„Crafted Lebensmittel“ sind zurzeit überall in der Kulinarik-Szene im Gespräch und das gilt nicht nur für Bier und Brot. Gerade bei Fleisch sind sich viele Konsument*innen einig, dass sie gerne etwas mehr Geld für gute Ware ausgeben, wenn sie sich dann auch sicher sein können, dass das fertige Produkt wirklich gut gemacht ist und das Tier vorher artgerecht aufwachsen konnte. Leider klappt das im richtigen Leben nur fast immer.
Der Herr auf dem Buchtitel guckt einen ja schon recht herausfordernd an, da musste ich einfach zum Buch greifen und darin blättern – aber dabei bleibt es nicht, vielmehr habe ich mich festgelesen und vor allem auch festgesehen. „Crafted Meat“ ist kein Fleisch-Kochbuch, von wenigen Rezepten im hinteren Teil des Buches abgesehen, dafür aber ein sehr informatives Metzger*innenbuch, das einen mitnimmt auf eine Fleisch-Wurst-Reise um die Welt. Es handelt sich um ein reichlich bebildertes Lesebuch, was einen Einblick gibt in die moderne Szene der Fleischmacher*innen. Also die Männer und tatsächlich auch (wenigen) Frauen (z.B. das Grrls Meat Camp), die die alte Handwerkstradition erneut haben aufleben lassen, an vielen Orten in Deutschland, Europa und vielen anderen Ländern. Die Schlachterei Scheller in Ronneburg steht beim nächsten Hannover-Besuch ganz oben auf der Liste, mal sehen (und schmecken!), was man dort so kaufen kann.
Nicht immer niedlich, sondern echt
Den drei Herausgebern des Buches geht es darum, dass die alte und darauf aufbauende neu entwickelte Handwerkskunst bewahrt und ge(wert)schätzt wird. Hendrik Haase ist als Blogger und Aktivist in Sachen Fleisch einigen bekannt. Seit Kurzem ist er auch Inhaber der Metzgerei Kumpel & Keule in der Markthalle Neun in Berlin.
„Crafted Meat“ ist aufwendig gestaltet, mit üppigen Informationen und vielen Fotos, Zeichnungen und Abbildungen versehen. Um davon angetan zu sein, bedarf es allerdings einer zwingenden Grundvoraussetzung: „non vegan“ and „non vegetarian“. Ansonsten steht man die kommenden 250 Seiten auch nicht durch, die Bilder sind nicht durchweg „niedlich“ und zeigen eben auch, dass Wurst vom toten Tier kommt: in „Stapeln“ tote Enten, die auf die Weiterverarbeitung warten, Schweinehälften, sowie Metzger beim Zerlegen und Zersägen von Fleischstücken, so wird eben aus Fleisch Wurst gemacht…
Los geht´s mit einem Informationsteil, in dem Tiersteckbriefe von Rindern, Schweinen, Schafen und Co. die Tiere ausführlich beschreiben: Welche Rassen gibt es? Wo kommen diese her und wie sehen die Tiere aus? Das Mangalitzer Schwein sieht aus wie ein halbes Schaf und vor einem Heckrind mit seinen ausladenden Hörnern hätte ich „in freier Wildbahn“ großen Respekt.
Porträts aus (fast) allen Weltteilen
Chianinarinder gelten als größte Rinderrasse der Welt und sind so alt, dass sie schon von Plinius dem Älteren erwähnt wurden (also vor etwa 2000 Jahren). Sie leben in der Toskana, woher auch ihr Name stammt, und können bis zu 1.500 kg auf die Waage bringen! Gute Abbildungen helfen dabei, den Überblick zu behalten. Die Seiten strotzen nur so vor Informationen, die Schriftart ist mir hier jedoch mitunter etwas klein, zudem sind auf den ersten fast 100(!) Seiten generell recht viel Text pro Seite untergebracht. Wen das aber nicht stört, der wird hier gut gefüttert mit viel fundiertem Wissen über verschiedene Zerlegetechniken, über die Metzgerkunst im Allgemeinen und einer umfangreichen Warenkunde. Sicher kein Buch, das man sich in einem Rutsch durchliest, eher etwas zum Nachschlagen, blättern und immer mal wieder nachlesen.
In dem dann folgenden Teil mit den Fleischmacher*innen-Porträts reisen wir gemeinsam von Stockholm über Berlin und Kopenhagen in viele Orte der USA, aber auch in ein hessisches Dorf, wo es Ahle Wurscht gibt oder nach Rügen. Wirklich quer durch die Welt, hin und zurück. Es fällt beim Lesen auf, dass nicht wenige der Betriebe erst in den 2000er Jahren gegründet worden sind und sich seither wohl zumeist mehr als nur am Markt behauptet haben. Die Arche des Geschmacks (Slow Food) wird ebenso vorgestellt wie ein brandneues Züricher Lokal, das erst 2015 eröffnet wurde – so bunt und spannend geht es immer weiter. Wer Spaß daran hat, in fremde Töpfe und Produktionsstätten zu schauen und auch die Menschen dahinter kennenzulernen, kommt voll auf seine Kosten. Die Autor*innen schreiben die Texte detailliert und sehr zugewandt, sie sind nah an den vorgestellten Betrieben. Vielfach kann ich mir richtig vorstellen, wie es vor Ort zugeht.
Die Einzelkämpfer des guten Geschmacks
Ich werde das Buch künftig häufiger aufschlagen, besonders wenn es in den Urlaub geht oder auf einen Städtetrip. Bei den Blicken in die Geschäfte der Betreiber*innen packte mich jedenfalls immer der Wunsch, solche Läden doch auch bitte in meiner Nähe zu haben. Es wäre daher schön gewesen, wenn eine Art Landkarte mit diesen begehrenswerten Orten im Buch zu finden wäre. Der abschließende Rezeptteil (knapp 50 Seiten) bewegt sich auf solidem und schlichtem Niveau, die Eigenschaft des Selbermachens wird unterstrichen, praktische Relevanz wird weniger entfaltet, so mein Resümee nach zwei ausprobierten Rezepten.
„Crafted Meat“ ist ein Buch, das die vielen Aktivitäten rund um die Neubelebung des Metzgerhandwerks zusammenfasst und einen vertiefenden Einblick ermöglicht. Inspirierend und beruhigend, dass die Einzelkämpfer des guten Geschmacks und der fairen Viehhaltung Unterstützung bekommen. Hier ist zu sehen, wer sie sind. Toll!
Veröffentlicht im September 2016