Drei Sterne: Hat Stärken, aber überzeugt nicht ganz.
Grillen? Da denkt man sofort an Fleisch. Gemüse hat allenfalls eine Nebenrolle oder ist nur Dekoration. Martin Nordin ändert das in seinem Kochbuch radikal. Endlich mal jemand, der das Gemüse beim Grillen zum Hauptdarsteller macht! Aber die spannende Frage ist: Geht das so einfach?
Martin Nordin (Foto unten) ist ein schwedischer Fotograf, der sich selbst tastend an das Grillen von Gemüse gemacht hat. Er schildert, wie er im Austausch mit Restaurantköchen und Freunden auf Ideen gekommen ist, die er dann durch Ausprobieren weiter entwickelt hat, bis sie ihm schmeckten. Entsprechend fordert er den Leser auf, sich mutig heranzuwagen und es ihm gleichzutun. Das klingt nach Experiment.
Tolle Fotos
Entsprechend neugierig habe ich dieses Buch durchgeblättert und war sehr angetan von den beeindruckend brillanten Fotos der Gerichte, allesamt auf tiefschwarzem Hintergrund, was die Farben umso mehr zum Leuchten bringt und Lust macht, direkt ans Werk zu gehen. Schnell wird beim Studium der Rezepte jedoch klar: Hier kann man nicht analog zum Fleisch einfach mal ein Gemüse auf den Rost werfen. Fast alle Gerichte haben mehrere Komponenten bzw. bestehen aus vorher herzustellenden Zutaten mit Verweisen auf andere Seiten. Das führt zu einer ständigen Hin- und Herblätterei, die ich beim Kochen überhaupt nicht schätze, Stichwort schmutzige Finger und überall Zettel.
Offensichtlich geht es darum, das Gemüse zu verfeinern und passend zu umrahmen, prinzipiell eine gute Idee, aber aufwendig. Wir haben hier keine schnelle Lösung als Pendant für das marinierte oder gewürzte Fleisch. Wahrscheinlich geht das mit Gemüse einfach nicht. Die einzelnen Gemüsearten haben so unterschiedliche Größen, Texturen und eine viel breitere Geschmacksvielfalt als Fleisch. Dem muss man einfach Rechnung tragen.
Gemüse in breiter Vielfalt aus allen Jahreszeiten
Wenn man bereit ist, sich auf längere Vorbereitungen einzulassen und auch noch die nicht immer leicht zu beschaffenden Zutaten überwiegend aus der asiatischen Küche besorgt, kann man loslegen und findet viele interessante Vorschläge für ein breites Spektrum an Gemüse und Obst, das alle Jahreszeiten abdeckt. Die Vielfalt ist das große Plus dieses Buches. Der Autor traut sich wirklich an jedes Gemüse heran.
Spargel ist gegrillt gar nicht so ungewöhnlich, denn man kennt ihn zumindest schon gebraten, ähnlich bei der Aubergine oder Pilzen und Pimentos, aber Erbsen, Blumenkohl, Brechbohnen und Sellerie sind dann doch normalerweise rar auf dem Grill. Zwischendurch gibt es immer mal Vorschläge für Getränke mit gegrillten Früchten, die sehr verlockend aussehen, z. B. Mezcal mit fast schwarz gegrillter Grapefruit oder rauchiger Ananas Sour. Zusätzlich einen Bereich mit Rezepten für Holzbacköfen, diverse Pizzen und Fladen mit Belägen aus Gemüse und Früchten, angereichert mit diversen Gewürzölen und Saucen.
Gemüse schwarz grillen?
Grundsätzlich tauchte das Problem auf, dass die Früchte und auch teilweise die Gemüse direkt in die Glut gelegt werden sollen, bis sie eine bestimmte Kerntemperatur erreicht haben und außen tiefschwarz sind. Bei der Farbe habe ich sogleich gesundheitliche Bedenken, zumal man das Äußere nur sehr sparsam entfernen soll, um den Rauchgeschmack zu erhalten. Den fanden wir aber in keinem Fall wirklich prägnant (vielleicht wurde doch zu viel entfernt). Anders als direkt in der Glut bekommt man die harten Früchte und Gemüse wie Ananas oder Möhren wahrscheinlich nicht weich, während das bei Spargel und Aubergine kein Problem ist.
