Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Was für herrlich leuchtende Pastellfarben! Der Einband ist pure Verführung zum Hingreifen, und dann stelle ich beim Durchblättern erfreut fest, dass die gesamte Farbausstattung des Buches an die Kochzutaten angepasst ist. Kapitel wie „Terra“, „Mare“ oder „Grano“ enthalten Seiten, die teilweise orange, hellblau und hellgelb getönt sind und durch stimmungsvolle Fotos von einfachen Küchen und kochenden oder essenden Menschen ergänzt werden. Unterschiedliche Schrifttypen auf den Seiten lenken und entspannen das Auge in angenehmer Weise. So macht Durchblättern wirklich Freude, weckt aber auch hohe Erwartungen bezüglich der Inhalte. Sind die Texte und Rezepte auf der Höhe der bestechend schönen Optik?
Wer Sardinien besucht hat, wird mir wahrscheinlich zustimmen: Man kann sich dem Reiz der Insel kaum entziehen. Die Lage im Mittelmeer, das Wasser, die Landschaften, die Vegetation, alles überall schön, ursprünglich und farbintensiv. Insofern passt die Farbgestaltung des Buches hervorragend.

Und so, wie wir uns der Insel von außen nähern, hat das auch die Autorin getan. Letitia Clark (Foto links) ist Engländerin, die auf dem Apfelgut ihres Vaters aufgewachsen ist und jahrelang als Köchin überwiegend in London gearbeitet hat, ohne den Beruf gelernt zu haben. Als sich 2017 der Brexit anbahnte, folgte sie zum Entsetzen ihres Vaters ihrem sardischen Freund auf dessen Insel und kehrte ihrer Heimat den Rücken. Sie hatte die Nase voll davon, in Londoner Restaurants Gemüse in Dreiecke schneiden zu müssen und fühlte sich magisch angezogen von der einfachen Küche der Sarden.
Die Außenperspektive auf die Insel
Eine solche Außenperspektive hat ihren Reiz. Es gibt in vielen Regionen Bücher von Einheimischen, die mühelos den Eindruck von Authentizität schaffen, und klar, auch ich besitze und liebe Kochbücher von einheimischen Kochenden. Eine Engländerin wird allerdings viel deutlicher sehen, wo für Nordeuropäer die Umsetzungsprobleme liegen und uns im besten Fall die Anpassung an die eigene Küche erleichtern, sozusagen als Mittlerin.
Wie hat sich Letitia Clark die sardische Küche erschlossen? Sie ließ sich Geschichten erzählen (von denen viele amüsant sind und mit teilweise beißendem Humor aufwarten) und Rezepturen zeigen und begann, selbst sardisch zu kochen. Sie war fasziniert von dieser sogenannten Arme-Leute-Küche, die aber stets die besten heimischen Produkte verwandte und das Essen täglich stundenlang in der Gemeinschaft der Familie genussvoll zelebrierte. Daraus entstand ihr Kochbuch „Bitter Honey: Recipes and Stories from the Island of Sardinia“, so der englische Titel.
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Genussvoll sardisch essen
Zwischen 12 und 16 Uhr schließt auf Sardinien alles, weil das Mittagessen stattfindet (in Italien generell nicht ungewöhnlich) und anschließend höchstens noch ein Schläfchen. Sardische Küche kennt keine Moden und keine Diäten. Sarden haben eine vergleichsweise hohe Lebenserwartung, also muss das Essen gesund sein, wozu also etwas ändern? Man kocht so, wie man immer schon gekocht hat. Einfach, aber gut. Heißt aber auch, dass viel mit nahrhaften Zutaten gearbeitet wird, viel Fleisch, viel Käse, viel Sahne und Fett. Entsprechend opulent sind viele Gerichte, was uns veranlasste, sie in einigen Fällen beim Nachkochen mengenmäßig zu reduzieren, und trotzdem ernährten sie uns oft tagelang, vor allem, wenn Fleisch zum Einsatz kam.
