Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Wisst ihr, was eine Butz ist? So hieß bei meinem Plattdeutsch sprechenden Großonkel die Speisekammer, ein dunkles, geheimnisvolles, für uns Kinder fast magisches Zimmer. Was hier nicht alles zu finden war! Madalene Bonvini-Hamel hat auch eine Butz, die mich in ihren Bann zieht, sie heißt „The British Larder“.
Hinter diesem Namen verstecken sich Blog, Pub und seit jüngstem auch ein Kochbuch, ausgezeichnet mit dem „World Gourmand Cookbook Award“ in der Kategorie beste Kochbuchautorin (2012). Dieser fette Schinken lädt zum genüsslichen Schmökern ein, gehört aber letztlich in die Küche, aufgeschlagen und von Fettflecken gezeichnet – und bei knapp 450 Seiten und entsprechend vielen, verlockenden Rezepten, dürfen das eine Menge Flecken sein!
Vom Blog zum Gastropub
Die Südafrikanerin Maddy hat sich durch namenhafte Küchen in Europa und weltweit gekocht, u.a. auch bei Gordon Ramsay. Ihre „britische Speisekammer“ war ursprünglich ein Blog, aus dem 2010 der Gastropub The British Larder, der ins Bromeswell, Suffolk zu Hause ist, erwuchs und seit seiner Eröffnung Auszeichnungen einheimst, u.a. als Liebling des Michelin Pubführers (2011). Dennoch wird weiter gebloggt, Maddy beschreibt ihre Webseite als Rezeptetagebuch mit dem Anspruch, regionale und saisonale Zutaten professionell zu verarbeiten und in Szene zu setzen. Hierzu hat sie sich intensiv mit Fotografie beschäftigt, sodass sie heute eine passionierte Hobbyfotographin ist, alles nur, damit der Blickwinkel der Köchin und nicht der eines Foodstylisten dominiert. Kulmination dieser vielen, perfektionistischen Aktivitäten ist der vorliegende Band, der eine Augenweide ist – vom Kochvergnügen ganz zu schweigen! Hauptzutaten sind frische, britische Produkte, die mit viel Rafinesse und einem international entwickelten Gaumen zubereitet werden.
Wie ernsthaft das Kochprojekt, wie vielseitig Maddys kulinarisches Jahr, wird schnell klar, nur wenige Seiten sind der Autorin, Blog, Pub und Grundrezepten gewidmet, die nachfolgenden Kapitel heißen Januar, Februar etc. und verheißen Köstliches! Das Märzdeckblatt beispielsweise zeigt eine melancholisch-winterliche Strandszene mit Boot, der wolkenverhangene Himmel zeigt, dass der Frühling noch nicht Einzug gehalten hat. Wie jeder Monat beginnt auch der März mit einem längeren Text zu den wichtigsten Zutaten, die jetzt Saison haben, von Bananen und Blutorangen, die vmtl. nicht in Großbritannien wachsen, bis hin zu Winkles (Strandschnecken). Maddy berichtet von ihren kulinarischen Ritualen, im März heißt es für sie z.B. Sauerampfersamen aussäen und ihren Kräutergarten planen. Kurzessays zu einigen Monatsfavoriten werden mit kleinen, aber feinen Rezepten und Fotos, stilvoll wie altmodische Stillleben, verwoben. Dann endlich die eigentlichen Rezepte: was bietet die Speisekammer im März? Ein mit Blüten dekoriertes Sauerampfer-Spinatsüppchen, gebackene Austern mit Bacon und Lauch, Rochen mit eingelegtem Brokkoli und Rhabarber Custard Pies, zum Beispiel.
Hingerissen von neuen Aromanoten
Anspruch und Aufwand der Rezepte decken eine große Bandbreite ab, von einfachen Gerichten, die sich problemlos in den Alltag einbauen lassen bis hin zu ambitionierteren Kreationen, die beeindrucken sollen (und können!) ist alles dabei, für mich stellt dieser Band einen gelungenen Spagat zwischen Restaurantküche und häuslicher Kost dar. Suche ich Inspriation für ein Gastmahl werde ich genauso fündig wie an Tagen, an denen die Zeit zum Kochen knapper bemessen ist, wobei die aufwendigeren Gerichte im Vordergrund stehen. Maddys Zielgruppe sind Homecooks mit etwas Erfahrung und Ambitionen, die Anleitungen fallen eher kurz und bündig, aber sicherlich ausreichend aus. Zutaten, die ins Luxussegment fallen, spielen keine größere Rolle, wenn auch die reiche Fisch- und Wildauswahl sicherlich den Gang zu speziellen Händlern ernötigt.
Besonders überzeugt hat mich, dass die getesteten Rezepte bekannten Zutaten wie z.B. Aubergine oder Schmorgurke neue Noten entlocken konnten. Aubergine in leicht süßlicher Variante: hinreißend! Schmorgurke meets India: Namastee! Jetzt im November locken mich noch die alliterierenden „Pulled Pork & Pumpkin Pies“, eine Bitterschokoladen-Maronen-Trüffeltart mit kandierten Maronen und auch ein Birnenparfait mit Lakritzgelee und pochierten Gewürzbirnen will ausprobiert werden. Zu Weihnachten packt Maddy ihren Lieben einen „Hamper“, einen Korb voll Köstlichkeiten und beweist, es müssen nicht immer Plätzchen sein, die man verschenkt: was haltet ihr von Dattel-Rum-Bonbons oder einer Scholaden-Cranberry-„Salami“? Es darf auch unter dem Eingemachten der vergangenen Monate gewildert werden, ich wüsste schon den ein oder anderen, der sich über Blutorangengelee, Himbeermarmelade oder Erdbeer-Limetten-Mandelchutney freuen würde. Für stark Anglophile dürfen natürlich Mince Pies nicht fehlen!
Veröffentlicht im Januar 2014
Liebe Annick, danke für diese inspirierende Rezension – die Bestellung ist schon auf dem Weg 🙂
Du hast schon? Ich bin auch schwer verführt.
Yes! Mit großer Freude – und nachdem ich mich zuletzt gerade wieder einmal sehr an Fearnley-Whittingstall erfreut habe, auch mit großen Erwartungen! Sind sie nicht toll, die Engländer?
Jaaa. Weißt Du, hier trifft zusammen, was nicht selbstverständlich ist – Yummie-Optik und kulinarische Offenbarungen. I love!