Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
“Wann der entfernte Strahl die Schatten dann verlängert
Und nun das müde Licht sich senkt in kühle Ruh,
So eilt die satte Schar, von Überfluß geschwängert,
Mit schwärmendem Geblök gewohnten Ställen zu.
Die Hirtin grüßt den Mann, der sie mit Lust erblicket,
Der Kinder muntrer Schwarm frohlockt und spielt um ihn,
Und ist der süße Schaum der Euter ausgedrücket,
So sitzt das frohe Paar zu schlechten Speisen hin.
Begierd und Hunger würzt, was Einfalt zubereitet,
Bis Schlaf und Liebe sie umarmt ins Bett begleitet.”
aus: Albrecht von Haller, Die Alpen, 1729
Schlechte Speisen müssen auch Alpenbewohner heutzutage nicht mehr essen. Und täte es doch einer, so könnte Hans Gerlach ihn eines Besseren belehren. Doch beginnen wir am Anfang: wo befinden wir uns überhaupt? Die Alpen, die sich über eine Länge von 1.200 km und einer Breite von bis zu 250 km erstrecken, liegen in acht europäischen Ländern, nämlich Deutschland, Österreich, Schweiz, Liechtenstein, Slowenien, Italien, Frankreich und Monaco. Diese Ländervielfalt birgt natürlich großes kulinarisches Potential. Was soll man sich also unter Alpenküche vorstellen? Wenig Fisch, viel Käse, wilde Bergkräuter fallen mir spontan ein. Und Fleisch? Vermutlich getrocknete Würste, Schinken, vielleicht Wild?
Traditionelles trifft auf modern Anmutendes
Hans Gerlachs Alpenküche (links ein Foto des Autors) enthält auf gut zweihundert Seite Rezepte aus dem alpinen Raum, die die vielen Länderküchen, allerdings mit Schwerpunkt auf den DACH-Ländern widerspiegeln. Unterteilt ist der Band in die Kapitel Jausen, Suppen, Kleine Gerichte & Vegetarisches, Käsegerichte, Fisch, Fleisch, Mehlspeisen und Desserts. Klingen diese Titel auch sehr traditionell, verstaubt ist höchstens der Wanderstiefel nach alpiner Bergtour, die durchweg bebilderten Rezepte beginnen im Hier und Jetzt mit Alpen-Hotdog und Alpen-Pickles, dann wieder trifft Traditionelles wie Erdäpfelkas oder Brotsuppe mit Blunzen auf modern Anmutendes wie Pulled Hirschpfeffer in Piadina, angepriesen als alpines Streetfood.
Eine spannende Auswahl, die Lust zum Kochen macht. Schon die Jausen von gefüllten Teigtaschen bis zu Salaten klingen vielversprechend, oder doch lieber erst eine Suppe? Gezielt kommen besonders im diesem Kapitel verschiedene (Wild)kräuter zum Einsatz, sei es wilder Oregano in einer Kartoffel-Lauch-Suppe oder die geballte grüne Kraft in der Kräutersuppe. Damit dann doch nicht der Hunger würzt, gibt es zusätzlich verschiedene Einlagen wie Nockerln, Knödelchen oder Klößchen. Uns hatte es die Sauerkrautsuppe angetan, die an einem heißen Tag beglückend herzhaft und erfrischend wirkte.
Lieblingsautor Hans Gerlach
Kleine bzw. vegetarische Gerichte erhöhen die Spannung, denn wer könnte z.B. einem Walliser Spargelkuchen mit grünem und weißen Spargel, Kerbel und Pinienkernen widerstehen? Auch die Bandbreite an Ravioli kann sich sehen lassen: die Kartoffelschlutzer mit Leberwurstfüllung konnte uns überzeugen, im Frühjahr dann vielleicht die Buchweizenravioli mit Burrata-Bärlauch-Füllung? Man könnte sich Gericht für Gericht durch diesen Band lesen, und entsprechend rezensieren, und hätte lange, bevor man zum Fisch käme, Appetit. Und wer sich parallel auf die ein oder andere Bergtour einlässt, dem wird der Hunger gewiss sein.
An dieser Stelle möchte ich die gerade Strecke durch das Buch verlassen, und mit ein paar Schlenkern hier und da die Aussicht genießen. Der Autor, Hans Gerlach, ist ausgebildeter Koch und Valentinas-Lesern sicherlich kein Unbekannter. Sein Name bürgt für Qualität, vernünftige, funktionierende Rezepte werden folglich erwartet. Auch auf alpinem Terrain bewegt er sich trittsicher, und führt auf seiner kulinarischen Tour zielsicher zu immer neuen Höhen, an denen man schwelgend genießen sollte. Besonders überzeugt hat mich das Kapitel Fleisch, das v.a. durch spannende Wildrezepte und Sonntagsbraten in allen Variationen punkten kann. Hiervon sehe ich mich noch viel ausprobieren.
Wie steht es mit den verwendeten Produkten, kann ich mich nur in Alpennähe an diese Rezepte wagen? Für das Gros der Rezepte gilt dies sicher nicht, zumal man einiges an alpinen Zutaten mittlerweile überall erhält. Wenn gelegentlich bestimmte Produkte wie Schweizer Saucisson Vaudois verlangt werden, gibt der Autor typischerweise Alternativen an. Auch evtl. unbekannte Dialektwörter, die im Titel für einen originalen Touch sorgen, werden in der Zutatenliste ins Hochdeutsche übersetzt, sodass ein lästiges Blättern in einem Glossar entfällt. Vorbildlich.
Die neue Alpenküche ist ein Kochbuch für Genießer, die sich insbesondere für die süddeutsche, österreichische und Schweizer Küche begeistern. Die Bandbreite reicht von einfachen bis hin zu zeitlich aufwändigeren Rezepten, die man vielleicht nicht nach einer Bergtour selber kochen möchte, über die man sich bei Einkehr in eine kleine Berghütte aber sicherlich freuen würde. Für mich bitte eine Portion Schwarzbeernocken!
Veröffentlicht im Dezember 2015
Ich liebe alle Bücher und Rezepte von Hans Gerlach. Er ist sympathisch unprätentiös und herrlich handfest. Dass er in diesem neuen Buch auch Alternativen zu scher erhältlichen Produkten anbietet, ist für mich immer ein wichtiges Kriterium für ein „gutes“ Kochbuch. Da war meine erste Lehrmeisterin Elfie Casty.
Danke für die Besprechung. Mal sehen, ob mir jemand dieses Buch schenkt.
Ich drücke die Daumen. 🙂