Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Ein Mann lebt seine Leidenschaft – diese Botschaft vermittelt sich sofort, wenn man das Buch von Michael Wickert in die Hand nimmt und durchblättert. Aber wer braucht ein Buch mit 335 Seiten nur über das Räuchern von Fischen? Um es gleich vorwegzunehmen: Die Frage stellt sich in dem Moment nicht mehr, wenn man sich erst einmal hineinvertieft. Wickerts Faszination fürs Fischen und Räuchern überträgt sich schnell. Und man fragt sich, wie man bis jetzt durchs Leben kommen konnte, ohne die wunderbaren Möglichkeiten des Räucherns intensiv zu nutzen.

Michael Wickert (Foto links) nennt das Kernstück seines Buches „Räucherschule“. Aber bevor die losgeht, muss man sich durch 120 Seiten Sachtext arbeiten. Was trocken klingt, macht erstaunlich viel Lesespaß, denn die Texte sind gut lesbar geschrieben und plastisch bebildert. Entscheidend aber ist, dass der Autor sich als ein wirklicher Kenner der Materie entpuppt und ich schon auf Seite 33 ein Aha-Erlebnis hatte.
Ein fesselndes Handbuch
Im Urlaub an der Ostsee wählte ich mangels Wissen immer zielgenau den schlechtesten Räucherfisch, der im Angebot ist. „Butterfisch“ klingt irgendwie vertrauenerweckend, aber die Grundlage für dieses wohlklingende Produkt ist laut Michael Wickert schlicht Beifang, und Öl und Fett dieser Tiere bestehen bis zu 90 % aus unverdaulichen, wachsähnlichen Verbindungen. Hätte ich es doch nur früher gewusst! Es erklärt diesen Bleiklotz im Magen nach dem Verzehr, den ich auf die schlechte Verdaulichkeit von Räucherfischen generell bezogen hatte! Hier und an diversen anderen Stellen ist die Warenkunde so umfassend, dass man unglaublich viel Neues erfährt, auch weit über das eigentliche Räuchern hinaus und mit direktem Lebensbezug.
Zum Weiterlesen
Leseprobe beim Verlag
Website & Instagram des Autors
Mehr Fischkochbücher bei Valentinas
In meinem Fall gilt dies ganz besonders für das Beschaffungsproblem bei Fisch. Ich traue der Frische im Laden nicht besonders und bin erst neulich vorsichtig als Kundin bei einem heimischen Teichbetreiber fündig geworden. Ist das nicht Aquakultur? Das ist doch eins dieser Unwörter, bei denen Massentierhaltung mitschwingt. Als Kunde ist man schrecklich verunsichert, bei Fisch viel schlimmer als bei Fleisch. Michael Wickert bestärkt mich in meiner Suche nach heimischen Betrieben, von denen es laut ihm zahlreiche in allen Landesteilen gibt. Und er klärt auf über die Aussagekraft der verschiedenen Siegel auf den Verpackungen.
Darüber hinaus, und hier wird es richtig interessant, empfiehlt er besondere Fischdelikatessen wie Schleie und Karpfen, die nicht immer den besten Ruf genießen, die aber – wenn in den Zuchtbetrieben richtig behandelt – ein tolles Genusserlebnis werden können. Man erfährt, dass diese Fische eine Saison haben und in welchen Landesteilen sie in zahlreichen Familienbetrieben gezogen werden. In dieser Weise sind die Seiten dicht mit Informationen gespickt, einfach überzeugend!
Der Fachmann und sein Wissen
So viel Wissen kommt natürlich nicht von ungefähr. Michael Wickert bekam im Alter von 6 Jahren eine Angel geschenkt und fing seine erste Forelle als Initiationsritual für seine Passion. Er studierte nach der Schule Fishery Sciences and Aquaculture und arbeitete sich anschließend durch diverse Kontinente und Fischfachbetriebe. Als Fischereiwissenschaftler, Räuchermeister und passionierter Angler hat er die idealen Voraussetzungen, um uns Lesern Fischwissen zu vermitteln und uns in die Kunst des Räucherns einzuführen.

Natürlich hilft dabei auch Wickerts Faszination für den Duft und Geschmack des Räucherns. Amüsiert haben mich sein Geständnis unzähliger Misserfolge beim Räuchern und seine Mission, uns Lesern solche zu ersparen und uns zum Experimentieren anzuregen. Das macht Mut, aber natürlich muss es ihm zunächst einmal gelingen, sein Wissen kompakt und verdaulich herüberbringen.
Das Buch beginnt mit Hinweisen zum Einkaufen, Selberangeln, Fischeausnehmen, zu Nachhaltigkeit und einer Erläuterung der üblichen Labels. Man erfährt, welche Sorten aus Meer und Binnengewässern Fettfische sind, weil nur diese sich zum Räuchern eignen, und die Fische werden sehr gut einzeln vorgestellt. Im Kapitel „Let’s get ready“ erörtert Wickert die verschiedenen Räuchermethoden, chemische Reaktionen dabei, Materialien der Geräte, Zubehör, Späne-Warenkunde, Salzen, Würzen und Unterschiede und Gemeinsamkeiten beim Räuchern, Smoken und BBQ.
