Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
Ein Blick auf die Karte Vorarlbergs lohnt auch jenseits von Corona-Risikogebiets-Deklarationen: Hier findet man Orte, die Sonntag heißen, Schnepfau, Thüringen oder Schnifis – sowie einen Vorder- und Hinterwald. Man spricht sogar von „Hinterwäld(l)ern“, wenn man die Menschen meint, die zwischen Egg und Warth leben (zumindest hinter vorgehaltener Hand und aus der sicheren Distanz des angrenzenden Rheintals). Was keinesfalls darüber hinwegtäuschen darf, dass der Bregenzerwald eine der zukunftszugewandtesten Regionen des Landes ist – bei gleichzeitiger Traditionenpflege. Ein Ort, an dem beides selbstverständlich einhergeht, ist das einstige Gasthaus Engel in Egg (= gerade so Hinterwald), wo seit 2016 eine gewisse „Frau Kaufmann kocht“.
Die gebürtige Wälderin Karin Kaufmann (Foto links) führt seit mittlerweile zehn Jahren eine Kochschule mit angeschlossener Gewürzmanufaktur. Die Grundlagen dafür legten einst Mutter und Großmutter, deren Küchenpraxis Klein-Karin genauestens studierte. Wobei das mit der Genauigkeit so eine Sache gewesen sei, schreibt Kaufmann im Vorwort, schließlich habe man vor allem mit „a bizzile hiervon“ und „net zu viel davon“ hantiert. Nur bei einer Sache kannte man kein Pardon: Der Überzeugung, dass Lebensmittel wirklich richtig wertvoll sind und darum mit einer „ghörigen“ Portion Demut und Sorgfalt verarbeitet werden sollten.
Ausgewählte saisonale und regionale Zutaten werden durch geübte Handgriffe zu Gerichten, die genau so sein müssen – „ohne Schnörkel und Firlefanz“, wie Kaufmann es nennt. Das gilt bei ihr für deftige (Wirtshaus-)Klassiker wie Flädlesuppe (= klare Rindsbrühe mit Pfannkuchenstreifeneinlage), Rehragout und Käsknöpfle genauso wie für Modernismen à la Pulled-Pork-Burger, Wasabi-Sesam-Lachs oder Back-Tafelspitz mit Senf-Eis.
Karin hoch zwei
Für den fürs Kochbuch nötigen Sammlungs-, Sichtungs- und Verdichtungsprozess haben sich Kaufmann und die befreundete Journalistin Karin Guldenschuh ein Jahr Zeit genommen. Umso destillierter das Ergebnis: 80 süße und herzhafte Rezepte auf sechs Kapitel verteilt, die einerseits die (Kultur-)Landschaft des Bregenzerwaldes spiegeln („Vom Bauernhof“, „Aus dem Wald“, „Aus dem Wasser“, … – etwas, das übrigens auch Fotografin Veronika Studer hervorragend einzufangen wusste), andererseits die Gegenwart fest im Blick haben – und bei alldem kein Wort zu viel verlieren.
Mit Hirn …
Dieser letzte Punkt ist vor allem fürs Nachmachen entscheidend, denn Frau Kaufmann setzt auf Köch/innen mit Vorerfahrung und wachem Geist: Zutaten sind in der Regel anglo-amerikanisch notiert, also fix-fertig vorbereitet. Es werden keine Brutto-Zeitbedarfe genannt (dabei wird vorn betont, wie wichtig ein gutes Zeitmanagement beim Kochen ist) und die klein in der Bildunterschrift genannten Beilagen sucht man sich von den Vor- bzw. Folgeseiten zusammen.
Gsibergerisch:
a bizzile = ein bisschen (auch: a kle, a biz)
ghörig (sprich: „khörig“) = ordentlich, vernünftig („gehörig“)
„Would“ = (Bregenzer-)Wald
Gsiberger = Vorarlberger, weil sie die alemannische Eigenart pflegen, Vergangenheitsformen mit „i bin gsi“ auszudrücken (I bin z’Wian gsi = Ich war in Wien).
Ungefähre Vorstellungen davon, was der Unterschied zwischen scharfem Anbraten und sanftem Dünsten ist oder wie viel Flüssigkeit Linsen vertragen (Rote-Linsen-Suppe, s. u.), schaden ebenso wenig wie Überlegungen, dass Salz selten esslöffelweise dosiert wird (Hühnercurry, s. u.) oder dass man Brennnesseln auch nach dem Ernten am besten mit Handschuhen begegnet (Tarte, s. u. bzw. auch Schaumsüppchen). Ach ja: Und man muss mögen, dass sich Kaufmann gern und viel ihrer eigenen Gewürzmischungen bedient. Die werden zwar eingangs genau beschrieben und mit Ersatzhinweisen versehen, doch mich hat diese Eigenwerbung zuerst „a kle“ irritiert.
… und Hach
Allerdings nur so lange, bis ich das erste Essen verkostet hatte. Die Kaufmann kann! Vor allem das Zusammenspiel der Aromen gelang mir unter ihrer Anleitung hervorragend (Rote-Bete-Tarte!), und auch drumherum stimmte von A) wie Aufwand bis Z) wie Zusammenstellung wahnsinnig viel. Alles, was ich anpackte, entpuppte sich bei Tisch als „sichere Bank“ – und das ist wahrlich keine Selbstverständlichkeit beim Kochen nach Kochbuch.
Wenn man manchen Arbeitsanweisungen die Spur Präzision mehr gegönnt hätte, wäre „Frau Kaufmann“ für mich ein klassischer Fünfer, der optisch, inhaltlich und geschmacklich punktet. So gibt’s einen Stern Abzug für minimales Nachschärfungspotenzial. Nichtsdestotrotz: So lange das mit der Reiserei noch so eine Sache ist, empfiehlt es sich sehr, sich den (Breagaza-)„Would“ mit den beiden Karins auf den eigenen Teller zu holen.
Veröffentlicht im März 2021