Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Die bayerische Küche steht für Brezen, Knödel und Schweinshaxe. Dabei wird und wurde weit mehr am heimischen Herd und in Gastwirtschaften serviert. Das Kochbuch „Das kulinarische Erbe Bayerns“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, Rezepte und Spezialitäten, die fast vergessen sind, ans Tageslicht zu bringen und weiß-blaue Vielfalt zum Leuchten. Historische Kochbücher sind meine Passion, deshalb war ich gespannt, was ich hier Neues über meine Heimat entdecken würde.
Die Autoren des Kochbuchs sind die Kräuterexpertin Marion Reinhardt (Foto unten) und das Archiv von Spezialitätenland Bayern, Betreiber des Portals ist dabei das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Ein schönes Buch, das Fettflecken schätzt
Der erste Eindruck nimmt mich bereits für das Buch ein: roher grauer Karton, weiße Schrift, dunkelblau gebunden. Der Karton signalisiert: Gebrauche mich, Fettflecken machen mich nur noch schöner. Dann schlage ich es auf und lese die Überschrift der Einleitung: „Unser Bayern“. In gewisser Weise ist sie Programm. Denn die Bayern begegnen hier Vertrautem und oft Vergessenem, die Nicht-Bayern lernen „unser“ exotisches Land im Südosten der Republik kennen.
Aber vorweg ein wenig Landeskunde: Bayern, das ist Altbayern, Franken und Schwaben und diese drei gliedern sich in sieben Bezirke, die alle ihre kulinarischen Eigenheiten haben. Im Süden und Osten liegt Altbayern mit Ober- und Niederbayern sowie der Oberpfalz, Franken im Norden teilt sich in Ober-, Mittel- und Unterfranken und, last but not least, Schwaben im Westen, das die Brücke zu Baden-Württemberg bildet. Die kulinarische Vielfalt dieser Landkarte reicht dabei vom Allgäuer Käse bis zur Coburger Bratwurst. Dazwischen wird u. a. Bier gebraut und Wein gekeltert. Das sind also viel Erbe und viel Gegenwart, die dieses Buch präsentieren will.
„Schon immer waren die Küchenmeister unseres Landes findig gewesen – nicht nur dass sie aus Not oder purer Freude am Kochen die herrlichsten Gerichte zauberten, vielmehr setzten sie auch ein sprachliches Denkmal, indem sie ihren Kreationen phantasievolle Namen gaben.“ Hier kann ich nur zustimmen. Das Buch bietet nicht nur kulinarischen sondern auch sprachlichen Genuss mit a bisserl Bairisch und a weng Fränkisch. Die Rezeptnamen zergehen auf der Zunge wie beim Süßen Blootz (einem flachen Kuchen) oder sind für Ungeübte fast Gymnastikübungen wie bei den Gschtopfta Rumm (fermentierte Steckrüben).
Rezepte und Spezialitäten wechseln sich im Buch kapitelweise ab – eine Anordnung, die dem Schmökern und weniger dem schnellen Auffinden dient. Die Kapitel mit Spezialitäten informieren eher nüchtern über bayerische Produkte, die mit Rezepten erzählen Anekdoten zu Entstehung und regionaler Herkunft. Nicht immer halten sie aber einer kritischen Überprüfung stand. Gute Brezen backt man vor allem in Schwaben und Altbayern, aber Saures Kartoffelgemüse wird auch in Franken serviert. Aussagen über regionale Spezialitäten mit ihrer Verbreitung sind manchmal schwierig, denn wir wissen, Genuss hält sich nicht an Grenzen. Das macht das Thema zuweilen uneindeutig.
Die Schatzkiste
Und dann lese ich mich fest, denn vor allem die Rezepte bilden eine Schatzkiste. Geläufig dürften den meisten Grießnockerlsuppe, Pichelsteiner und Leberknödelsuppe sein, nicht so bekannt ist die Metzelsuppe, die auch Kesselsuppe genannt wird. Sie ist das Resultat eines Schlachttages, an dem Fleisch, Leber- und Blutwürste in einem Kessel gekocht wurden. Mit Fleischbrühe und ein paar Würsten kann man sie in der eigenen Küche gut selber zubereiten.
