Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Japanische Küche – wer denkt da nicht zuerst an Ramen, Sushi und Sashimi? Hier kommt eine andere Perspektive: kleine Spezialitäten aus dem Izakaya.
Izakaya werden häufig als „japanische Kneipen“ beschrieben. Mit der deutschen Eckkneipe haben sie allerdings nicht allzu viel gemeinsam. Essen und Trinken sind im Izakaya untrennbar miteinander verbunden. Wo hierzulande traditionell die Getränke im Mittelpunkt stehen, werden im Izakaya zu jedem Getränk kleine Speisen gereicht (oder – je nach Motivation des Gastes – umgekehrt), und wenn man mit Bekannten oder Freunden einkehrt, wird gerne geteilt. Diese kleinen Speisen sind alles andere als deftige Hausmannskost: kein großes Chichi, aber frische Zutaten bester Qualität plus hingebungsvolle Akribie bei der Zubereitung – im Izakaya kann man in geselliger Runde und ungezwungener Atmosphäre köstlich speisen.
Das Herz eines Izakaya ist die offene Küche, die von einem Thekentresen umfasst ist, an dem die Gäste direkt Platz nehmen können. Daneben gibt es meist noch weitere Sitzplätze an Tischen mit „westlicher“ Stuhlhöhe oder auch an niedrigen Tischen auf Tatamimatten, wo man den Fersensitz trainieren kann (ächz …). Mittlerweile haben sich auch große Läden und Ketten etabliert, aber die traditionellen Izakaya sind eher klein und familiär, in den allerkleinsten findet gar nur eine Handvoll Gäste Platz. Sie finden sich inzwischen nicht nur in Japan, sondern auch in der westlichen Welt wie z.B. in Wien.
Wiener Melange
Sandra Jedliczk, Eduard Dimant, Tobias Müller, Nicole Dimant (Foto links) haben sich 2012 den Traum eines japanisch-wienerischen Izakaya erfüllt und das „Mochi“ in Wien eröffnet. „Izakaya“ ist ihr Buch zum Restaurant.
Der empfindliche rohe graue Pappeinband ist für den schonungslosen Gebrauch in der Küche nicht die erste Wahl, aber passt zum Izakaya und gefällt mir gut. Das Inhaltsverzeichnis im Stil einer Speisekarte, auf den Fotos das eine Spur zu grelle Blitzlicht mit entsprechend starken Schattenwürfen und ins Dunkle abfallenden Schummerecken, dazu schnappschussartige Nachtschwärmer-Fotos, das alles passt gut zusammen. Originell: Ein paar Extra-Informationen haben auf schmalen Packpapierstreifen Platz gefunden, die zwischen die regulären weißen Seiten mit eingebunden sind.
Gerösteter Markknochen
Rund um die Rezepte gibt es Basisinfos zur Izakaya-Kultur und zum Mochi, über die japanische Küche und den Sake. Die Rezepte selbst sind nahtlos aneinander gereiht, locker sortiert, aber ohne formale Kapitel. Es gibt Salate, Desserts und Getränke, aber vor allem Fleisch- und Fischgerichte, darunter viel Rohes und ein paar Fundstücke für Unerschrockene. Meine favorisierte Kuriosität: ein elfenbeinfarbener, längs halbierter Markknochen vom Rind, geröstet und mit orangeroter Teriyakisauce bestrichen und zum Auslöffeln. Der Anblick ist gewöhnungsbedürftig – für diese Spezialität konnte ich leider keinen Freiwilligen rekrutieren.
Menüs oder sonstige vorgegebene Reihenfolgen gibt es nicht – auch das gehört zur Izakaya-Tischkultur – und so teste ich mich nach Gusto quer durch die Speisekarte. Mein Tempo muss ich unfreiwillig drosseln. Einige Zutaten sind schwer bis gar nicht zu bekommen und lassen meine Nachkoch-Wunschliste zusammenschrumpfen. Vor allem aber tappe ich in die Falle, weil ich Sätze wie „Einige Tage ziehen lassen“ erst entdecke, als ich schon den Kochlöffel in der Hand halte. Ja ja, mein Fehler, ich weiß, ein dezenter Warnhinweis vor solchen „Tretminen“ wäre trotzdem zauberhaft.
Es muss nicht immer gleich der Mt. Fuji sein
Abgesehen davon lief es bestens! Die Speisen erwiesen sich als einfach im besten Sinne, mit nur wenigen Zutaten, die Rezepte kurz und knapp beschrieben und – bei sorgfältiger Vorbereitung, siehe oben – schnell gemacht. Diesen unprätentiösen Stil finde ich gerade für ein deutschsprachiges Kochbuch über die japanische Küche erfrischend.
Am meisten begeistert hat mich aber die kulinarische Bandbreite, vom leisen, feinsinnig ausbalancierten Sakura-Salat bis zum kräftig-bunten Feuerwerk, was die frittierten Artischocken am Gaumen zündeten. Das ist großartig und hat doch ein bisschen was vom Mt. Fuji.
Kleine Speisen, ganz groß: Fundstücke aus dem Izakaya, einfach im besten Sinne und zugleich voller kulinarischer Überraschungen für Neugierige, die sich gerne aus ihrer Komfortzone locken lassen. Ganz nebenbei ein wunderbarer Einblick in die japanische Izakaya-„Kneipen“-Kultur – und eine tolle Visitenkarte für das „Mochi“ in Wien.
Veröffentlicht im August 2019