Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
Bei einer Hofküche denke ich an eine große Küche mit einem blank gescheuerten großen Holztisch, an dem die Familien und die Helfer zusammenkommen, um deftige leckere Hausmannskost aus Erzeugnissen des eigenen Hofs gemeinsam zu genießen. Das Bild stimmt zwar, aber kulinarisch bedient das Kochbuch das Klischee nur wenig. Denn Koch und Autor ist Marianus von Hörsten – und der will und kann mehr.
Marianus von Hörsten (Foto unten) zählt erst 28 Jahre, seine Vita reiht aber dennoch eine Station nach der anderen auf, obgleich es zunächst einen Moment nicht so danach schien: Kurz vor dem Abi schmiss der Waldorfschüler für eine Fernreise hin. Danach folgten aber Ausbildung in renommierten deutschen Hotelrestaurants, diverse Prämierungen bei Koch-Wettkämpfen, 2017 Auszeichnung als bester Jungkoch der Welt, 2018 Gewinner des Next Chef Award. Seit 2019 betreibt der Profikoch mit zwei Partnern nun sein eigenes Restaurant, „Restaurant Klinker“ in Hamburg-Eimsbüttel, mit nachhaltigem Anspruch.
Mit seinem kulinarischen Profil der regional-saisonalen Küche setzt er fort, was ihn auf dem elterlichen Demeter-Bauernhof in der Lüneburger Heide geprägt hat. Dort wird der respektvolle Umgang mit Rindern, Hühnern, Schweinen und dem Gemüsegarten gelebt, erzählt Marianus von Hörsten in seinem mir vorliegenden Kochbuch. Dessen Rezepte stammen auch von dort, aus der Hofküche seiner Eltern. Und vielleicht auch das Porträt auf dem Cover: der lächelnde Profikoch mit prall gefüllter Gemüsekiste vor sich und einem alten Bauernschrank im Hintergrund. Mich erwarten 60 Gerichte auf mattem, schwerem Papier – gut bedacht für eine lange Küchennutzung. Das gefällt mir.
Kulinarisches wird politisch
Unterhaltsam werde ich in das Leben und Arbeiten auf dem Hof eingeführt. Die Rezeptkapitel sind dann nach der Herkunft der Lebensmittel eingeteilt: von der Weide; von der Jagd & aus dem Wald; aus See, Fluss, Meer; vom Feld und aus dem Obstgarten. Jedes Kapitel startet mit Bullerbü-artigen Kindheitserinnerungen, Anekdoten zum Schmunzeln oder zum Nachdenken, nämlich mit Blick über den Gartenzaun auf die mit Hormonen gespritzten Monsantokühe, die für noch mehr Milch und noch günstigere Preise ihr Dasein fristen. Da wird Kulinarisches schnell zum Politischen. Du hast schon recht Marianus – mit deiner Wut. Doch ich möchte loskochen.
Für den Spitzkohl, der schon einige Tage im Kühlschrank auf seine Verwendung wartet, finde ich Passendes: Entenbrust mit Spitzkohlsalat. Im Rezept ist es die Wildente aus dem Jagd-Kapitel, ich begnüge mich mit einem vermutlich zahmen Exemplar vom Geflügelhändler meines Vertrauens. Neu für mich: Die gewürzte Brust wird in die kalte Pfanne gelegt und auf der Hautseite eine Viertelstunde sanft gebraten. Erst anschließend wird sie in mit Kräutern aromatisierter Butter geschwenkt. Der von Hand geknetete und im Idealfall 24 Stunden im Kühlschrank durchgezogene, lieblich gewürzte Spitzkohl bringt einen schönen Kontrast zum zarten, herzhaften Fleisch. Sehr fein.
Auch der gegarte Spargel mit Noribröseln und Hollandaise ist eine leckere und für mich neue Variante. Bei mir führen 10 Minuten Kochzeit für den Spargel zu einem zu bissfesten Ergebnis. Das erlebe ich immer wieder: entweder können das Kochgut oder ich (oder beide) mit der Zeitvorgabe nicht mithalten.
Maischolle – aber nicht im Mai
Die Einführung in das Kapitel Fisch startet mit erhobenem Zeigefinger. Angefangen beim Plastik im Meer, über falsche Saisonkalender bis zu Fangmethoden und Laichzeiten, wie bei der Maischolle. Die hat nämlich von April bis Mai ihre Ablaichphase. Erst ab Juni dürfte sie korrekterweise wieder auf dem Speiseplan stehen. Ich staune, denn leider bin ich auf solch althergebrachte Weisheiten, eine Scholle am besten im Mai zu kaufen, auch lange hereingefallen.
Fisch, Fleisch, Vegetarisches und Süßes – von allem bietet das Kochbuch „Meine Hofküche“ etwas. Mal aufwendiger, mal unkompliziert, aber nicht eben schnell gemacht sind die Gerichte in der Zubereitung, so meine Erfahrung. Es gibt deutlich weniger Einfaches, Deftiges oder Preiswertes, wie ich vom Titel erwartet hätte. Man könnte von Hörstens Hofküche eher als verfeinerte und weltläufige beschreiben, die gekonnt Zwetschgen, Mohn und Zimt kombiniert, aber auch Ananas, Kokos und Mascarpone. Die Rezepte lohnen für besondere Geschmackserlebnisse.
Aber auch das sorgfältig gestaltete Buch ist ein Genuss, mit stilvollen Bilder vom Landleben, der Arbeit damit, bunten Wiesen, begrünten Flussufern und Wald. Die intensiven Farben der Gerichte werden durch die meist dunklen Teller besonders betont. Das ist alles sehr gelungen. Ein Kochbuch, in dem Sorgfalt und Zugewandtheit stecken. Das Register ist durchdacht, alles ist schnell zu finden. Nur die vier Seiten Werbung zum Schluss haben mich überrascht – das hatte ich noch nie.
Marianus von Hörsten präsentiert eine moderne, anspruchsvolle und weltläufige Hofküche, eingerahmt vom elterlichen Betrieb und von Aufklärungsarbeit in puncto Nachhaltigkeit. Der Genuss lohnt, auch wenn Aufwand, Kosten und Zeit dessen üblichen Rahmen verlassen.
Veröffentlicht im Juli 2020
Liebe Doris, ich habe aus seinem Kochbuch das Blumenkohl-Massaman-Curry gemacht und war etwas enttäuscht. Ein Verlegenheitsrezept? Schmeckt so. Herzlichst Katharina 😉