Die Sache mit der Authentizität
Was ist authentisch sardisch? Einerseits, so argumentiert Letitia, sind etliche Rezepte schlicht italienisch und haben irgendwie ihren Weg auch nach Sardinien gefunden. Auch hier sind Nudeln beliebt, kocht man Gemüsesuppe, Polenta, Risotto, frittiert Salbei und verwendet die typischen italienischen Käse. Lediglich Fisch kommt mit nur 3 Rezepten jenseits von Tintenfisch ziemlich kurz, was bei einer Insel ein wenig erstaunt. Andererseits gibt es natürlich regionale Spezialitäten, und da behauptet jeder Sarde, das eigene Rezept sei nun wirklich das echte, so dass es oft mehrere authentische Varianten gibt. Die Autorin macht das Beste daraus und stellt in ihrem Buch typische Rezepte vor, die sie selbst aus ihren Kocherfahrungen vor Ort extrahiert und zusätzlich an moderne Kochweisen angepasst hat. Das Kochbuch ist – und das muss man ausdrücklich schreiben – ein persönliches der Autorin, die die sardische Küche adaptiert bzw. sich von dieser inspirieren ließ. Aus ihren Erzählungen erfährt man einiges.

So hat der gemeine Sarde bzw. Italiener, erfährt man hier, stets eine Flasche mit 100-%-igem Alkohol im Kühlschrank zur Herstellung von Likören und anderen Getränken. Uns Deutschen traut man einen Umgang mit solch potenten Flüssigkeiten in größeren Mengen wohl nicht zu, denn hier sind nur 100 ml in der Apotheke zu erwerben. Letitia Clark wandelt für uns die Rezepte so ab, dass sie mit Wodka o. Ä. umsetzbar sind.
Außerdem fällt auf, dass bestimmte Grundzutaten bei vielen Rezepten wiederkehren wie z. B. die Kombination von klein geschnittenen Zwiebeln, Staudensellerie, Karotten, Lorbeerblatt, Petersilienstängel quasi als Grundansatz für Schmorgerichte und Suppen. So verbreitet finde ich das in anderen sardischen Kochbüchern nicht, aber es funktioniert gut, schmeckt und erleichtert den Einkauf und die Vorratshaltung.
Natürlich kommen auch einige typisch sardische Produkte zum Einsatz wie pane carasau, Bottarga, Fregola und Myrte. Vieles ist aber mit leicht erhältlichen Zutaten umsetzbar und die Spezialitäten sind relativ problemlos in größeren Städten teilweise schon auf Märkten zu beschaffen.
Letitia Clark:
„Sardinien ist meine Heimat geworden und gleich, als ich herzog, wurde ich daran erinnert, dass es bei gutem Essen nicht darum geht, zum Sklaven der Authentizität zu werden. Es geht auch nicht um irgendwelche Verkomplizierungen, Techniken oder Trends, sondern ums Teilen, um die Menschen und vor allem um die Freude.“
Sardische Köstlichkeiten
Viele Rezepte sind außerordentlich reizvoll. Schweinefleisch stundenlang langsam in Nelkenmilch gegart? Das Ergebnis ist ein schmackhaftes pulled pork der anderen Art. Eier in Tomatensauce mit Notenpapierbrot? Das hatten wir vor Ort gegessen – hier ist das Gericht mit dem interessanten Produkt recht einfach und schnell zuzubereiten und schmeckt zu Hause ähnlich gut, erinnert an Lasagne.
Ein Kuchen mit Blutorangen, Ricotta, Polenta und Olivenöl? Die gute Alternative zum Käsekuchen. Da hier eine Alltagsküche vorgestellt wird, sind die Zubereitungen recht unaufwendig und lassen sich entspannt umsetzen. Unsere in Wodka eingelegten, superdünn geschälten Zitronenschalen warten auf ihre Bestimmung als Zitronenlikör und sehen verlockend aus. Bald kommen die Sommergemüse auf den Markt und wir freuen uns schon auf die Rezepte mit Artischocken und Auberginen.
Mit sardischen Köstlichkeiten kann man seine Alltagsküche bereichern und hat in diesem Buch eine breite Auswahl an reizvollen und relativ leicht umzusetzenden Rezepten mit Fleisch, Gemüse, italienischem Käse und Getreide. Letitia Clark hat eine ausgezeichnete Vorarbeit geleistet, indem sie uns die sardische Küche wunderschön präsentiert und die Rezepte durchdacht aufbereitet hat mit vielen Details zum Entdecken. „Isola Sarda“ ist für mich ein Kochbuch, das Freude macht – inhaltlich und vor allem geschmacklich in jeder Hinsicht befriedigend.
Veröffentlicht im Juli 2021