Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
Ein Geschenk für alle Italien-Liebhaber, für Menschen, die am liebsten vor Ort bei lokalen Produzenten einkaufen, für Hobbyköche, denen auch stundenlanges Schnippeln, Schmoren, Kneten nichts ausmacht. Und die einen großen Coffee-Table haben.
Denn was als erstes auffällt ist das enorme Ausmaß dieses knallroten Buches: aufgeschlagen ist es 53x32cm groß – mehr als einen halben Meter breit! Und wiegt über 3 kg! In kleinen Küchen ist das schon eine Herausforderung, so ein Buch irgendwo aufzustellen, zumal die Zubereitungen selbst auch manchmal alle Arbeitsflächen beanspruchen… Also lieber doch erst im Wohnzimmer breit gemacht und geblättert.
Elf Regionen hat der australische Koch mit italienischen Wurzeln bereist und dort 51 regionale Spezialitäten ausfindig gemacht, die ihn dann zu eigenen Kreationen inspirierten. Von Bresaola und Fontina-Käse aus der Lombardei über Grappa aus dem Friaul bis zu Buchweizen aus der Toskana suchte sich Guy Grossi bekannte und weniger bekannte Grundzutaten aus und besuchte dabei die jeweiligen Koryphäen ihres Faches. Jeder dieser lokalen Produzenten wird liebevoll porträtiert, mit Bild und Name verewigt – wer gern selbst in Italien nach DEM Parmesan oder DER Pasta sucht, wird hier interessante Anhaltspunkte finden. Alle anderen begnügen sich fürs erste damit, aus den hier erhältlichen Produkten (oder ihrem halbwegs vertretbaren Ersatz) die Rezepte nachzukochen.
Gezielt ein Gericht suchen – was könnte ich jetzt mit meiner Ente heute machen – führt hier eher nicht zum Erfolg. Die besagten 51 Spezialitäten sind das Maß der Dinge in diesem 535 Seiten-Wälzer. Aber die Rezepte eignen sich ohnehin eher nicht für einen spontanen Feierabend Cookout. Die Zubereitungen sind zeitintensiv und aufwendig. Also lieber das nächste Familien-Essen gezielt planen, die besten Zutaten beim Fleisch-, Geflügel-, Käse- und Gemüsehändler Ihres Vertrauens einkaufen, ein Gläschen Soave einschenken (Guy empfiehlt Pieropan, ich halte die Fahne für Gini hoch!), Platz in der Küche schaffen und gemütlich loskochen.
Was dabei herauskommt ist perfekt, die Rezepte sind alle gut nachvollziehbar und wirklich ein Genuss! Die Gnocchi wurden tatsächlich fluffig-locker und schmeckten extrem gut – aber dafür steht man dann auch weit über einer Stunde in der Küche. Dass ich die überaus köstlich-klingenden Kürbis-Tortellini noch nicht in die Tat umgesetzt habe, liegt zum einen bestimmt an dem zu erwartenden enormen Aufwand – und den 14 Eigelben im Teig. Wer macht so etwas?
Ich strecke die Waffen. Kehre zurück zu meinem Wohnzimmertisch und blättere und schmökere weiter. Mit den 700 (!) Fotos träumt man sich zum nächsten Urlaub in Bella Italia – wobei ich mich frage: wo bitte erntet man im 21. Jahrhundert noch mit der Eisensichel?? Die Antwort findet sich auf der gegenüberliegenden Seite. Auf dem Hof von Maria wird tatsächlich noch so der Buchweizen geerntet!
Ach ja die Bilder. Sie erfüllen wirklich jedes Italien-Klischee, wecken Sehnsüchte, sind wunderschön, romantisch, bodenständig und appetitanregend. Ob Silhouette einer Stadt am Berghang oder Fischer in Gummihandschuhen am Hafen. Ob Schinken in Großaufnahme oder einfach nur Steinpilze. Das ist alles so perfekt und schön, dass man sich manchmal kneifen muss. Und manchmal erschlägt es mich doch fast. Ich will keine aufgeschlitzten Schweine sehen und auch nicht zu viele lächelnde Menschen in Bars oder auf der Straße. Da wäre mir ein weiteres Rezept dann lieber gewesen. Eins wie das geniale Lammkotelett in Kräuterpanade mit Rapunzel-Minze-Salat. Großartig!
Guy Grossi versteht es, aus einfach bäuerlichen Zutaten wie Dinkel oder Graupen genauso ein leckeres Gericht herzustellen wie aus edlen Krebsen oder Jakobsmuscheln. Die Bandbreite von ganz bodenständig bis raffiniert, die ja auch den Schmelztiegel der italienischen Küche ausmacht, beherrscht er perfekt. Wer also Zeit, Mühe und Platzbedarf nicht scheut, findet hier ein tolles Kompendium. Und ein tolles Geschenk.
Veröffentlicht im Januar 2015