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Katharina Höhnk

Kochbuch von Gabi Kopp: Meze ohne Grenzen ★★★★★

Meze ohne Grenzen – Rezepte, Geschichten, Menschen
Gabi Kopp
Autorenfoto: Nique Nager
Rotpunktverlag (2017)

Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.

Patricia Rahemipour

Von

Sonntag. Ein ausgedehntes Frühstück. Ich sitze mit meinem Mann am Frühstückstisch und jeder schmökert in einem Kochbuch. Was auch sonst, natürlich Kochbücher. Und dann macht mein Mann diese Bemerkung, die es auf den Punkt bringt: Wer macht eigentlich immer diese Zeitangaben in Kochbüchern? Hier zum Beispiel ein Rezept in 17 Schritten und gefühlten 100 Zutaten, Zubereitungsangaben weisen es als anspruchsvoll aus und alles soll in 20 bis 30 Minuten fertig sein?

Ein Paradox

Enttäuscht legt er das Buch weg und schwört, es nie wieder in die Hand zu nehmen. Diesen Effekt kenne ich auch. Es ist deprimierend. Da kocht man gegen die Uhr und fühlt sich bei „Verfehlung“ wie ein Versager, obwohl das Gericht, das man zubereitet hat, durchaus schmackhaft ist.

Die Zeitangaben machen andererseits aber auch Sinn. Man kann einschätzen, wie lange man ungefähr für ein Gericht braucht. Die Zusammenstellung eines Menüs glückt nur, wenn man eine Idee davon hat, wann was fertig sein muss. Zeitangaben bei Rezepten zeigen aber vor allem eins: Kochen braucht Zeit.

Gabi Kopp (Foto links) verzichtet völlig auf Zeitangaben bei Rezepten, und das hat mich irritiert. Es heißt zum einen, dass Zeit hier keine Rolle spielt. Andererseits handelt es sich bei Meze um verschiedene Kleinigkeiten und alle müssen gleichzeitig auf den Tisch. Dieses Kochbuch verhindert im Prinzip die Planbarkeit seiner Gerichte. Ein Dilemma. Wie ich es gelöst habe, dazu später. Aber zunächst einmal zu dem Buch.

Kochtraditionen vs. Nationalstaaten

„Meze ohne Grenzen“ ist ein reich illustriertes Kochbuch, das ohne Fotografien auskommt. Nicht selten werden die Gerichte mit Personen, die um einen Tisch sitzen gezeigt, womit man dem Untertitel „Rezepte, Geschichten, Menschen“ Rechnung trägt. Besonders bemerkenswert ist hier sicher, dass die Illustrationen von der Autorin selbst stammen. Es ist also wieder eines jener Bücher, die nicht nur Kochbuch sein wollen, und doch ist es anders als die anderen seiner Zunft. Denn hier handelt es sich nicht um ein nachträglich hinzugefügtes Designkonstrukt. Es ist vielmehr ein Grundgedanke dieses Buchs, der sich auch in seiner Aufmachung niederschlägt.

„Meze ohne Grenzen“ will Geschichten über die Länder erzählen, aus denen die Rezepte stammen. Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Kulturen offenbaren und die Menschen dahinter sichtbar machen. Gerade in einer Zeit, wo sich die Demokratie aus meiner Sicht in ihrer größten Krise befindet, ist es eine sehr gute Idee.

