Drei Sterne: Hat Stärken, aber überzeugt nicht ganz.
Hand aufs Herz: Träumen wir durchgentrifizierten Öko-Hipster nicht alle manchmal ein bisschen vom idyllischen Leben im Grünen? Von Ursprünglichkeit, Naturnähe, the real deal? Karoline Jönsson hat sich ihre Gummistiefel geschnappt und dieses Hirngespinst wahr werden lassen. Zusammen mit zwei Pferden, einer Schar Hühner und ganz viel Grünzeug lebt sie nun in einem alten Bauernhaus im Süden Schwedens und sät und jätet und erntet im Einklang mit Jahreszeiten und Natur. Uns Großstadtkinder lädt sie ein, es ihr nachzutun – zumindest im Rahmen des Möglichen. Ihre „Grüne Speisekammer“ ist nämlich nicht mehr nur ein preisgekrönter schwedischer Blog, sondern liegt inzwischen auch als Kochbuch vor.
Oh, wie schön ist Bullerbü
Wobei Kochbuch nicht ganz richtig ist. Jönssons Erstling ist ein kreativer Mix aus Fotoband (gleich zu Beginn blättert man sich dreieinhalb Seiten lang durch die skandinavische Idylle, die sie umgibt – ein Vorgeschmack auf die zahlreichen Sehnsuchtsbilder, die folgen sollen), Ratgeber und Rezeptesammlung. Gegliedert in die Kapitel Speisekammer, Fensterbank, Garten, Gemüsegarten und Wald und Feld trägt die Selbstversorgerin hier alles zusammen, was sie sich im Laufe der Zeit angeeignet hat. Vieles davon sind überlieferte Tricks und Kniffe ihrer Großeltern, die ebenfalls Landwirtschaft betrieben, anderes – allen voran Zeitgeistkapriolen wie Pflanzenmilch, Kichererbsenburger und Kimchi – sind Konzessionen an den Geschmack des 21. Jahrhunderts. Bemerkenswert dabei: Alles kommt aus einer Hand – selbst die Kamera hat Jönsson nur für wenige Aufnahmen aus selbiger gegeben (und dann an Mutter und Schwester). Ein bisschen wie in Bullerbü.
Experiment Selbstversorgung
Oder: Konsequent. Im Vorwort erklärt Karoline Jönsson (links) nämlich, worum es ihr bei alldem geht: Ökologie und Nachhaltigkeit. Nahrungsmittel sollen in ihren Augen möglichst naturbelassen hergestellt und vollständig verwendet werden. Fleischverzehr hält sie für ein Relikt aus Zeiten, in denen man vom heutigen Überfluss nicht einmal zu träumen wagte. Auf der Fensterbank züchtet sie darum lieber Kräuter und Sprossen, am Wiesenrand sammelt sie Brennnessel und Kamille, im Wald findet sie Pilze und zapft Birkenbäume an. Die Gerichte, die daraus entstehen, sind durchweg vegetarisch oder vegan und in der Regel saisonal (Wer es hierzulande schafft, die Schwarzwurzeln und Bärlauch für eine von Jönssons Quiches zur selben Zeit auf dem Markt bzw. im Wald zu erwischen, hat verdammt viel Glück!) und ziemlich kreativ: Geraspelte Pastinake rührt Jönsson in Kuchen, aus Grieß und Milch wird falscher Fisch und in Gnocchi stecken keine Kartoffeln, sondern ein bisschen Mehl und viel Topinambur.
Der Teufel steckt im Detail
So herrlich und unkompliziert sich das alles liest – der Praxistest offenbarte den einen oder anderen Haken: Zimmerwarmer Mürbeteig lässt sich eben nicht wirklich gut ausrollen und ein stärkearmes Gemüse wie Topinambur auch mehr schlecht als recht zu erkennbaren Gnocchi verarbeiten. Einige dieser Ärgerlichkeiten sind nachlässigem Lektorat geschuldet (abgesehen von der Rote-Bete-Tarte kühlt Jönsson ihre Mürbeteige nämlich schon), anderes diffus formulierten Zutaten- oder Arbeitsanweisungen (Was genau ist ein „helles Roggenmehl“?). Für die deutsche Ausgabe (und den deutschen Markt) hätte man an mancher Stelle etwas mehr Sorgfalt walten lassen können (welcher Supermarkt führt hierzulande schon tiefgekühlten Sanddorn?).
Zumal: Auf das Aha auf der Zunge haben wir trotz vielversprechender Rezeptformulierungen und appetitlichster Fotografien bei allen Testessen vergeblich gewartet. Das mag bei Dingen wie besagten Topinambur-Gnocchi und Pastinakenkuchen Geschmackssache sein – vermutlich hätten einige Rezepte den letzten Schliff eines Profis allerdings ganz gut vertragen. Vielleicht macht Jönssons Band aber auch erst dann richtig Spaß, wenn man unter ihrer Leitung von Frühling bis Herbst durch Wald und Wiese streifen und sich am selbstgezogenen frischen Grün auf Balkon und Fensterbank gütlich tun kann – Genüsse, auf die man im Winter und ohne entsprechende Bevorratung verzichten muss.
Auch, wenn am Ende vielleicht nicht alles so herrlich und appetitlich schmeckt wie es auf Jönssons zahllosen Fotos aussieht: Wegen der vielen und unkomplizierten Tipps, die eigene Speisekammer ein bisschen grüner und naturnäher zu machen, lohnt sich die Lektüre.
Veröffentlicht im Mai 2016