Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Mehr Kochbücher zur deutschen Küche, modern und zeitgemäß, das hatte ich mir gerade gewünscht, als schon die Ankündigung der Neuerscheinung von Matthias F. Mangolds Deutsche Küche neu entdeckt! hereinflatterte. Das Thema liegt also wahrlich in der Luft und wird bereits vielerorts praktiziert – die Renaissance der heimischen Küche und ihrer Akteure.
Matthias Mangold bewegt sich auf dem Parkett der Kochbücher routiniert. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Kosmos Verlag wie z. B. Grillgenuss für jede Jahreszeit und die Schwäbische Küche. Aber auch die Praxis liegt ihm: In Venningen bei Neustadt an der Weinstraße bietet er Kochkurse, Weinseminare und Weintouren an.
Für die Neuerscheinung haben sich Verlag und Autor (links) ein besonderes Konzept überlegt, das mit dem Üblichen bricht. „Neu entdeckt“ wurde wörtlich genommen, indem die Rezeptstrecken sich abwechseln mit Stories über Protagonisten, die für neue Entwicklungen stehen wie z.B. gutes Brot und Streetfood, deutsches Bier und Schokolade – eben alles, das die Gaumen derzeit bewegt. Etwas Magazin-Charakter weht durch die Buchseiten.
Die Geschichten lesen sich ausgesprochen informativ und wecken Interesse nach Mehr, auch wenn die meisten mir als Insider bekannt sind. Gefreut hat mich, dass die Markthalle Neun aus Berlin präsent ist mit Michael Wickert, studierter Fischereiwissenschaftler, der die fabelhafte Räucherei Glut & Späne betreibt. Die Halle ist mittlerweile über das reine meet & eat des Streetfoods & Co. hinausgewachsen und entwickelt sich zum Epizentrum zur Wiederbelebung des kulinarischen Handwerks. Michael Wickert verkauft übrigens auch Fisch der Müritzfischer, einem Fischereiverband, der von Matthias F. Mangold ebenso vorgestellt wird. Er steht für Nachhaltigkeit, Tradition und vielseitiges Geschäftsmodell.
Alles, was ich schon immer kochen wollte
Das Kochbuch beginnt mit einem Schachbrett von 17 Aromen, die für unsere Küche stehen, wie u.a. Petersilie, Quitte, Kümmel, Muskatnuss und Holunder, sowie Ideen, was man mit ihnen machen kann. Es folgen Kapitel von Snacks, Suppe & Salat, Gemüse (nimmt inzwischen eine vordere Platzierung in der deutschen Küche ein), Sattmachern (Kartoffeln – juhu), Fleisch, Fisch und Süßes. Jedes Kapitel wird gefüllt mit Klassikern und einem ausführlichem Masterrezept zum Selbermachen von bspw. Gewürzgurken, Sauerteig und Bratwurst. Sehr ansprechend.
Beim ersten Durchblättern hat es mich schwer erwischt – alles Sachen, die ich liebe oder schon immer zubereiten wollte. Besonders erfreute mich, dass meine Heimat Norddeutschland würdig präsentiert wird. (Manchmal glaube ich, dass die süddeutsche u.a. so überproportional in Sachen Publikationsdichte vertreten ist, weil es gleichzeitig die Heimat der Erfindung des Buchdrucks und damit der Verlage ist …) Roter Heringssalat, Labskaus, Scholle mit Krabben und Senfsauce. Besonders gelungen ist aus meiner Sicht insgesamt das Fleisch- und Fisch-Kapitel, aber vielleicht liegt das auch an meiner Liebe zu Braten und Schmorgerichten, speziell natürlich zu dieser Jahreszeit.
Mehr Säure, Süße und Frische
„Leichtere Saucen, knackiges Gemüse, geänderte Garzeiten“, das sind die wichtigsten Hinterlassenschaft der Zeit, die auf unsere Küche gewirkt haben, schreibt der Autor einleitend. Matthias F. Mangold – was für ein prägender Nachname übrigens … – entschied sich folglich, manche Rezepte zu belassen (z.B. Semmelknödel), bei anderen außerdem durch Gewürze, Kräuter, Süße oder Säure die Aromen deutlicher zu kitzeln (wie z.B. bei den Königsberger Klopsen durch Limette oder beim Linsengemüse durch 100 g Dörrpflaumen). Oder einfach den Aufwand radikal zu kürzen wie bei der Schwarzwälder Kirsch aus dem Glas mit dunklem Wiener Boden aus der Packung.
Aus der Packung? Auch ich zuckte kurz. Dieser im Buch singuläre Kunstgriff erscheint routinierten Köchen vielleicht als nicht angebracht und verfolgt vielleicht einzig den Zweck, einer jungen Leserschaft ein Rezept an die Hand zu geben, das das Merkmal easy erfüllt und nicht einen ganzen Tag Arbeit beansprucht – und manchen Rezepten nähert man sich halt mit kleinen Schritten an. Das Buch scheint aber auch ganz allgemein für Nachwuchsköche konzipiert zu sein, dafür sprechen auch Broschur statt Hardcover, Handwriting-Typographie in den Überschriften und plakatives Layout.
Ein Hoch auf das kulinarische Handwerk
Das Nachkochen verbrachte ich vor allem im Fleischkapitel mit Besuchen in anderen Kapiteln weiter vorne und hinten. Die klassischen Rezepte wie der Schweinebraten mit Dunkelbiersauce (das übrigens zu einem für mich lehrreichen Gespräch in einem Späti führte mit einem theoretisch und praktisch verfallenen Bierkenner, ich bin in diesem Thema ahnungslos) und die Semmelknödel waren wie erhofft. Dann gab es die modernisierten Rezepte, die heftig diskutiert wurden (Königsberger Klopse und Limette) – selbst progressive Geister werden erzkonservativ, wenn es ums Mutters Rezepte geht -, oder Entzücken auslösten wie bei dem Wildscheingulasch.
Deutsche Küche neu entdeckt! richtet seine Inspiration an junge Leser, aber es ist zu schade, wenn man sie nur ihnen überlässt. Das Kochbuch mit Magazin-Anleihen ist eine Verdichtung von Lieblingsrezepten der deutschen Küche – klassisch oder modern verfeinert, aber immer interessant und gelungen. Tischgespräche sind sicher, würde ich sagen. Die kleinen Reportagen und DIY-Rezepte nehmen dem Buch vielleicht die Zeitlosigkeit, die es eigentlich auch repräsentieren möchte, dafür wird es ein Dokument des Zeitgeschehens und somit umso spannender, denn es bewegt sich was hierzulande – nicht nur in den Küchen und Verlagen, sondern auch im Handwerk.
Veröffentlicht im Januar 2016
Hallo Katharina,
sehr schöne Rezension – die Rezepte klingen nach früher (Eier in Senfsahne oder Kohlrabigemüse) und doch ein bißchen anders.
Wie gut, dass es auf dem Markt noch Wildschwein gibt – ist für Freitag vorgemerkt.
Eine schöne Woche!
Ulla
Danke, Ulla. Viel Freude damit. 🙂