Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
Früher, in schlechteren Zeiten, hat man sie dafür gefeiert, dass sie hungrige Mäuler stopft, später wurde sie als Sättigungsbeilage eher gering geschätzt: die Kartoffel. Dass sich jetzt ein opulent gestaltetes Kochbuch mit der oft verkannten Knolle beschäftigt, machte mich neugierig.
Was bei diesem großformatigen und schwergewichtigen Buch (ein Format, das sich in der täglichen Praxis nicht gerade bewährt) zunächst auffällt, sind die ästhetischen Fotos, die zeigen, was moderne Foodfotografie so alles kann. Da wird kunstvoll mit Licht gearbeitet, da werden wunderschöne Accessoires ausgewählt und die Speisen derart drapiert, dass es das Auge des Betrachters erfreut und den Hobbykoch ärgert, weil er genau weiß, dass er das nie und nimmer so hinbekommen wird. Dass die blendende Optik noch andere Nachteile mit sich bringt, habe ich erst später gemerkt.
Aber zunächst zum Inhalt. Oft finde ich Einleitungen von Kochbüchern nicht unbedingt lesenswert, diese sollte man sich aber durchaus zu Gemüte führen, denn man erfährt allerlei Wissenswertes über Geschichte und Anbau der Kartoffel. So wetterte die Kirche zunächst gegen die aus Südamerika eingeführte Frucht, weil man ihr eine aphrodisierende Wirkung nachsagte. Böse Zungen machten sie sogar für Pest und Lepra verantwortlich. Aber diese Zeiten sind lang vorbei. Schön, dass in der Einleitung sogar an Tipps für den Anbau im eigenen Garten gedacht wurde. Ergänzt wird der informative Teil durch eine Liste von Sorten ganz am Ende des Buches. Nicht weniger als 27 sind das, was mich daran erinnert, wie verärgert ich oft bin, wenn ich beim Einkauf keine einzige der empfohlenen Sorten finde, sondern nur welche mit Phantasienamen, die nach kurzer Zeit durch neue ersetzt werden. Aber immerhin sind inzwischen sogar im normalen Supermarkt wieder mehlig kochende Kartoffeln zu finden.
Nun aber rin in die Kartoffeln, wie es so treffend heißt. 124 Rezepte sollen zeigen, dass die Kartoffel angekommen ist in der Haute Cuisine, dass sie zu weitaus mehr taugt als Pommes, Chips und Kartoffelpü. Die Latte ist also höher gehängt, was natürlich auch bedeutet, dass viele Gerichte nicht ohne einen gewissen Aufwand zu kochen sind. Blitzrezepte darf man nicht erwarten, schließlich kann die Knolle nicht roh genossen werden. Die Umsetzung der verständlichen Anweisungen dürfte kaum für Probleme sorgen. Die Zutatenlisten sind mitunter etwas lang, allerdings habe ich mit Wohlwollen registriert, dass es sich meist um relativ leicht beschaffbare Dinge handelt. Auch findet keine Schwelgerei in Luxusartikeln à la Hummer, Gänseleber und Trüffel statt, obwohl letztere mit der Kartoffel wunderbar harmoniert. Da hätte ich ausnahmsweise gerne mal tiefer ins Portemonnaie gegriffen.
Aber genug der kleinlichen Nörgelei. Wichtig ist doch, dass die Rezepte zum Nachkochen inspirieren und sich in der Realität bewähren. Genau das erfüllt das Kochbuch tadellos. Es bietet reichlich Raffinesse, um die eher zurückhaltende Knolle aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken und bewusst in den kulinarischen Vordergrund zu stellen. Allein schon die Namen: wer wird nicht schwach bei „Gebratene Kartoffelbirne mit Blauschimmeldressing“, „Gnocchi Barbabietola“, „Kartoffeltarte mit Orange und schwarzen Oliven“, „Knusprige Linsen-Kartoffel-Kugeln“ „Spinat-Kartoffel-Wuzel mit Salbeibutter“? Und das waren jetzt nur die Vorspeisen. Apropos klassische Menufolge: wer eine Aufteilung der Rezepte gemäß Vorspeise, Hauptspeise, Dessert erwartet, wird enttäuscht feststellen, dass diese Zuordnung nur über das Register möglich ist. Vielmehr wurde eine etwas unorthodoxe Ordnung gewählt: „Aus dem Topf“, „Aus der Pfanne“, „Aus dem Ofen“, „Saures“, „Süßes“.
Die drei Autorinnen bleiben dezent im Hintergrund. Dass es sich um Österreicherinnen handelt, merkt man allenfalls an der Auswahl der Speisen, Landestypisches wie etwa „Burgenländische Stosuppe mit Grammeln“ oder Desserts wie „Waldviertler Mohnzelten“ fallen auf. Ich habe erst bei diesem Buch gemerkt, dass mir hier ein wenig der persönliche Touch fehlt, die individuellen Tipps, die gezielten Hinweise auf besondere Details. Zusammen mit der zwar grandiosen, aber doch auch irgendwie kalten Optik hat das bei mir zu einer gewissen Indifferenz geführt, dass mich Rezepte, die mich normalerweise interessiert hätten, letztlich nicht erreicht haben. Dass sich die Lust zum Nachkochen in Grenzen hielt. Und noch eine Kleinigkeit, die mich gestört hat: man hat eine relativ große Schrift gewählt und einen nicht gerade kleinen Zeilenabstand, was bei zahlreichen Rezepten dazu führt, dass sie sich über mehr als eine Seite erstrecken, was mithin in meinem Kopf die Assoziation weckt, hoppla, das braucht aber Zeit. Und ich stelle mir schon das Entsetzen vor, wenn man nach dem Umblättern mit zusätzlichen Zutaten konfrontiert wird.
War ich zu kleinlich? Ich weiß es nicht. Mag sein, dass meine Einwände von anderen Hobbyköchen nicht derart explizit geteilt werden. Das würde mich sogar freuen, denn das Buch bietet eigentlich vielerlei Anregungen. Die unscheinbare Kartoffel hat es verdient, eine größere Rolle im kulinarischen Leben zu spielen.
Veröffentlicht im Oktober 2011