Daran schließt sich die eigentliche Räucherschule an mit drei unterschiedlichen Methoden. Wunderbar umfassend, weil alle derzeit gängigen Öfen, Smoker und Grills vorgestellt werden im praktischen Einsatz. Selbst der kleine Tischräucherofen und DIY-Methoden im Erdloch oder der „Kirmes“-Flammlachs werden berücksichtigt. Dazu Hinweise, was schiefgehen kann und wie man eigene Kräuter einsetzen kann.
Michael Wickert:
„Dieses Buch widme ich allen, die das Handwerk bewahren, die Natur achten und hausgemachte Lebenmittel herstellen und genießen. Allen, die wie ich eine Leidenschaft für das Fischräuchern hegen.“
Was hier vielleicht grau klingt, bleibt immer unterhaltsam, weil Wickert zwischendurch mit vielen alten Mythen aufräumt und sehr viele Bilder zu den einzelnen Vorgängen beim Zerlegen und Räuchern die Theorie illustrieren. Der Autor zeigt, wie man Fehlversuche retten kann und bleibt dabei sehr auf der Höhe seiner Leser – denn Fehlversuche wird es viele geben, bis man die richtige Technik drauf hat, weil es nicht leicht ist, die Temperaturen beim Räuchern stabil zu halten und die richtige Feuchtigkeit der Späne und des Holzes zu erreichen, sodass nichts verbrennt.
In den letzten drei Kapiteln geht es dann noch um andere Konservierungsmethoden mit Salz, Zucker, Säure und Luft. Auch eine Gewerbeanmeldung wird thematisiert und häufig gestellte Fragen werden beantwortet. Dazu werden in „Fisch und Rauch“ Produzenten backstage gezeigt für alle Bereiche und schließlich Bezugsquellen für viele im Buch erwähnte Produkte genannt. Die Fabrikbesichtigungen sind nicht so sehr auf Werbung ausgerichtet, sondern zeigen auf, wie gut professionell hergestellte Grundstoffe und Produkte sein können, wenn man mal einen Vergleich sucht.
… und Rezepte
Rezepte spielen eigentlich eine eher untergeordnete Rolle in Wickerts Ratgeber, aber es sind stolze 34, die zudem überwiegend auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind, also auf die Frage: Was mache ich mit den Resten? Die Vorschläge sind alle professionell bebildert und kulinarisch auf der Höhe der Zeit, auch wenn die Titel überwiegend unspektakulär formuliert sind. Besonders gut finde ich, dass man die Rezepte sowohl mit eigenem als auch mit fertig gekauftem Räuchergut umsetzen kann und es zudem immer Anregungen für Varianten gibt. Das ist bei Fisch besonders wichtig, weil man nun mal nicht immer genau den Fisch im Geschäft bekommt, den das Rezept vorschlägt.
Wir haben uns für die Kombination von Räucherfisch überbacken mit Kartoffelstampf richtig begeistern können und einfach die saisonal verfügbaren Gemüse genommen. Räucherfisch auf Ofengemüse ist eine Variante einer unserer Klassiker mit Frischfisch und genauso lecker und einfach zuzubereiten. Räucherfischmousse mit deftigem Brot – mmmh! Fischhautchips, natürlich Rezepte mit Blinis, Fischtartar, Suppen, passende Beilagen zu Räucherfisch. Allein die Rezepte sind für uns Gold wert, weil wir oft an der Ostseeküste sind, sozusagen im Fischräucherland. Da fehlt es oft an guten Ideen, was mit Räucherfisch angestellt werden kann.
Räuchern als Lernprozess und Geduldsübung
Das Räuchern stellte sich in der Tat schnell als notwendiger Lernprozess heraus. Unser erster Versuch war noch nicht so der volle Erfolg. In Ermangelung ganzer Fettfische haben wir es mit Fischfilet versucht, doch der Gasgrill war zu heiß und ließ sich nicht auf 100 Grad herunterregulieren, das Räucherholz konnte man nicht auf die (nicht vorhandene Glut) streuen. Im Ergebnis war das Filet zu hell und zu salzig. Geschmeckt hat es überhaupt nicht, aber die Salzbombe brachte meine Migräne schlagartig zum Erliegen. Ein Erfolg der anderen Art.
Der nächste Versuch: ganz frische Forellen aus der Zucht in der Nachbarschaft im Green Egg. Das Räuchern benötigt sehr viel Vorlauf, bis man die 100 Grad stabil erreicht hat. Die Forelle hatte diesmal den richtigen Salzgehalt und schmeckte gut, wenn sie auch noch nicht ganz die goldene Farbe erreicht hatte, die man anstrebt. Wir hatten den Fisch in unserer Ungeduld noch zu früh aufgelegt, um dann festzustellen, dass nach dem Räuchervorgang die Temperatur über längere Zeit stabil gewesen wäre. Dennoch war der Lernfortschritt bereits groß und machte uns Mut.
Wir sind jetzt sicher(er), wie wir an das gewünschte Ziel herankommen und freuen uns auf viele noch warme, goldene Forellen mit herrlichen Aromen und auf Experimente mit eigenen Kräutern. Michael Wickerts Fischräucherbuch hat uns den entscheidenden Impuls gegeben und es hat das Potenzial, viele Leser in den Bann des Fischräucherns zu schlagen. Das liegt an Wickerts großer Expertise und seiner Fähigkeit, diese an den Mann und die Frau zu bringen. Wir stehen jetzt in den Startlöchern und werden das Buch bestimmt noch oft zur Hand nehmen, denn das lohnt sich immer wieder.
Veröffentlicht im Dezember 2021