Zwei Sterne: Begeisterung sieht anders aus.
Als es losging mit Corona, brach ja bei vielen ein regelrechter Selbermachenwahn aus. Wir erinnern uns alle an ausverkaufte Hefe und leere Mehlregale. Mich hat die Welle spät erwischt, aber irgendwann zog der Sauerteig dann auch bei mir in der Küche ein. „Selbermachen“ von James Strawbridge kam mir da gerade recht, denn nun wollte ich noch mehr kulinarische Entdeckungen auf diesem Gebiet machen.

James Strawbridge (Foto links) ist den Briten bereits aus dem Fernsehen bekannt. Gemeinsam mit seinem Vater Dick stand er vor zehn Jahren erstmals als The Hungry Sailors vor der Kamera und erkundete mit ihm die britische Küste und dort ansässige Lebensmittelproduzenten, mit bzw. gegen die sie am Ende jeder Folge kochten. Der Vater wiederum hatte zuvor schon mit Shows und Publikationen zu den Themen Nachhaltigkeit und Selbermachen Bekanntheit erlangt. Dick Strawbridge ist übrigens in zweiter Ehe mit Angel Adoree verheiratet, deren 5-Sterne-„The Vintage Tea Party Book“ wir einst bei Valentinas vorgestellt haben. Eine illustre Familie.
Und ja, foto- und telegen ist der Mann auf alle Fälle, der hier vom Cover lächelt. Und ein Held am Herd offenbar auch. In acht Kapiteln widmet er sich den verschiedensten Themen und Methoden des Selbermachens. Im Kapitel „Einlegen, Einkochen und Trocknen“ beispielsweise werden „Milchsäuregärung“ (z. B. Sauerkraut), „Essigsauer einlegen“ (Piccalilli & Co.), „Essigreduktion“ (Chutney), „Gelbildung“ (Marmelade), „Proteinnetzwerk“ (Fruchtcurds), „Feuchtigkeitsentzug“ (Dörren) und „Säuregärung“ (Essig) erklärt.
Theorie und Praxis
Jeder Technik widmet Strawbridge eine Doppelseite. Unter dem Stichwort „Theorie“ wird das jeweilige Prinzip – übersichtlich und oft ergänzt von kleinen Illustrationen – erklärt. Dann folgen unter dem Begriff „Praxis“ Rezepte oder auch nur Rezeptideen.
Großmütig überspringe ich bekanntes Terrain und betrete für mich Neuland. Sauerkraut habe ich bislang noch nicht selbst hergestellt und die Zubereitung scheint simpel. Weißkohl sehr fein schneiden, wiegen und mit der entsprechend kalkulierten Salzmenge kräftig kneten. Dann über Nacht stehen lassen und anschließend – ohne Lufteinschlüsse – in ein ausreichend großes Gefäß drücken. Dabei soll so viel Eigenlake entstehen, dass der Kohl von dieser bedeckt und vor Schimmelbildung geschützt wird.

Aber oje: Es bildet sich einfach nicht genug Eigenlake! Was tun? Bei Strawbridge finde ich dazu keinen Hinweis. Also mache ich einfach weiter, beschwere das Kraut, obwohl mir schon klar ist, dass das bisschen Flüssigkeit an der Oberfläche wohl kaum ausreichen wird, aber vielleicht nach einer weiteren Nacht? Um es kurz zu machen: Nach einigen Recherchen im Netz erfahre ich, dass man am besten nachträglich eine Salzlake zubereitet und mit dieser den Kohl begießt. Gesagt, getan, aber dennoch hat sich nach ein paar Tagen unschöner Schimmel gebildet und das Experiment wird von mir als offiziell gescheitert verbucht.
Nur nicht entmutigen lassen
Im Wurst-Kapitel interessieren mich die „Grünen Würste“, die u. a. aus einer Mischung aus Quinoa, Zucchini, Spinat und Grünkohl bestehen. Mit der fertigen Wurstmasse soll man einen „Kunstdarm“ füllen. Leider schreibt Strawbridge nicht, welchen man dafür nehmen soll. Ich beginne eine stundenlange, über mehrere Tage andauernde Recherche. Welche Kunstdärme kann man mitessen (die Würste werden in der Pfanne gebraten, also handelt es sich um Bratwürste, oder?), woraus sind solche Kunstdärme überhaupt gemacht, welches Kaliber benötigt man und wo überhaupt bekommt man sie? Ich finde keine ermutigenden Ergebnisse und entscheide mich am Ende dagegen, irgendetwas Seltsames aus Asien zu bestellen.
James Strawbridge:
„Saisonale Produkte regen nicht nur zum Kochen und Konservieren an, man sollte sie auch zelebrieren.“
Viel mehr Freude macht da der Wermut. Im Kapitel zur Mazeration wird erläutert, wie Alkohol durch die Zugabe von leckeren Aromaten verfeinert werden kann. Wer schon einmal selbst Likör angesetzt hat, kennt das Verfahren. Hier werden Weißwein und Brandy mit zahlreichen Gewürzen und getrockneten Kamillenblüten in einen köstlichen Aperitif verwandelt. Sehr einfach in der Zubereitung und kein Ladenhüter im Kühlschrank.
Auch die Kombucha-Zubereitung verläuft unkompliziert dank einer Kombuchamutter, die ich von einer Freundin „erbe“. Weniger erfolgreich dann die Dosa, deren Teig uns viel zu bitter war, und die brettharte Sauerteig-Focaccia, von der die Hälfte ungegessen bleibt.
Wenn man nicht auf dem Land oder am Meer wohnt
Nicht immer scheinen mir die Rezepte in meiner Berliner Umgebung sinnvoll umsetzbar. Für die Herstellung seiner Butter veranschlagt der Autor 2,5 Liter Crème double. Daraus entsteht dann zwar 1 kg Butter, aber da erscheint es mir doch praktikabler – und preiswerter –, hochwertige Butter selbst zu kaufen.
Im Kapitel „Outdoorküche“ gibt es nur wenig, was ich bei mir umsetzen könnte. Ein Erdofen am Strand? Einen Holzbackofen für den Garten selber bauen? Vielleicht sogar doch den Lehmofen, in dessen Zutatenliste u. a. 50 kg Zementmörtel, 2 Tonnen Bausand, 1 Tonne Lehm, 50 kg Kalkputz und 1000 Liter Wasser genannt werden? Da passe ich lachend.
Immerhin. Die Billycan-Bohnen, ein herzhaftes Bohnengericht, das in einer Gusspfanne über einem Lagerfeuer zubereitet wird, funktionieren sicher mindestens auch genauso gut auf dem heimischen Herd. Hier freue ich mich über die leckere Entdeckung.
Die Bandbreite der Möglichkeiten, die James Strawbridge in seinem Buch „Selbermachen“ aufzeigt, ist enorm. Von Altbekanntem wie Chutney und Marmeladen über allerlei Sauerteiggebäck, luftgetrocknete Würste oder konfierte Entenkeulen bis hin zu geräuchertem Käse und Fisch: Das Buch bietet zahlreiche Anregungen, in der Küche – und auch draußen in der Natur – tätig zu werden. Auch mit Bauanleitungen für diverse Öfen und Räucherkammern kann der Autor dienen. Nicht immer geht er jedoch genügend in die Tiefe. Gerade für Anfänger wären mehr Tipps zum Troubleshooting hilfreich. So bleibt bei mancher Methode nur die Recherche im Netz oder der Griff zu einem anderen Buch. Als Ideengeber und Inspirationsquelle aber auf jeden Fall ein sehr schönes Buch.
Veröffentlicht im November 2021