Die fermentierten Kartoffeln brachten mich ans Limit
Zusätzlich gibt es häufig eine Kombination aus Gegrilltem und Fermentiertem in den Gerichten, was im skandinavischen Raum nicht überrascht, aber den Vorbereitungsaufwand merklich erhöht. Da wir stolze Besitzer einer Tortillapresse und eines Tortilla-Bäckers sind, die eh zu wenig zum Einsatz kommen, bin ich direkt auf die fermentierten Kartoffeltortillas geflogen – und kläglich gescheitert. Das Innere der im Ofen gebackenen Kartoffeln wird mit Salz vermengt in einen Plastikbeutel gegeben, verschlossen und mehrere Tage liegen gelassen. Am dritten Tag sah die Masse so scheußlich aus, dass ich es nicht über mich bringen konnte, damit weiter zu arbeiten. Irgendetwas stimmte damit nicht, vermutete ich. Da wäre ein Bild oder zumindest eine Bemerkung über die zu erwartende Konsistenz der Kartoffeln hilfreich gewesen. Für skandinavische Leser wäre das wahrscheinlich überflüssig.
Zum Weiterlesen
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Tatsächlich komme ich zu der Überzeugung, dass man als Koch oder Köchin bei den wirklich fordernden Rezepten, die etwa die Hälfte des Repertoires ausmachen, zunächst mal auf die Höhe der Kochprozesse kommen muss, um sie erfolgreich umzusetzen, aber als Mitteleuropäer bräuchte man dafür mehr Anleitung, als man in der Einleitung und in den Rezepten bekommt. Das mag daran liegen, dass Martin Nordin Fotograf und nicht Koch ist. Die Gerichte und Zutaten in Szene zu setzen hat in dem Buch deutlich mehr Gewicht als die Unterstützung der Leser beim Kochen. Die Zubereitung von Gemüse über offenem Feuer oder direkt in der Glut ist bei uns zudem nicht üblich und man benötigt Erfahrung, um geschmacklich und von der Konsistenz her in diesem Verfahren das Beste aus den Produkten herauszuholen.
Deshalb waren wir nur zufrieden mit den „konventionell“ auf dem Rost gegrillten Gemüsegerichten, die man eigentlich auch in der Pfanne machen könnte. Hier fanden wir die Kombinationen der Zutaten ganz pfiffig, z. B. Spargel mit Burrata, Eigelb und Kumquat oder Mairübchen mit gegrilltem Kohl und säuerlicher (fermentierter) Tomatensauce. Bei den schwarz gerösteten Karotten in Liebstöckelbouillon hatten wir die oben genannten Bedenken wegen der Schwärze, aber ansonsten schmeckte es.
Martin Nordins Grillbuch ist ein hervorragender Ideengeber und leistet auf jeden Fall, was der Autor sich in seiner Einleitung erhofft, nämlich dem Leser einen Schub zum Start und zum Experimentieren mit dem Gemüsegrillen zu geben. An guten Ideen fehlt es nicht. Um nachhaltigen Erfolg zu haben und Enttäuschungen vorzubeugen, wäre eine detailliertere Dokumentation der Grillprozesse wünschenswert, z. B. durch Detailfotos oder mehr vorbeugende Pannenhilfe. Hier geht der Fotograf mit dem Autor durch, wenn er nur fertige Produkte ästhetisch schön in Szene setzt. Ich traue mich jetzt leider nicht mehr an die fermentierten Kartoffeln, es sei denn, ich finde woanders hierzu genauere Infos. Für Mut möchte man schließlich gerne mit Erfolg belohnt werden.
Veröffentlicht im April 2021