Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Fuchsia Dunlop kannten wir bisher als China-Fürsprecherin der scharfen Küche Sichuans. Die Engländerin kam als Stipendiatin und blieb als Kochschülerin, bevor sie zurück in England die Kochkünste der bevölkerungsreichsten Provinz von seiner authentischen Seite neu und faszinierend ins Gespräch brachte.
Nun ist sie weitergereist, und zwar in die Jiangnan-Region, die südlich des 6380 km langen Jangtse-Flusses liegt. Shanghai ist hier eine der geläufigsten Städte. In China wird diese Region auch das Land des Fisches und Reis genannt, denn der Fluss ist in jeder Hinsicht großzügig.
Das Interessante an Dunlop als Kochbuchautorin ist ihr Lebensmotiv, den Dingen auf den Grund zu gehen. Sie ist nie eine reine Rezeptsammlerin, sondern sie versteht sich als Kulturvermittlerin, die die Rezepte mit ihren Zutaten und Aromen ableiten möchte.
Schweinebauch poetisch
Auf über 30 Seiten formuliert sie daher die Geschichte der Küche, die Zutaten, Aromen und Zubereitungsmethoden. Ein dichter Text, den ich zunächst übersprungen habe (Ja!), da ich zwar Dunlop bewundere, aber nichts mit der Region anfangen konnte. Aber dann, nach den ersten Gerichten, die tatsächlich aromatisch anders ausfielen als mir bekannte – sanft und pur statt würzig komplex -, schaute ich genauer auf die Karte und streifte durch ihre Rechercheergebnisse.
Auf über 368 Seiten verteilen sich anschließend die Rezepte, Helfer zur Menüplanung, Techniken und vieles mehr. Appetizer, Fleisch, Geflügel und Ei (!), Fisch, Tofu über Dumplings, Süßspeisen und Tee preisen sich reich bebildert der Leserin an. Wo anfangen?
Ich wollte meiner Schweinebauch-Leidenschaft zunächst frönen, die ich dank einer Quelle bester Qualität in Berlin (Duroc aus Thüringen) zur Freude meiner Familie stets „füttere“, und die Chinesen wissen schließlich, wie man diesem Fleischstück schmeichelt.
Das Dongpo pork war daher mein erstes Projekt, eines von unzähligen Schweinefleischgerichten in dem Kochbuch. Die besondere Zutat des Gerichts: Shaoxing-Wein, der aus der Jiangnan-Region kommt.
Das Gericht ist benannt nach einem Dichter aus der Song-Dynastie (960–1126). Die Verknüpfung von Poesie und Rezept unterstreicht frappierend die Bedeutung von Essen in China. Für mich veredelte dies den Schweinebauch zu einem geradezu lyrischen Genuss. Man stelle sich vor: ein Kästner-Braten, ein Höderlin-Ragout oder Eschenbach-Carpaccio.
Es erwartete uns ein befriedigendes Schmorgericht mit cremigem Fett, dem man nur vorwerfen kann, dass die leichte Sauce zu knapp war. Aber auch hier weist Fuchsia die Richtung: „.. but in practise most chefs add a little bit water.“
Die gedankliche Schlucht
Der Auftakt war getan. Das weitere Zusammenspiel von kultureller Erläuterung und Rezept entfaltete eine sanfte Sogwirkung. Bei mir funktioniert das immer: Eine lose Beziehung zu der Region entsteht, obwohl ich sie nie mit eigenen Augen gesehen habe. Auch wenn sich praktisch durch die aktuelle Nachrichtenlage aus China – ob Pandabären oder Nachrichten über Liu Xiaobo – eine gefühlte Schlucht auftut, denn die Bilder des Geschmacks wollen nicht übereinander passen mit denen aus der Zeitung.
Diese Divergenz passierte mir ein weiteres Mal: Die Farben des Buches sind ein ästhetisches Spiel an Grau und Blaugrau. Dunlop dachte vielleicht an den Fluss. Ich musste da immer an Chinas Himmel denken …
Wenige Zutaten ergeben ein neues Erlebnis
Aber zurück zum Wesentlichen: Das Tolle beim Nachkochen aus dem Kochbuch ist, dass die Zutaten in der Mehrheit sehr übersichtlich sind und wenig Exoten aufweisen. Manchmal fragt man sich, was denn jetzt das Besondere daran sein kann, aber dann eröffnet sich in der Praxis eben doch ein neuer Genuss.
Wie z. B. beim Jujube-Ingwer-Tee, den das Aroma-Gedächtnis begierig abspeicherte. Der Tee wird aus getrockneten roten Datteln, frischem Ingwer und Honig zubereitet. Herauskommt ein erdiger, süßer Seelentröster für kalte Tage. Wirklich empfehlenswert. Meine handschriftlichen Notizen in dem Buch sind eine einzige Aneinanderreihung von „Top“!
Land of Fish and Rice wird in Tagen, wenn unser Blick auf China die Regionen erkennt, ein Standardwerk. Da bin ich mir sicher. Fuchsia Dunlop bringt die lokale Küche dem Leser nah, er beginnt sie zu verstehen, warum sie ist, wie sie ist und was ihre Wurzeln sind. Warum Dunlop immer noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde, bleibt uns ein großes Rätsel. Aber ob Deutsch oder Englisch: Wenn es um chinesische Küche aus Sichuan oder Jiangnan geht, kommt man um sie zur Freude des Gaumen nicht herum.
Veröffentlicht im Juli 2017