Ein Stern: Am besten umtauschen.
Kann Rohkost mehr als Salat? Ist es nach vegan sogar der neue Hype? Oder auch gar die logische Fortsetzung? Gespannt auf neue Entdeckungen widme ich mich Everyday Raw Express vom amerikanischen Rohkost-Experten Matthew Kenney.
Bei Rohkost dürften die meisten erst einmal an Salate, vielleicht auch noch an Smoothies oder Säfte denken. Manche/r vielleicht auch an Kaninchen oder Hasen, oder ist rohe Kost für sonst wen gut? Ein Rohkost-Menü in einem Spitzenrestaurant hat mich vor einigen Jahren erfahren lassen, dass man tatsächlich rohköstlich „kochen“ kann, ja, auch der Wein hat dazu geschmeckt und das Bauchgefühl anschließend war wohlig. Überraschend war es, scheinbar hinlänglich bekannte Gemüsesorten in ganz neuer Form kennenzulernen.
Rohkost ohne Aufwand – klingt super!
Damals kaufte ich mir spontan nicht nur ein Rohkost-Kochbuch, um der neuen kalten Liebe zu frönen. Leider stellte ich dann doch recht bald fest, dass mir wichtige Gerätschaften im Haushalt fehlten – einen Hochleistungsmixer besaß ich noch nicht, einen Dörrautomat wollte ich mir beim besten Willen nicht auch noch anschaffen und damit die Küche vollstellen. Hier springt nun also Matthew Kenney (links) in die Bresche, der „köstliche Rohkost in unter 30 Minuten verspricht“. Das klingt gut, denn somit muss er definitiv ohne Dörrautomat auskommen!
Das Buch kommt als Flexicover daher, zahlreiche sehr schöne Fotos von Adrian Mueller erfreuen das Auge. Die Rezepte sind allesamt übersichtlich sowohl in ihrer Länge der Zutatenlisten (was zu erwarten war, wenn es schnell gehen soll), als auch in ihrer mehrfarbigen grafischen Darstellung. Schnell zieren die Nachkoch-Markierungen das Werk.
Ein Mann, der hoffen lässt
Matthew Kenney darf als Experte auf dem Gebiet der Rohkostküche gelten. Zahlreiche Bücher hat er bereits veröffentlicht, zu Detox, Diät, Schokolade, Desserts, Gastgeben, langsamem und schnellem Rohkost-„Kochen“ scheint er kein wichtiges Thema ausgelassen zu haben. Auf seiner Webseite stellt er sich als „crafting the future of food“ vor und bewirbt sehr elegant und geschmackvoll nicht nur sein eigenes Restaurant, seine persönlichen Services für Catering und Events oder von ihm kreierte Produkte unter dem Label „PlantLab“, sondern auch gleich seine eigene Kochschule, für jene, die richtig in die Materie einsteigen wollen.
Von einem solchen Profi, als nichts anderes nehme ich den Autor wahr, der zudem auch eine klassische Kochausbildung aufweisen kann, erwarte ich als Leserin wohlschmeckende und gelingsichere Rezepte, die meinen Horizont erweitern. Und von Rezepten, die in unter 30 Minuten gelingen und schmecken sollen, erwarte ich keinerlei Unklarheiten in ihrer Beschreibung. Nichts davon sollte sich erfüllen.
Ein niederschmetternder Start
Der Zufall wollte es, dass die ersten drei nachge“kochten“ Rezepte dem Kapitel Express Desserts entstammten. Hätte sich dort nicht auch ein Highlight versteckt (Ananas und Rosenwasser schmecken zusammen wirklich vorzüglich!), ich glaube, ich hätte das Buch gleich wieder zur Seite gelegt. Obwohl ich umgeben bin von Süßschnäbeln, wanderten die beiden anderen Desserts tatsächlich nach einigen Tagen traurigen Daseins im Kühlschrank in den Müll.
Was war da schiefgelaufen? Nun ja, nehmen wir den „Schokoladenhanfmilch-Pudding (nussfrei)“. Für diese Schokocreme werden 2 Avocados mit selbst hergestellter Hanfmilch (ein Hochleistungsmixer ist für die Zubereitung einiger Rezepte Voraussetzung), Kakaopulver, etwas Vanille, Zimt und Salz und 220 g Agavendicksaft (!!!) püriert. Das war zwar irgendwie schokoladig, aber so was von eklig süß, das war einfach nicht essbar. Und diese Meinung teilten sogar die Süßschnäbel. Oder der Bananen-Chia-Pudding, dessen Süße dank 225 g Bananen und 125 g Honig ebenfalls unerträglich war. Später zähle ich, dass in deutlich mehr als der Hälfte aller Rezepte (auch den herzhaften) Agavendicksaft, Ahornsirup oder Honig zum Einsatz kommen.
Im Kapitel Express Elixiere hatte ich mehr Erfolg, der Zitronengras-Birne-Drink war lecker, allerdings kann man aus 2 Birnen, 2 Stangen Sellerie und 1 Stängel Zitronengras definitiv nicht 2 Portionen herstellen, bei uns waren es gerade einmal 150 ml.
Sooo süß
Wirklich widerlich dann wieder die Mais-Rahm-Suppe mit Jalapeño-Petersilien-Pesto. Hier verwendet der Autor neben rohem Mais und dem obligatorischen Agavendicksaft auch „500 ml Nussmilch“. Da in dem Buch kein Grundrezept für Nussmilch geliefert wird und es ja außerdem express gehen soll, ziehe ich also los, um welche zu kaufen. Ich kaufe eine Haselnussmilch, auch wenn ich schon vorher Zweifel hege, ob das gutgehen kann, denn zumindest „meine“ Bio-Läden haben keine ungesüßte Variante auf Vorrat. Und nein, das kann natürlich nicht gutgehen. Die „Suppe“ schmeckte nach rohem Mais, nach Haselnuss und nach viel, viel zu süß. Und das auch noch in kalt, brrr. Das bisschen Temperatur, das beim längeren Pürieren in einem Hochleistungsmixer entsteht, konnte mich nicht überzeugen und vor allem in kälteren Jahreszeiten ist das für mich keine Option.
Die Geduld der von mir bekochten Mit-Esser ist am Ende, auch ich habe nach sieben Rezepten keine Lust mehr. Geschmackserlebnisse? Ja schon, aber auch positive? Wenige. Subtile Aromenspiele – Fehlanzeige. Stattdessen viel zu oft nur süß neben der deutlichen Wahrnehmung der verwendeten Einzelzutaten. Das befriedigt weder Sinne noch Bauch. Schade, denn äußerlich ist das Buch sehr ansprechend. Aber das tröstet dann auch keinen hungrigen Magen.
Veröffentlicht im Februar 2016