Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
Die thailändische Küche hat einen köstlichen Ruf. Gerade aus dem Großstadtleben ist sie kaum mehr wegzudenken. Dennoch tut sie sich schwer, auch in die heimischen Küchen einzuziehen. So ist es auch bei mir – lange Zutatenlisten, gespickt mit Dingen, die ich nicht vorrätig habe, sorgen dafür, dass meine Ausflüge in die thailändische Küche bisher eher ein seltenes Abenteuer geblieben sind. Mit Kin Thai starte ich einen neuen Versuch einer Annäherung. „Kin Thai“ heißt übrigens „Essen Sie Thai!“

Und eigentlich müsste die Aufforderung sogar heißen: „Essen Sie Anglo-Thai!“ Thailändisch kochen und dabei in Großbritannien beheimatete Zutaten verwenden, das ist nämlich John Chantarasaks kulinarisches Steckenpferd (links ein Foto des Autors). Sein Lebenslauf liest sich hierfür fast zwangsläufig. Als Sohn eines thailändischen Vaters und einer englischen Mutter ist er in Liverpool geboren, in Wales aufgewachsen und zwischen den Kulturen seiner Eltern hin- und hergependelt, familiär wie dann auch beruflich. Schließlich hat er beide Pfade zusammengeführt und seine eigene kulinarische Handschrift entwickelt. Aber ich will es nicht kompliziert machen, denn die Rezepte stehen für sich.
Ein Kochbuch – auf den zweiten Blick
Gut verhüllt liegt Kin Thai vor mir – die regenbogenbunten Pinselstriche auf dem Einband erinnern mich eher an Seidenmalerei. Erst im bunten Inneren gibt es sich als Kochbuch zu erkennen, wobei die kapitelweise wechselnden Farben dann sogar etwas Struktur beisteuern.
Zum Weiterlesen:
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Apropos Struktur – es gibt acht Rezeptkapitel: Salate, Gegrilltes, Relishes und Dips, Suppen und Brühen, Frittiertes und „gerührt Gebratenes“, Currys, Snacks und Süßes, sortiert also nach Zubereitungsart und Appetit. Die „Basics“ sind in ein eigenes Kapitel ausgelagert. Dabei geht es keineswegs nur um Gewürzmischungen. Wer Lust hat, Sauce aus fermentiertem Fisch oder frische Kokoscreme selbst herzustellen, wird hier fündig.

Vorangestellt wird den Rezeptkapiteln eine kleine kulinarische Reise durch Thailand und – anglo-thai! – über die britischen Inseln. Die wichtigsten Zutaten, Werkzeuge und Methoden werden vorgestellt, und am Ende gibt es ein detailliertes Register.
Meine Klebzettel sind schnell gesetzt, die thailändische Küche ist ja nicht von ungefähr so beliebt. Nicht ganz so fix geht es dann aber mit der Umsetzung. Ich muss erst einmal ausgiebig einkaufen. Neben Koriander, Zitronengras, Ingwer, verschiedenen Chilisorten und den unglaublich verführerisch duftenden Kaffir-Limetten gehören vor allem Pandanblätter, Galgant und Kokosnuss zur absoluten Grundausstattung.
Umwege erhöhen die Ortskenntnis
Meine Nachkoch-Teststrecke verläuft nicht ganz unfallfrei. Ein Rezept, das Sellerie-Curry, macht mir besonders viel Kopfzerbrechen. Ein kleiner Verweis führt mich zu einem mitten im Buch versteckten mehrseitigen, eng gedruckten Text zur Zubereitung von Currypasten – mit wertvollen Tipps, die das Handwerk hier wirklich erleichtern, jedoch fällt es mir schwer, diese ganzen Informationen genau in dem Moment zu verarbeiten, wo längst die Kochtöpfe klappern.
Aber was ist denn nun „angothai“? Zwei nicht gerade eng verwandte Regionalküchen zu verbinden, ist ja bekanntermaßen nicht ganz ungefährlich. Im Idealfall entsteht ein „best of both worlds“ – im schlimmsten Fall ein müder Kompromiss. John Chantaransak setzt hier klare Prioritäten. Er kocht mit thailändischem Geschmacksprofil und mit Zutaten von den britischen Inseln. Hier und da zumindest. Statt grüner Papaya gibt es Karotten oder Pastinaken, Zitrusfrüchten und Tamarinde ersetzt er durch Sanddorn oder Rhabarber, Palmzucker durch Honig. So jedenfalls beschreibt er sein Konzept – in den Rezepten habe ich das leider nur vereinzelt wiedergefunden. Davon wünsche ich mir beim nächsten Mal mehr.
John Chantarasak:
„Mein thailändisches und mein britisches Erbe sind in meiner Küche gleichermaßen vertreten. Es ist ein fein abgestimmter Balanceakt, durch den ein Gericht mit den Aromen aus beiden Kulturen – der westlichen und der asiatischen – besticht. Der Begriff »Anglo-Thai« ist für mich daher zum Inbegriff meiner Berufung geworden und entspricht meinem Kochstil ganz und gar.“
Auch die drei „Geschwister Kokosnuss“ – Milch, Creme und Öl – tragen zu meiner Verwirrung bei, sie sind so allgegenwärtig, dass ich immer wieder Gefahr laufe, im Rezepttext falsch abzubiegen. Hier fehlt mir sicher auch etwas Routine – wer öfters in der thailändischen Küche unterwegs ist, wird sicherlich souveräner erkenne, welcher Schritt als Nächstes kommt und sich über manche für mich verwirrende Schlaglöcher einfach hinwegkochen. Und wer da wie ich etwas unbedarft ist, dem sei extragründliches Lesen nahegelegt.
Dies tut aber dem Genuss letztlich keinen Abbruch. Wer sich einlassen mag und bereit ist, auch mal einen Umweg zu gehen oder sich selbst eine Abkürzung zu suchen, wird spätestens dann belohnt, wenn das köstliche Essen endlich auf dem Tisch steht.
Mein persönliches neues Highlight zum Schluss: Frittierte Eier. Das gibt nicht nur eine interessante Variante der Eizubereitung, etwa für Brot oder Salat, sondern auch ein sehenswertes Spektakel.
Thailändische Küche kann ganz schön komplex sein. Diesem Ruf wird auch John Chantarasaks „Kin Thai“ gerecht. Die meisten Rezepte taugen nicht gerade für den schnellen Feierabend und es geht auch mal über holpriges Gelände. Wer sich aber darauf einlässt und ein wenig Zeit und Energie investiert, wird reichlich belohnt.
Veröffentlicht im August 2023