In den begleitenden Texten scheinen dementsprechend auch politische Kommentare auf. Runtergebrochen auf das Thema Essen wird dem Leser schnell klar, dass es tatsächlich Sinn machen würde, nationale Grenzen auch einmal historisch zu betrachten und zu denken. Am Beispiel Halloumi/Hellim wird es besonders sichtbar: Nord- und Südzypern bemühen sich, dieses gemeinsame Erbe als geschützte Ursprungsbezeichnung eintragen zu lassen. Allein die bürokratischen Hürden haben es bislang verhindert …

Essen als Treffpunkt

Das Inhaltsverzeichnis trägt diesem Anspruch ebenfalls Rechnung. Hier finden sich die Rezepte nur aufs Allergröbste gegliedert: Meze vegetarisch, Fisch und Meeresfrüchte, Fleisch und Süßes. Dagegen ist jede einzelne Person, die ein Rezept geliefert hat, mit Porträt und genauer Seitenangabe verzeichnet und es gibt kurze Essays zu Hintergründen von Rezepten wie etwa Von Schafkäse und Honigmelone zu türkischem Sushi. Eine Liste der Rezepte findet sich übrigens auch. Allerdings hinten im Buch als Glossar auf Deutsch und in der Landessprache.

Ein Blick auf die kurze persönliche Vorstellung der Autorin hinten im Buch beantwortet bereits viele Fragen, auch die zu der besonderen Gliederung des Buches. Hier macht keine Köchin ein Kochbuch. Hier hat eine Illustratorin, die sich auch in einer Genossenschaftsküche in Luzern engagiert hat, ein Kulturprojekt realisiert. „Meze ohne Grenzen“ ist bereits ihr drittes Buch, und immer geht es um interkulturelle Annäherung durch Essen. Was ist es also, das ich rezensieren möchte? Ich würde es für mich eher als Kulturführer mit Rezepten begreifen wollen denn als klassisches Kochbuch. Nachdem das geklärt ist, komme ich endlich zum Essen.

Meze bieten sich an, um Freunde einzuladen und mal ordentlich auf den Putz zu hauen. Wenn man also gerade eine Durststrecke hat, das Selbstbewusstsein auf dem Boden liegt und die Arbeit einem über den Kopf wächst, ist mein Rat: Ladet ein zu einem gemütlichen Abend mit Wein und Meze. Danach kommt man kaum noch durch die Tür. Jedenfalls nicht, wenn man nach diesem Buch kocht. Versprochen.

Aber zurück auf Anfang

Ich habe die Gerichte mit selbst gesammelten Wildkräutern und in Deutschland nur umständlich käuflich zu erwerbendem Gemüse voller Missachtung zur Seite geschoben und mich wie immer auf die Klassiker sowie auf ausgewählte Neuigkeiten gestürzt. Natürlich war Baba ganusch ein Muss. Wer das erste Mal eine Aubergine gerochen hat, die nach 40 Minuten aus dem Ofen geholt wird und einen leicht rauchigen, nussigen Duft verströmt, weiß, warum dieser Klassiker zu meinen All-Time Favorites gehört.

Gabi Kopp unterscheidet hier zwischen dem Grundrezept, das sich der Zubereitung der Aubergine widmet, und den jeweiligen landestypischen Ergänzungen. Ich habe zwei Varianten vorbereitet, Mutabbal mit Tahina und Joghurt sowie Baba ganusch mit Granatapfel und Walnüssen. Dies sind nur zwei von unzählig vielen Möglichkeiten. In Verbindung mit dem Grundrezept werden allerhand geeignete Zutaten aufgeführt, die ebenfalls hätten verwendet werden können. Beide Gerichte waren wie angegeben zuzubereiten. Eine kleine Strichskala unter dem Rezept informiert über den Schwierigkeitsgrad. Alles passte, alles stimmte. Der Geschmack war perfekt.

Ein weiterer Klassiker ist Tabbuleh. Nichts gehört für mich mehr zum Sommer als dieser Salat. Naja, vielleicht noch Baden und ein Eis. Aber wir reden hier ja von Gästen und Abendessen.

