Drei Sterne: Hat Stärken, aber überzeugt nicht ganz.
Hierzulande schwimmt die Zitrone in Mineralwasser oder begleitet als Requisite den Fischteller. Dass die Zitrusfrucht aber kulinarisch sehr wohl eine tragende Rolle spielen kann, das will der italienische Autor Gennaro Contaldo in seinem neuesten Kochbuch Limoni zeigen. Dass sein Herz für diese Frucht schlägt, ist nach der ersten Lektüre unzweifelhaft. Aber ob er ihr ein „Denkmahl“ setzen kann?

Gennaro Contaldo liebt Zitronen. So sehr, dass er immer eine in der Hosentasche habe. Am liebsten seien ihm dabei die Früchte von der Amalfiküste. Sie würden noch nach traditioneller Methode angebaut und von Hand gepflückt. „Sie sind Symbol für mein geliebtes Heimatland, rufen Kindheitserinnerungen hervor und sind unheimlich vielseitig“, schwelgt der Kochbuchautor.
Das spritzig gelbe Cover und die ewig sommerlichen Fotografien von David Loftus bringen mediterranes Flair subito in meine norddeutsche Küche. Und ich fasse es kaum: Kaum halte ich das Kochbuch in den Händen, gibt es in meinem Supermarkt Amalfi-Zitronen. Ich mache eine erste Kostprobe: Sie schmecken milder und saftiger als übliche Zitronen. Aber – für die Rezepte würden sich auch handelsübliche Sorten eignen, tröstet der Autor all jene, die mit der üblichen Ware vorliebnehmen müssen.
Nach dem puren Tasting bin ich gespannt, was sich Besonderes aus meinen Amalfi-Zitronen zubereiten lässt. Die Rezepte erwarten die Leser:in nach Menügang sortiert. Der Dessertteil sieht für mich besonders verführerisch aus, wie beispielsweise die Cremige Zitronentorte oder das Zitronentiramisu.
Contaldo setzt die Zitrusfrucht in seinem Kochbuch oft klassisch ein (Salat von Meeresfrüchten, Tagliatelle mit Zitronen), aber auch hier und da überraschend (Hasenfleischeintopf mit Zitrone und Äpfeln). Gegen Ende des Buches mehren sich zunehmend Standards wie Salatdressing mit Zitronensaft und Marmelade aus Zitronen. Ganz ehrlich: Sie wirken auf mich ein wenig wie Füllmaterial.

Mit dem Duft von Zitronen
Ich starte mit dem Probekochen. Schon beim Hantieren mit den Zitrusfrüchten geht in der Küche förmlich die Sonne auf. Dieser Duft, herrlich! Eine Aromatherapie. Ich habe meine wahre Freude an meinem ersten Zitronenrisotto und staune, wie vorzüglich es andere Beilagen auf dem Teller betont. Aber sind nicht 1,5 l Gemüsebrühe etwas viel bei 300 g Reis? Bei mir reicht ein Liter.
Auch das Espresso-Zitronen-Semifreddo überzeugt mich, aber wäre etwas süßer nicht noch überzeugender? Je weiter ich mit den Rezepten fortsetze, zeigt sich bei jedem Rezept ein „Ja, aber!“. Sollten die Kichererbsen im Salat nicht lieber etwas zerdrückt werden, damit die Soße nicht an ihnen abperlt? Sollen die gefüllten Zitronen mitsamt Schale so bitter schmecken oder sollte doch das Weiße ebenfalls entfernt werden?
Gennaro Contaldo:
„Zitronen sind ein Teil von mir, meiner Kindheit und meiner Kultur … Tatsächlich verlasse ich auch heute das Haus selten ohne eine Zitrone.“
Ist das so gewollt?
Das Rezept für Zitronentiramisu finalisiert den Eindruck. Es schmeckt klebrig und sehr süß. Für 200 g Löffelbiskuit verwendet Contaldo 250 g puren Mascarpone. Das ist massig und schwer. Über eine Angabe der Durchziehzeit hätte ich mich übrigens gefreut.
Sicherlich ist die Zitrone als prägendes Aroma eines Gerichts eine Zutat, die schwierig ist, in eine stimmige Mengenangabe zu übertragen: sie ist mal süßer, mal saurer oder sogar bitter. Es gibt nicht die Standardfrucht. Dennoch bleibt der Eindruck, dass Contaldos Rezepte nicht ausgereift sind, denn das geschmackliche Ergebnis lässt mich immer wieder rätseln, was man daran besser machen könnte.
Das Kochbuch Limoni von Gennaro Contaldo macht Lust. Auf Zitrusfrüchte, Italien und den Sommer. Es ist voller Atmosphäre und bietet auf den ersten Blick reizvolle Ideen. In der Umsetzung fehlte es mir aber an Überzeugungskraft auf der Gabel. Nein, ein Denkmal an die Zitrone ist das für mich nicht.
Veröffentlicht im Februar 2023