Drei Sterne: Hat Stärken, aber überzeugt nicht ganz.
Ein amerikanisches Kochbuch zur französischen Küche für deutsche Hobbyköche. Spannend!

Melissa Clark (Foto links) schreibt seit Jahren mit an der Foodkolumne der New York Times, hat über 40 Kochbücher (mit-)veröffentlicht und in ihrer Jugend mit ihren Eltern viele Sommer kochend und schmeckend in Frankreich verbracht.
Melissa Clark – ein Profi
Die Gestaltung der Rezepte belegt ihre professionelle Routine: Die Auflistung der Zutaten und die Schrittigkeit der Kochprozesse sind klar strukturiert und lassen kochtechnisch keine Fragen offen. Besonders hilfreich sind die Hinweise zur Vororganisation des Kochens, zu alternativen Zutaten, falls welche fehlen sollten, und zur Resteverwertung. Diese Art von Umsicht würde ich am liebsten allen Kochbuchautoren verordnen: absolut vorbildlich.
Die rund 150 Rezepte sind deshalb kochtechnisch alle gut umsetzbar, allerdings wenig originell. Eier mit Lachs und Estragonsahne, Salade Niçoise, Zwiebelsuppe, Pissaladière … die Klassiker überwiegen. Leser, die sich die französische Küche gerade erst erschließen, können mit Melissa Clarks Rezepten nicht viel falsch machen, gerade weil sie auf dem Gebiet der Kochprozesse so brilliert. Rechnen Sie sich jedoch zum Typ alter Hase oder gar leidenschaftlicher Liebhaber der französischen Küche, werden Sie vieles schon kennen.
Zum Weiterlesen:
Leseprobe beim Verlag
Website und Instagram der Autorin
Mehr Frankreich-Kochbücher bei Valentinas
Falsche Versprechungen des Verlages: ärgerlich
Der Verlag macht auf dem Buchdeckel eine Reihe von Versprechungen, die nicht eingelöst werden. Weder verpasst die Autorin der Haute Cuisine in ihren Rezepten einen Frischekick, noch reist sie mit uns auf französische Märkte und in Restaurants. Melissa Clark präsentiert typische französische Alltags- bzw. Bistrotküche und verwendet reichlich Butter und Sahne, die diese Gerichte meist auch erfordern, um ihren Charakter zu behalten. Eine Neuinterpretation der Klassiker der französischen Küche für eine „zeitgemäße, gesunde Ernährung“ suche ich vergebens.
Der amerikanische Original-Klappentext kommt ohne Gesundheitsbewusstsein aus: „Melissa updates classic French techniques and dishes to reflect how we cook, shop and eat today.” Dort wird nicht gereist und nicht entfettet. Ich vermute deshalb, dass dies auch gar nicht Melissa Clarks Absicht war, denn bezüglich der Reisen erinnert sich die Autorin lediglich anekdotisch an vergangene Erlebnisse mit ihren Eltern als Kind in Restaurants.

Was ist französisch an Melissa Clarks Küche?
Im Vorwort kündigt Melissa Clark selbstbewusst an, dass ihre Küche französisch sei. Ich nehme sie beim Wort und stelle erstaunt fest, dass ich unter den Rezepten zwar die zahlreichen Klassiker finde und dass viele Rezepte französisch klingende Titel haben, dass aber mit dem „terroir“ ein ganz entscheidender Teil der Seele des Französischen fehlt. Anstatt Informationen zu der Qualität und den Besonderheiten französischer Produkte zu geben, wird mit auf dem amerikanischen Markt vorhandenen Produkten gekocht, ohne auch nur einen Gedanken an französische Originale zu verschwenden.
Ohne diesen Brückenbau des Französischen in den amerikanischen Kontext wird die französische Küche nur unzureichend in ihrer Essenz erfasst und auf reine Küchentechnik reduziert. Für mich erschreckend ist dabei das Eindampfen der grandiosen französischen Produktpalette bei Käse, Fisch und Fleisch auf sehr überschaubare, wiederholt verwendete Zutaten. „In der Bretagne gibt es ausgezeichnete Meeresfrüchte – das brachte uns zuweilen vor Begeisterung fast um den Verstand“, berichtet Melissa Clark aus ihrer Erinnerung. Warum fehlen dann die meisten Edelfischsorten und Schalentiere komplett im Buch?
Um drei Ecken
Melissa Clarks Buch beginnt mit Eiern und Käse und enthält neben zahlreichen Desserts sättigende Hauptgerichte und Suppen – eine Konzeption, die die Erstellung einer typisch französischen Menüfolge sehr erschwert. Bei uns gab es grünen Salat mit Camembert als Vorspeise, eigentlich schon zu schwer für den Auftakt. Der Käse sollte pur in Vierteln gebacken werden statt, wie gewohnt, leicht paniert und im Ganzen, wodurch er gleich in alle Richtungen auslief und nur schwer auf den Salat zu transferieren war. Das ist meines Erachtens ein Produktproblem, weil das Gelingen davon abhängt, welche Konsistenz dieser in den USA verkaufte Käse hat.
Es folgte eine Variante von Coq au Vin. Das geschmorte Hähnchen sollte nur mit Flügeln und Schenkeln gekocht werden, ein echter Frevel, der meinen Mann dazu veranlasste, mir diese „Kentucky Fried Chicken“-Version strikt zu untersagen. Flügel und Schenkel in einer Verpackung sind ein in den USA verbreitetes Produktangebot.
Melissa Clark:
„Die Verschmelzung der klassischen französischen Küche mit dem Essen aus meiner Kindheit in Brooklyn bildet die Grundlage meiner Herangehensweise an das Kochen – und ist die Existenzberechtigung für dieses Buch. Da ich beide Küchen etwa zeitgleich kennenlernte, betrachte ich sie nicht voneinander getrennt, sondern als eine nahtlos ineinander verflochtene, wundervolle Einheit.“
Der Camparikuchen mit Olivenöl hat vom Grundprodukt her nun gar nichts Französisches mehr, also haben wir einfach mal vergessen, dass es ein französisches Dessert sein soll. Geschmeckt hat alles gut, weil wir die Leerstellen jeweils durch unsere in Frankreich erlernten Qualitätsstandards selbst versucht haben zu füllen. Nur so waren viele noch folgende Gerichte ausreichend französisch.
Melissa Clark beherrscht das Kochhandwerk, nimmt aber das Besondere der französischen Küche im Bereich der Produktvielfalt und -qualität nicht genügend in den Blick und verwendet amerikanische Produkte, als ob diese ohne Anpassungen eins zu eins übertragbar wären. Entstanden ist so ein amerikanisches Kochbuch mit französischen Anklängen, das sich für direkte Nachbarn wie uns stark ins Amerikanische verselbstständigt hat. Deutsche Verwender können die Leerstellen entweder durch eigenes Wissen auffüllen oder haben Pech. Für mich ist zu wenig Frankreich drin!
Veröffentlicht im Juli 2022
Da hat der deutsche Verlag wohl was verbockt beim Wecken von Erwartungen. Das Buch richtet sich explizit an amerikanische Hobbykoch:innen, die ein wenig französisches Flair in ihre Mahlzeiten bringen wollen, das Versprechen totaler Authentizität gibt es im Original nicht.
Für viele Worte ist mir schon zu warm. Danke für diese Rezension, die ich schon befürchtet hatte.
Ganz herzliche Grüße an den Ehemann – mit größtem Verständnis.