Zwei Sterne: Begeisterung sieht anders aus.
Das ist ein Kochbuch für treue Léa-Linster-Fans – mit Geschichten und Fotos aus Léa Linsters Leben, von Erfolgen und Misserfolgen, Familie und Wegbegleitern und rund 60 durchweg bebilderten Rezepten.
Der über 180 Seiten starke Band aus dem ZS Verlag liegt schwer in der Hand, das Papier ist dick, die Haptik dementsprechend angenehm, es fühlt sich „wertig“ an. Die Fotos folgen dem aktuellen Trend, hauptsächlich von oben zu fotografieren, auch Silberlöffelchen, scheinbar angeknuspertes Brot, Servietten in Steinfarben, hier und da mal ein wie zufällig liegen gelassenes Küchenwerkzeug sind absolut dem Zeitgeschmack entsprechend. Ich mag die Optik, besonders die gleichmäßige helle Ausleuchtung.
Gemüsewürfel als Therapeutikum bei Nervosität
Die Gliederung ist für mich schwer nachvollziehbar – es beginnt mit einem Vorwort, gefolgt von „Die Rezepte meiner Kindheit“, „Rezepte, die meine Gäste und Kritiker lieben“, „Meine Hommage an Paul Bocuse“, „Meine Inspirationen durch Filme und Reisen“, „Meine private Küche“. In dieser Aufteilung würde man kein Rezept wiederfinden, gäbe es nicht hinten noch ein vierseitiges Register zum Nachschlagen, in dem man allerdings beispielsweise den Schokoladenkuchen unter „B“ wie Butter, E wie „Eier“, „G“ wie Gebäck, „M“ wie Mandeln und dann nochmals unter seinem eigentlichen Stichwort Schokoladenkuchen findet. Von verwirrenden Sortierungen dieser Art wird einem in jedem Studiengang beim Schreiben einer Seminararbeit dringend und zu Recht abgeraten.
Begleitet werden die Rezepte von recht erfrischend zu lesenden Texten aus Léa Linsters Leben in Ich-Perspektive (rechts ein Foto der Autorin). Wie sie im Café und Restaurant „Emile Linster“ in Frisange anfing zu kochen, an der elterlichen Tankstelle aushalf, am Geruch der Dorfbäckerei erkennen konnte, wie spät es war, und wie sie als kleines Mädchen die Schinkenbrote zu den Gästen transportierte. Von ihrem Sohn Louis, auf den sie sehr stolz ist, ihrer Freundschaft mit Alfred Biolek, dem Praktikum in Paris bei Joël Robuchon, von ihrem schönsten Neujahrsfest in New York und davon, was sie macht, wenn sie nervös ist – klein geschnittene Gemüsewürfel üben therapeutische Wirkung aus. Das ist ein großer und wichtiger Teil des Buches, und Léa Linster macht sich hier sicher nicht übertrieben wichtig, stellt aber durchaus stolz ihre Leistungen und Erfolge vor.
Für meinen Geschmack hätte es ein bisschen weniger „name-dropping“ sein können – hier Snoop Dogg, da der Großherzog, ein paar Chanel-Kundinnen, das ist schon eher Boulevard-Style. Ein bisschen seltsam mutet auch an, wie stets ausgerechnet die Zwiebeln „mit Liebe in feinste Würfelchen“ geschnitten werden. Auch Lauch wird „mit Liebe in Würfelchen“ geschnitten. Der Knoblauch hat das Nachsehen, und für den Rest tut es auch ein Messer.
Konträrfaszination
Die Rezepte, die sich nach der sich mir nicht ganz erschließenden Systematik im Buch verteilen, sind ausgesprochen einfache wie Schinkenbrote mit Essiggurken, Reiseintopf, Frikadellen und Erbsen- und Kartoffelmus sowie anspruchsvollere wie Lobster Chanel Nr. 5, Seeteufel, Lammrücken im Kartoffelmantel und Weihnachtsstollen. Ich muss hier mal den Begriff der Konträrfaszination, den meine Mutter sehr liebt, bemühen. Vor einer mit dem Bocus d’or ausgezeichneten Sterneköchin habe ich höchsten Respekt, um nicht zu sagen Ehrfurcht, aber etliche Rezepte erschienen mir belanglos, andere wiederum zu kompliziert.
Im Vorwort wird erwähnt, dass Léa Linster sich viele Inspirationen auf Reisen und in Filmen geholt hat. Im Buch merkt man davon nicht viel – keine exotischen Gewürze, ungewöhnliche Kombinationen oder Texturen. Leider habe ich beim Nachkochen einige Enttäuschungen erlebt, was bereits mit dem ersten Rezept begann: Der von ihr selber im Eingangstext hochgelobte Schokoladenkuchen fiel komplett als zu trocken durch, obwohl ich die Backzeit bereits deutlich reduziert hatte; auch ein Kräutersüppchen schmeckte wie ein wässriger Auszug und wurde von der ganzen Familie abgelehnt (obwohl ich anleitungsgemäß die Zwiebelchen mit ausgesprochen viel Liebe geschnitten hatte).
Das Kartoffelpüree hat mich ebenfalls enttäuscht, auch wenn mir im Voraus klar war, dass es gar nicht anders schmecken kann – aber bei jedem Rezept dachte ich mir, es muss doch etwas Besonderes sein, sonst würde es doch nicht bei einer Sterneköchin stehen!
Es gibt noch genug Rezepte, die toll aussehen und mich am Ende vielleicht etwas versöhnlicher stimmen – Kalbsleber mit Bacon und Tarte mit Zwiebelconfit und Shiitakepilzen sehen toll aus, auch die Rotbarbe mit Kartoffelschuppen und Rosmarin-Orangen-Sauce soll auf jeden Fall noch ausprobiert werden, vorläufig jedoch ist das Gesamtbild eingetrübt, was auch daran liegt, dass man bei den Rezepten nicht immer an die Hand genommen wird, bei der Dattelbutter etwa hätte ich mir mehr Anleitung gewünscht, denn sie war partout nicht durch ein Sieb zu streichen. Auch die Tarte Tatin, die auf dem Foto rötlich in dickem Karamell daher kommt, kam bei mir als blasse Kopie aus dem Ofen. Beim New York Cheesecake habe ich mich gewundert, warum Gelatine verwendet wird und er so gar nicht die feiste, fettige Konsistenz hatte, für die man ihn so liebt.
Vielleicht habe ich einfach die falschen Rezepte erwischt. Léa-Linster-Fans werden das Buch trotzdem lieben.
Veröffentlicht im März 2020
Liebe Sylvia Peters,
danke für diese tolle Rezension, sie ist wunderbar geschrieben! War mir gerade eine Freude, sie zu lesen!
Das freut mich sehr, gerade weil mit dem Buch tüchtig gehadert habe. Aber was gesagt werden muss …