Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Lange Zeit wurden Bitterstoffe hierzulande aus unseren Lebensmitteln herausgezüchtet. Jetzt wird es wiederentdeckt als Geschmacksrichtung, die komplexe Aromenakzente zu setzen vermag. Kochbuch-Auftakt für dieses Revival war das Werk Bitter von Jennifer McLagan (2014). Nun gibt es dank Manuela Rüther auch ein deutschsprachiges Werk, dem ich mich gerne anschließe – denn „bitter“ ist in meiner Küche eher rar.
Manuela Rüther bringt als Autorin ein vielseitiges Rüstzeug mit: Sie ist gelernte Köchin, Food-Fotografin und Journalistin. Regelmäßig liest man von ihr in den Zeitschriften Effilee und Landlust sowie auf ihrem Blog. Hier auf Valentinas haben wir ihr rühriges Wirken mehrfach begleitet.
Bitter ist nicht gleich Bitter
Bitter – Der vergessene Geschmack heißt das neuste Werk von ihr (Foto links). Auf seinem Cover ist ein knackig-frischer Löwenzahnsalat platziert, der ankündigt, was den Leser auch erwartet: Lebensmittel, die etwas aus dem Blickfeld geraten sind. Auf über 240 Seiten verteilen sich dann Informationen, 80 Rezepte und ausgesprochen schöne Fotos. Allein bei diesen Bildern möchte ich meine bisherigen Vorbehalte gegen Bitteres wie Grünkohl und Kumquats vergessen. Im Vordergrund stehen auch dunkelroter Radicchio, knallrote Beeren oder intensiv grüne Salate und Kräuter in ihrer edlen Farbigkeit. Und wie schön: alle Rezepte sind abgebildet.
Gehören Sie zu den Nichtschmeckern, den Normalschmeckern, oder sind Sie gar ein Superschmecker? Nicht allein unsere Essgewohnheiten und damit unser kulinarischer Horizont haben Einfluss darauf, wie intensiv wir schmecken, lerne ich. Die unterschiedlichen Bitternoten, wo sie enthalten sind und was sie bewirken, wird informativ vorgestellt.
Von Heilpflanzen und Gewürzen weiß man mittlerweile, dass Bitterstoffe wertvoll für die gesunde Ernährung sind. Sie fördern die Verdauung, helfen gegen Übelkeit und wirken antibakteriell sowie blutreinigend. Aber nicht nur in Wildkräutern sind Bitterstoffe enthalten, sondern auch in Kaffee, Tee und Schokolade. (Natürlich eher nicht die Vollmilch …)
Erst saure und salzige Aromen, dann süße und bittere
Wie gut bitter zu süß oder salzig passen kann, zeigt die Autorin in ihren Rezepten. Sie führt sachte an den bitteren Geschmack heran, indem sie den Bittergehalt der Speisen kapitelweise steigert: Bitter für Anfänger, Aromatisch Bitter, Bitter für Fortgeschrittene, Bitter süß und salzig, Trink Bitter und Bitter Apotheke.
Entsprechend harmlos startet sie mit Spargelgerichten, Oliven und Wildkräutern und steigert sich wirklich bis zur bitteren Apotheke in Form von Tee, Tinkturen oder Sirup. Schön finde ich hierzu die Erklärungen, wie die einzelnen Substanzen wirken.
Etwas mulmig wurde mir bei einigen Zutatenlisten. Wo soll ich denn Stängelkohl, Zichorie oder so ausgefallene Wildkräuter wie Gundermann bekommen? Und das auch noch jetzt im Winter. Und was ist Puntarelle? Ich hatte zuvor noch nie davon gehört. Die Bezugsadressen am Ende des Buches könnten zur entsprechenden Jahreszeit helfen, aber ach – welch ein Glück, stelle ich fest: bin ich doch in meinem Hofladen direkt daran vorbeigelaufen, ohne es je wahrgenommen zu haben.
Tatsächlich ist Puntarelle spargelähnlich und die kleinen Stangen müssen nur auseinandergeschnitten, aber nicht geschält werden. Sie sind schnell gebraten, dezent bitter und recht köstlich. Als nächstes entdeckte ich einen Löwenzahnsalat. Das passende Rezept war schnell gefunden: ein Couscous-Salat. Und was soll ich sagen, der Salat ist wunderbar ausgewogen durch Datteln und Kaki (anstelle von Pfirsichen). Hier bietet der bittere Löwenzahn den perfekten Ausgleich zu den süßen Zutaten.
Eine kulinarische Entdeckungsreise
Süße ist wichtiger Kontrast von Bitter. Manuela Rüther verwendet dafür sehr gerne Agavendicksaft, der auch durch Ahornsirup, Honig oder braunen Zucker ersetzt werden kann. Auf diese Weise werden köstliche Kontraste erzeugt.
Genauso überrascht war ich beim Grünkohlrezept. Bisher gehörte er definitiv nicht zu meinen Favoriten, aber das lag wohl mehr an der Zubereitung. Hier präsentiert er sich in einem Salat, der mit Avocado, Radieschen, Feta und Nüssen alles vereint, was ich mag. Die Beeren zusammen mit dem lieblichen Dressing sind dabei das Highlight. Den Rest habe ich übrigens am nächsten Tag im Büro genossen und festgestellt, dass der Grünkohl immer noch perfekt knackig war. Das muss man sich für Mittagspausen-to-go merken.
Für die zweite Auflage wünsche ich mir, dass alle Fotos Bildunterschriften haben, damit der Leser weiß, welche Gemüsesorte oder welches Kraut sich da rekelt.
Beim Nachkochen reihte sich ein Rezept an das nächste, meine Neugierde wuchs bei jedem, denn Bitter wird hier eben nicht wie sonst üblich sich selber überlassen, sondern findet Gegenspieler, die den oft eigenwilligen Geschmack gefälliger und moderner wirken lassen. Das ist faszinierend und weckt geradezu Entdeckergeist.
Wer seinen Horizont erweitern und darüber hinaus seiner Gesundheit Gutes tun möchte, findet hier die richtige Lektüre – für die Küche und fürs Schmökern. Lehrreiche und locker vermittelte Informationen über Bitterstoffe und deren Wirksamkeit bis hin zur kleinen Hausapotheke verändern die Perspektive auf die lange vernachlässigte Geschmacksrichtung. Aber es sind die Gerichte, die das Aroma im frischen Gewand präsentieren und Lust machen auf einen festen Platz im Speiseplan. Ein durch und durch gelungenes Werk.
Veröffentlicht im März 2017