Auch hier die gleiche Erfahrung wie bei den ersten beiden Meze. Die Angaben stimmen. Die Hinweise sind hilfreich und angebracht. Und die Rezepte halten auch Ungewöhnliches bereit. Überrascht hat mich zum Beispiel die Zugabe von Bulgur in rohem Zustand. Der häufigste Fehler, was einen guten Tabbuleh-Salat angeht, ist einer schlichten Verwechslung geschuldet. Es ist KEIN Bulgursalat mit Petersilie. Es ist ein Petersiliensalat mit Bulgur. Und zum Glück: Frau Kopp sieht das genauso. Und genau deshalb ist es ein gutes Rezept, weil der wenige Bulgur in rohem Zustand dazu kommt und dem Ganzen damit einen ungewohnten und sehr willkommenen Biss verleiht.

Lecker!

Ein Meze musste ich dem Abend noch hinzufügen: „Schwein in Wein“. Poetischer geht es kaum … Leckerer auch nicht. Es ist ein sehr einfaches Gericht, nichts Besonderes. Das muss man aber auch nicht unbedingt haben, wenn es so köstlich ist wie (ich muss es noch mal schreiben!) „Schwein in Wein“. Freundlicherweise wurde ich darüber aufgeklärt, dass ich das Gericht auch aufgewärmt servieren kann, was mich direkt zu den nächsten Rezepten trieb.

Ich bin beim Wein geblieben, wenn auch eher den Weinblättern. Lammragout in Weinblättern lässt sich ebenso wie die anderen Gerichte auf den Punkt so vorbereiten, wie im Rezept beschrieben. Und da gerade ohnehin Spätsommer war, habe ich auch gleich frische Weinblätter verwendet. Zum Glück haben wir nicht nur einen, sondern gleich zehn Weinstöcke in unserem Garten, so war noch genug da für einen weiteren Klassiker: Gefüllte Weinblätter. Hier als griechisches Gericht mit Ei-Zitronen-Sauce. Lecker, und wie übrigens die meisten Meze in diesem Buch vegetarisch oder sogar vegan.

Noch eine warme Speise sollte auf den Tisch. Die Wahl fiel auf die Fisch- oder Inselsuppe von Limni. Der besondere Clou an dieser Suppe ist, dass sie mit Ei und Mehl abgebunden wird und so zwar zur Cremesuppe wird, aber längst nicht so schwer wie eine vergleichbare Suppe mit Sahne.

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Der Tisch war nun also reich gedeckt, die Gäste kamen und ich habe nicht gelogen: Ich konnte nach dem Essen durch keine Tür mehr. Und wenn der kritische Leser nun denkt, dass es in der Breite nicht mehr passte … Nun denn, das kann auch sein. Aber vor allem meine Größe hinderte mich, so voll des Lobes waren alle. Und ich muss auch sagen, selten haben mich wirklich alle Gerichte einhellig überzeugt, in Geschmack wie in Zubereitung.

Und zum Schluss noch die Lösung für die fehlenden Zeitangaben, das wirklich Einzige, was ich an dem Buch von Gabi Kopp vermisst habe: Wenn man sich vornimmt, etwa vier oder fünf Meze für einen gemütlichen Abend zuzubereiten, ist es schlicht und einfach eine gute Idee, mit den kalten Meze zu beginnen. Ich habe gemerkt, dass drei kalte mit zwei warmen Meze gut korrespondieren. Also erst mit den kalten Meze beginnen und dann weiter mit den warmen. Zudem steht bei einigen Rezepten die Angabe, wie lange die Meze haltbar sind. Viele Meze kann man gut vorbereiten, sodass man am Abend nicht in Bedrängnis gerät. Zugegeben, das ist ein wenig um die Ecke gedacht, doch das ist dieses Buch auf jeden Fall wert.

Gabi Kopp hat mit „Meze ohne Grenzen“ ein rundum tolles Buch vorgelegt. Es glänzt in allen Kategorien. Es erzählt tolle Geschichten von Menschen. Es erzählt tolle Geschichten von Rezepten und ihrer Geschichte. Es erzählt tolle Weisheiten über Pflanzen. Und es enthält tolle Rezepte, die bei uns immer wieder gekocht werden.

Veröffentlicht im Mai 2019

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