienrezepte der Baroness von Winkler
Monica Meehan und Maria von Baich, Christian Verlag (2012)
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Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.

Sylvia Peters

Von

Hier lässt es sich schmöckern

Zweihundertdreiundzwanzig Seiten schluchz, trief, schnief. Wien! Seufz! Diese Braten, Kekse, Kuchen, Strudel! Die Tortenrezepte, die beginnen mit “man nehme siebenundzwanzig Eier” (naja, vielleicht nicht ganz so viel). Und diese Fotos! Das Cafe Demel, der Esterhazy-Keller, diese Fiaker, Kronleuchter, Ringstraßenzuckerprachtbauten, die Oper, schluchz!, die Hofburg, seufz!, diese alten Straßenbahnen, doppelseufz!

Wien ist wie gemacht für nostalgische Gefühle, die glorreiche Vergangenheit der k.u.k. Monarchie, die sich auf wunderbare Weise hinüber in die Moderne, gerettet hat; sichtbar noch immer in den wundervollen Prachtbauten im 1. Bezirk, der Oper, den Theatern, den wundervollen Kaffeehäusern, dem Dom, der Hofburg, den Galerien und Werkstätten, den Zuckerbäcker und Schokoladenverführungen. Schon ein Kellner, sagen wir mal, im Cafe Schwarzenberg, ist für mich nicht nur ein Kellner, sondern repräsentiert für mich in seiner ganzen unaufgeregten Gelassenheit, dem schmelzigen “bittscheen” ein ganzes untergegangenes Reich samt Radetzkymarsch.

Mich und ähnlich schwer von unterschwelligen Wien-Sehnsüchten Leser muss die Autorin Monica Meehan im Blick gehabt haben, denn bei mir schlägt so ein Werk mächtig aufs Gemüt. Mal ganz ehrlich, ich habe mehr darin herumgeblättert als nachgekocht. Wohl wissend, dass es am heimischen Tisch, so heimelig der nun auch sein mag, nicht dasselbe ist wie bei Plachutta, dem Tafelspitzparadies, dem Schnittchenkaiser mit dem unaussprechlichen Namen Trzesniewski oder in den großen Ringstraßencafes. Auch eine Sachertorte schmeckt vor Ort am besten. Ansonsten ist es ein relativ trockener Kuchen mit Marmelade. Und ein “skandalöös!” klingt nur in der Wiener Staatsoper wirklich nach einem Skandal.

Ich habe trotzdem tüchtig nachgebacken. Ja, hauptsächlich gebacken, denn wenngleich der schöne altrosafarbene Band mit dem kleinen Guglhupf auf dem Titelbild in zehn Teile geteilt ist, wird schnell klar, worum es hier eigentlich geht: Süßkram. Den Vorspeisen, Suppen und Einlagen, Fleisch und Fisch, Gesalzenen Mehlspeisen und Beilagen, Gemüse und Salaten sind insgesamt nur knapp 70 Seiten gewidmet, der Rest sind Gebäck, Süße Mehlspeisen, Kuchen und Schnitten, Torten, Desserts und Konfitüren. Zu den meisten Rezepten gibt es ganzseitige Fotos, die denen von der Stadt Wien selbst in nichts nachstehen, mit Spitzendeckchen, funkelndem Silberbesteck, geschwungenen Saucieren, edlem Service, teils auf rustikalem Holz. Der Fotograf hat, so liest man im Nachwort, einen touristischen Fotomarathon von 200 Aufnahmen an nur einem Tag bewältigt, und das Kunststück geschafft, die Nostalgie ordentlich wehen zu lassen ohne jedoch billig-plakativ daher zu kommen.

Wiener Schnitzel, Kartoffel- oder Heringssalat, Linsen- oder Schwammerlsuppe (dt. Pilzsuppe) oder auch Erdäpfelkren (ein Kartoffelpüree mit Meerrettich) stellen keine unüberwindlichen Anforderungen dar, denen Anfänger nicht gewachsen sind, zumal die Rezepte durchgängig klar verständlich, ohne Umschweife und mit der nötigen Sorgfalt notiert wurden. Nur rumgeizen sollte man nicht – die “Mohntorte Tante Fränzchen” verlangt sechs Eier. Und dass schnell mal ein ganzes Stück Butter und fast ebenso viel Zucker im Teig verschwinden, sollte einen auch nicht abschrecken. Viele der Kuchen und Torten haben ähnliche Mengenverhältnisse – Mehl, Butter, Zucker (fast immer Puderzucker) zu gleichen Teilen, dazu ordentlich Mandeln, Haselnüsse oder Mohn gefolgt von einer halben Packung Eier (fast immer getrennt, das Eiweiß aufgeschlagen und untergehoben, dafür dann ohne Backpulver) und einem gerüttelt Maß feinster Schokolade plus Schlagsahne, schwupps, schon ist man im österreichischen Mehlspeisenparadies. Da das Bessere leider schon immer ein Feind des Guten war, muss ich zugeben, dass ich von dem Schokokuchenrezept nicht sonderlich beeindruckt war, da habe ich inzwischen üppigere und beeindruckendere gegessen. Auch die Altwiener Topfentorte war nicht so hundertprozentig mein Geschmack. Aber das Buch strebt ja auch keine Neuinterpretation der Wiener Küche an, sondern versammelt Rezepte, die eben tatsächlich noch aus der glanzvollen k.u.k-Zeit stammen.

Das überhaupt ist der größte Pluspunkt des Buches, der Schlüssel zu allem – Tante Herthas braunes Notizbuch, das lange Jahre in einer Küchenschublade verbrachte und auf Umwegen zur Autorin gelangte. Die Großmutter der Autorin und besagte “Tante Hertha”, die Baroness von Winkler, waren Cousinen und mit einem Satz neugierig-heißer Ohren liest man die Biographie der feinen Dame, die sich früh für Porträtfotografie interessierte und später in einem der besten Viertel Wiens, am feinen “Graben” ein Fotoatelier eröffnete und noch später, nach dem zweiten Weltkrieg in ihrer Mansardenstube in der Nähe des Stephansdoms eine Art kleines Catering-Unternehmen betrieb. Die lebensfrohe Dame, deren Rezepte nun hier vorliegen, nachdem sie abgeschrieben, übersetzt und wieder re-übersetzt wurden, hätte man gerne selbst kennen gelernt und gerne hätte man noch zu jedem Rezept eine persönliche Geschichte gelesen. Bitteschön noch so ein Buch und noch mehr Geschichten. Von mir aus auch ohne Rezepte.

Veröffentlicht im November 2012

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