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Katharina Höhnk

Kochbuch von Melanie Grundmann: Das Dandykochbuch ★★★★

Das Dandykochbuch –
Originalrezepte für Männer mit Stil
Melanie Grundmann
Fotos Claudia Frickemeier
Foto Autorin: Hoffotografen
Rogner & Bernhard (2015)

Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.

Jens Werkmeister

Von

Dieses Buch ist eine Hommage an die kulinarische Kultur der Dandys. Ein für die Gesellschaft nahezu völlig nutzloser Schlag elitärer Schnösel, der die Niederungen der Erwerbsarbeit scheute und deren Lebensinhalt darin bestand, in eleganter Garderobe, genießerischen Vergnügungen und Liebschaften sowie der künstlerischen Selbstverwirklichung zu frönen. Männer also, die man einfach lieben muss, denn wie mit dem großen Oscar Wilde einer der ihren sagte: „Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert.“

Zu Anfang gleich drei verblüffende Tatsachen:
1. Obwohl es sich bei Dandys ausschließlich Männer handelt, stammt das Buch aus der Feder einer Frau. Mittlerweile ist es Usus, dass offensichtlich ungerechte Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts zu Betroffenheit, Verbitterung oder politischem Aktivismus führen. Bei dieser Autorin ist dies nicht der Fall. Zudem schreibt sie kundig in einer upperclass-elegance über die dekadente Dandy-Kultur, dass ich zu dem Schluss gekommen bin, dass Frauen eigentlich die besseren Dandys sind. Wahrscheinlich fällt es nur so stark auf, wenn es ein Mann schafft, sich alleine gut anzuziehen und wie ein Kulturmensch zu benehmen, dass man ihn flugs etikettieren muss, denn die meisten von uns verfügen über das ästhetische Empfinden und die natürliche Eleganz von Weideochsen.

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2. Die Autorin (links) ist keine Köchin, sondern Doktorin der Kulturwissenschaften und neben ihrem Brotberuf in der Social Media Branche eine Expertin für das Phänomen Dandyismus, mit dem sie sich mit zwei anderen Büchern auseinandergesetzt hat. Dies erklärt, warum es sich bei dem Buch mehr um eine kunstvolle literarisch-historische Auseinandersetzung als um eine praxisnahe Rezeptsammlung handelt.

3. Die Autorin ist Berlinerin. Berlin – eine Stadt, in der wie in kaum einer anderen das Egalitäre, dem Elitären vorgezogen wird, weswegen die Baupolitik bemüht ist, Luxussanierungen zu verhindern und modisch ein so nachlässiger Unisex-Stil en vogue ist, dass ich im Sommer vor einem Info-Raum der Verkehrsbetriebe ein Hinweisschild sah, dass man es gerne sieht, wenn die Fahrgäste Schuhe tragen. Bei Berliner Freunden von mir kursiert der Witz, sie würden in der einzigen Stadt wohnen, in der man einen CEO nicht von einem Obdachlosen unterscheiden könne. Für Dandys ein herausforderndes Biotop wie Jamaika für Bob-Fahrer oder Riad für Weinliebhaber.

Edel & vornehm

Der erste Eindruck des Buches ist „edel“. Ein geschmackvoller Einband, schönes Papier, klassische Schrift und großartige Fotos. Allerdings reagiert der Einband auch so empfindlich auf Umwelteinflüsse wie die Nase Beau Brummels auf gewöhnliches Eau de toilette. Wie so oft im Leben ist der Preis der Schönheit eine geringe Praxistauglichkeit, aber das geht auch nicht anders. Bei einem Werk, welches so bewusst gestaltet wurde, vermute ich keine Nachlässigkeit, sondern Absicht. Dandys wollen eben mit Samthandschuhen berührt werden.