Das Kapitel Beilagen birgt Überraschendes für mich. Zum Beispiel das Hopfengemüse. Es wird aus Hopfensprossen zubereitet; das sind die überzähligen Keime der Hopfenpflanze, die im Frühjahr ausgebrochen werden. Die würde ich gerne mal probieren – mal schauen, ob ich sie im nächsten April auf dem Markt bekomme.
Nicht warten muss ich, um Schuchsen auszuprobieren. Diese Mehlspeise sind niederbayerische Fritten: allerdings aus gesäuertem Roggen- und Weizenmehl. In schwimmendem Butterschmalz werden die Teiglinge ausgebacken, dazu isst man Kompott.
Eine zentrale Rolle in der süddeutschen Küche spielt das Fleisch. Dafür ist die bayerische Küche geradezu berühmt. In dem Kochbuch „Das kulinarische Erbe Bayerns“ fällt aber auf, dass die großen Braten wie Schweinshaxe und Schäufele (Schweineschulter) im Kapitel Fleischgerichte eher in der Minderzahl sind. Der Ansatz „Nose to Tail“ war früher selbstverständlich und so stehen neben den Braten klassische Innereienrezepte, wie in Saure Kutteln (Pansen) und Saures Lüngerl (Lunge). Viele einfache Rezepte belegen die vergangene Kargheit des Alltags, als es noch keine überquellenden Supermärkte gab. Das ist ein authentischer Ansatz. Sogar der Zwiebelkuchen mit 100 g Speck zählt zu den Fleischgerichten.
Zum Weiterlesen
Leseprobe beim Verlag
Website der Autorin
Mehr Kochbücher zur deutschen Küche bei Valentinas
Im Kapitel Vegetarisch finden sich herzhafte und süße Mehlspeisen. Bekannt waren mir Allgäuer Kässpätzle und Dampfnudeln, aber Bröselhafer (eine Art Spätzle aus Kartoffeln vom Vortag) oder Rupfhauben lerne ich neu kennen. Resteverwertung, z. B. von Brot, inspirierte zu Brotsuppe, Deggendorfer Knödeln, Semmelknödeln, Fränkischen Mehlklößen und Scheiterhaufen.
Eines zeigt das Kochbuch „Das kulinarische Erbe Bayerns“ deutlich: Die körperliche Arbeit verlangte Kalorien, dementsprechend sind Gemüse und Salate Leerstellen in der traditionellen bayerischen Küche. Schlank ist sie nicht und schnell ist sie auch nicht, diese bayerische Slow-Food-Küche. Zeit brauchte ich, um die Zutat Schweinenetz für die Rieweskuche zu besorgen – und auch Sorgfalt in der Küche bei der Zubereitung. Das Ergebnis war die Mühe wert.
Als Kennerin der bayerischen Küche hat sich mein kulinarischer Horizont anhand dieses schön gestalteten Kochbuchs eindeutig erweitert. Das Werk verzichtet dabei darauf, sich der Zeit anzupassen, sondern bewahrt sich seine Ursprünglichkeit, in der die Küche sich entwickelt hat. Es ist Anlass, wieder Licht an das vergessene kulinarische Erbe zu lassen.
Veröffentlicht im März 2020
Als Badnerin (Schweizer Grenze) kenne ich zwar keinen Bröselhafer, aber Maluns, die ähnlich aussehen.
Metzelsupp‘ habe ich als Kindergartenkind immer in verbeulten Milchkannen in unserer Straße „ausliefern“ müssen, vor allem an Alte und Kranke. Ich fand mich da immer sehr wichtig. Kutteln mochte ich schon immer, aber nicht schwäbisch sauer, sondern „weiß in weiß“, also mit Salzkartoffeln und einer weißen Sauce.