Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Heiß begehrt und doch so rar. Eine ganz kurze Zeit im Jahr sind die Beeren da – sonnengereift und mit vollem Aroma. Ein paar Wochen des Überflusses brechen an, wenn alle auf einmal gepflückt werden wollen, schnell hintereinander. Als Städterin versucht man den Moment festzuhalten und lässt ein Vermögen am Obststand, als Gärtnerin hat man alle Hände voll zu tun. Und es stellt sich immer die Frage: Was tun? Verarbeiten oder doch lieber sofort genießen?
Ich bin für sofort und gleich eine Handvoll. Und erst wenn der ewige Beeren-Hunger befriedigt ist, dann kommen die Rezepte. Künftig aus diesem Kochbuch, muss ich hinzufügen. Obwohl – das war am Anfang nicht klar. Selten bin ich mit einem Buch so zusammengewachsen und das lag sicher am Wechselbad der Gefühle.
Das Cover vernebelte mir zunächst kurz meine Sinne. Wer etwas so Rares und Schönes wie Wilderdbeeren im Überfluss und in aller prächtiger Natürlichkeit darstellt, hat verstanden, wie die kulinarische Psyche tickt. Zumindest meine. Aber schlägt man das Buch auf, kommt es anders. 360 Seiten heißen hier nicht Rezepte nonstop. Das Duo Luzia Ellert (Fotos) und Gabriele Halper (Rezepte) spannen den Bogen weiter. Ellert fängt den Sommer ein in ihrem Garten, ihrem Holzhaus in Semmering und den umliegenden Wäldern. Eine Doppelseite Forsythien mit den ersten Trieben vor einem Schindeldach, Erdbeerblüten in Nahaufnahme, ein Blick auf zartrosa Rankrosen. Sogar ein Kätzchen ist zu sichten.
Aber so nah man der Fotografin Luzia Ellert (links) in ihrem gefesselten Blick auf die Natur kommt, so ganz und gar entzieht sie sich dem Leser, indem sie selbst nicht in Erscheinung tritt, nein, kein einziges Selfie. Das gibt dem Buch erzählerisch eine interessante Spannung, so ganz gegen den Selbstdarsteller-Mainstream gebürstet. Dennoch kommt bei mir der optischen Betonung eine Leere an. Eine Gratwanderung: Rezepte oder foodiger Fotoband?
Die Kapitelnamen könnten Indiz für Letzteres sein; sie fallen nicht beerig aus, sondern scheinen ihren Ursprung in einem Zeitgeist-Roman eines Ich-wohne-jetzt-auf-dem-Land-Städters zu haben. Dazu: Gedanken über die Wiederentdeckung der Lust am Land, humorvoll und sympathisch, eher kurz als lang (von Klaus Dünser). Z. B. über den botanischen Ehrgeiz der Neuankömmlinge und das wissende Lächeln der Nachbarn, denn die Natur macht ja eh, was sie will.
Das könnte man auch von dem Duo Autorin/Fotografin sagen. Der Titel wird kulinarisch nicht buchstäblich, sondern weit interpretiert: die wilden Beeren und ihre kultivierten Verwandten stehen auf der Zutatenliste wie auch Veilchen, Waldmeister und Flieder. Was im heimischen Garten eben so daneben wächst. Es reihen sich Rezepte mit unterschiedlichsten Coloeur aneinander: bayerisch, raffiniert, Großmutter-Style, mediterran, gewagt und Tonis Erdbeertorte. Der Charakter bleibt dagegen stets in gleicher Facon: einfach in der Zubereitung mit Feinheiten im Detail. Etwas Aperol in die Vielfrucht-Marmelade oder Chili für das Schweinefilet mit Preiselbeeren und Zitronenverbene für das Heidelbeerkompott. Das Pendel balancierte sich aus – Zeitgeist UND Kochbuch.
Je häufiger ich dann in dem Buch versank, je weniger mich die vielen Naturaufnahmen verführten, desto mehr Rezepte entdeckte ich inmitten des 360 Seitenwaldes. Die Stachelbeeren werden hier zu Frappeé und Chutney, die Himbeeren zu Himbeeressig und Schoko-Himbeer-Roulade und die Ribisel zu Angelas Ribislkuchen. Irgendwie bieten die Rezepte zu jeder Beere genau das Potpourri, das man sich wünscht. eingemacht, versalatet, gebacken und auch mal herzhaft.
Die endgültige Kochbuch-Werdung vollzog sich erst Wilde Beeren in der Küche. Bis dahin war es nicht Fisch noch Fleisch für mich. Aber nun: Eine Rezeptperle nach der anderen entpuppte. Hier gärtnert, kocht und schreibt ein extrem feiner Gaumen, der Punktlandungen von sich selber fordert und das Beste für seine Leser zu Papier bringt.
Wilde Beeren ist ein Kochbuch eigener Art. Das bayerischen Grün und ein bildhübsches Landhäuschen bespielen Szenerie und Atmosphäre. Etwas unauffällig inmitten platziert die Rezepte, die in ihrem Herz wunderbar gradlinig und perfekt mit kleinen Feinheiten ausbalanciert sind. Sie haben das Zeug zu Klassikern. Hier kann man sich dem ersten Eindruck vertrauensvoll hingeben: Schönheit und Gourmand in seltener Umarmung.
Veröffentlicht im Juni 2014
Ich habe mich schon einige Male hinreissen lassen, ein Kochbuch zu kaufen, nachdem ich hier Rezensionen darüber gelesen habe, und dabei einige Schätze entdecken dürfen.
Aber dieses Mal bin ich enttäuscht.
Vielleicht, weil ich kein Stadtmensch bin, aber wilde Beeren sind für mich etwas Anderes und ich habe mir ungewöhnliche Rezeptideen versprochen mit ungewöhnlichen, weil nur in der „wilden“ Natur zu findenden Zutaten.
Und bin nicht wirklich fündig geworden.
Es gibt tolle Rezepte, aber wenig dazugehörende Fotos, dafür viele wunderschöne Fotos von Beeren, Küchenecken und Anderem aus der Natur, ganzseitig und aus verschiedenen Blickwinkeln mit gleichem Motiv.
Für mich aber dadurch eher ein Bildband und weniger ein Kochbuch.
Und der Preis ist dafür für mich zu hoch.
Schade.
Trotzdem vielen Dank für die viele Ausprobiererei und darüber-Schreiberei, die anderen Tips waren bis jetzt genau für mich.
Kathrin
Herzlichen Dank für die Zeilen. Exakt so wie du es beschreibst – Bildband oder Kochbuch? – ging es mir auch, s.o., aber das änderte sich mit den nachgekochten Rezepten, die einfach sehr grossartig waren. Gib dem Buch noch eine Chance und probiere ein paar Gerichte aus. Ich glaube, es ist eine gute Chance, dass sich deine Enttäuschung wandelt, zumindest in Zufriedenheit.