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Die „Prolegomena“ genannte Einleitung erklärt in einer gewählten literarischen Sprache die Kultur des Dandyismus: Junge Männer, welche das Leben der Bourgeoisie mit ihren Tugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit und Besitzstreben anödete, orientierten sich an der dekadenten Adelskultur, unter die die Französische Revolution einen blutigen Schlussstrich gezogen hatte. Reich musste ein Dandy nicht unbedingt sein, aber auf jeden Fall den Anschein erwecken. Die Verschwendungskultur der Aristokratie durch den Genuss exklusivster Genussmittel nachzuahmen führte bei vielen ihrer hervorragendsten Vertreter wie Oscar Wilde, Fürst Pückler, Beau Brummel oder Balzac zwangsläufig zum finanziellen Ruin.

Kapriziös, ruinös und luxuriös

Anschließend werden die historischen Rezepte in drei klassisch dandyistischen Menüfolgen präsentiert, in die jeweils ein spannender Text einführt: „Das Klassische Menü“, „Das Flamboyante Menü“ und „Das Schwarze Menü“. Diese Hauptteile der Rezeptsammlungen werden durch kleinere Abschnitte wie „Ouvertüre“, „Aus dem Tagebuch eines Dandys“, Fotos tatsächlicher zeitgenössischer Dandys, sowie „Getränke“ und „Saucen & Brühen“ aufgelockert. Einen der abgebildeten Herren durfte ich zufälligerweise im öffentlichen Nahverkehr Berlins kennenlernen. Sympathischerweise handelt es sich nicht um die Inszenierungen professioneller Models, wenn wohl auch nicht um Angehörige einer dekadenten Avantgarde.

Die Bandbreite der Rezepte reicht von kapriziös (Hahnenkämme), illegal (Schildkrötensuppe), ruinös (Truthahn à la Périgord mit einer Trüffelfüllung von locker 2.000 €) zu luxuriös (Steinbutt). Gut, das simple Gurkensandwich aus Oscar Wildes Komödie „The Importance of Being Earnest“ und einfache Genüsse wie Spargel an Butter sind auch dabei, aber natürlich kann hier niemand allen Ernstes alltagstaugliches Essen zu normalen Preisen erwarten. Dies wiederspräche auch dem Geist der Dandys, denen es um die Inszenierung der eigenen Einzigartigkeit und Superiorität geht. Die literarischen Erklärungen zu den einzelnen Rezepten sind ein Genuss. Die Beschreibungen der Zutaten und einzelnen Arbeitsschritte hingegen leider weniger. Sie erwiesen sich in der Küchenpraxis einige Male so knapp, dass sie Verwirrung stifteten. Es empfiehlt sich, die Rezepte sehr genau vorher zu prüfen sowie die Arbeitsschritte und Zeiten mit Bleistiftnotizen zu gliedern.

Reines Leservergnügen

Die „Historie“ der Dandys mit der „Kleinen Stilkunde“ am Schluss des Buches bilden für jeden kulturgeschichtlich interessierten Leser wieder ein reines Lesevergnügen. Bei mir führte das sogar dazu, dass ich die Romane Théophile Gautiers entdeckte und alleine dafür bin ich der Autorin dankbar.

Das Dandykochbuch kann ich denjenigen empfehlen, die sich für Geschichte, Literatur, Lebensgenuss und Ästhetik begeistern können. Zudem könnte ich mir fast alle Fotos an die Wand hängen und lasse es bloß bleiben, weil ich Gefahr laufen würde, die Bilder abzulecken (und was würde das für einen Eindruck bei meiner Familie hinterlassen?). Wer „nur“ seine Gäste und sich mit einem vernünftigen zeitlichen und finanziellen Aufwand verwöhnen möchte, ist mit anderen Titeln besser bedient. Hier sind die Rezepte nicht immer optimal ausgearbeitet (daher die 4 Kochbuch-Sterne). Dafür handelt es sich bei dem eleganten und gut geschriebenen Buch um eine kleine Zeitmaschine, und das kann man von nur ganz wenigen Kochbüchern behaupten.

Veröffentlicht im Dezember 2015

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