Drei Sterne: Hat Stärken, aber überzeugt nicht ganz.
Die Vivamayr-Gesundheitskliniken in Österreich bieten neben Aktiv- und Entspannungsangeboten eine gesunde, vorwiegend vegetarische Ernährung nach Dr. Franz Xaver Mayr. Der österreichische Arzt (1875-1965) entwickelte eine spezielle Entschlackungsmethode, die F.-X.-Mayr-Kur, damals profan Milch-Semmel-Kur genannt, heute steht aber zeitgemäß Gemüse im Zentrum. Ich bin gespannt: Gesund ist ja häufig nicht lecker, sondern eher langweilig. Trifft das hier zu? Das Vivamayr-Kochbuch gibt nun Aufschluss – nicht nur seinen Patienten, sondern auch Interessierten.

Die Herausgeber sind die Geschäftsführer der beiden Vivamayr-Kliniken: Serhan Güven (Maria Wörth) und Dr. Dieter Resch (Altaussee). Die Rezepte stammen von den Küchenchefs aus beiden Häusern. Emanuela Fischer (Foto links) ist Schweizerin und kocht in Maria Wörth nach dem Prinzip „weniger ist mehr“. Ihr Wissen gibt sie auch in Kochkursen weiter. Küchenchef in Altaussee ist der Österreicher Stefan Mühlbacher (Foto unten). Nach Stationen in der heimischen Spitzengastronomie entwickelt er in Zusammenarbeit mit Ärzten und Ernährungsberatern Gerichte für einen ausgeglichenen Säure-Basen-Haushalt. Leider geht aus dem Kochbuch nicht hervor, welcher der beiden Köche der kreative Urheber eines Rezeptes ist.
Moderne Basis der Methode
Zuerst lerne ich viel Theorie über gesunde Ernährung. Dazu gehört auch, dass die Rezepte für eine leichte Verdauung weder Zwiebeln noch Knoblauch enthalten. Schade, denn das sind meine Lieblingszutaten, weil sie für Geschmack sorgen. Auch der richtige Umgang mit Salz wird besprochen, Milchalternativen werden aufgezeigt, und es wird erklärt, welche Öle oder Fette wofür verwendet werden sollten. Dazu gibt es eine lehrreiche Kräuter- und Gewürzkunde.

Dann geht es in den praktischen Teil, zunächst mit Grundlagen wie Gemüsezubereitungen, Ölen, Teigen, Toppings, Saucen, Brühen und Broten. Die Rezepte sind nach Gemüsearten geordnet. Jede wird großformatig auf einer Doppelseite vorgestellt, die gesundheitlichen Aspekte und die Wirkung auf den Körper werden erläutert und die geschmacklichen Unterschiede je nach Zubereitungsart beschrieben.
Den Anfang macht Fenchel. Es folgen Brokkoli, Sellerie, Kohlrabi usw. Zu jedem Gemüse gibt es vier bis fünf Rezepte, meist für Suppen, Aufstriche und andere Gerichte. Sehr ansprechend.
Von der inhaltlichen Ordnung kann man das leider nicht sagen. Die Reihenfolge der Gemüsesorten hat sich mir nicht erschlossen, erst recht nicht bestimmte Zuordnungen. Da steht Linsen-Bolognese mit Zucchini-Pappardelle unter der Rubrik ‚Tomate‘.
Serhan Güven & Dr. Dieter Resch
„Wir hoffen, dass unsere Empfehlungen rund um Gesundheit und Ernährung zu Ihren lebenslangen Begleitern werden. Starten Sie mit der Kraft der pflanzlichen Küche in ein neues Lebensgefühl.“
Auch die Suche nach einem Fisch- oder Fleischrezept gestaltet sich schwierig, da diese im Inhaltsverzeichnis unter den Gemüsesorten aufgeführt werden. Sie gerät zu einer mühseligen Blätterei, da ein abschließendes Register gänzlich fehlt. Da kommt keine Freude auf.
Gehobene Küche mit Leerstellen
Aber vielleicht beim Kochen? Ich beginne hoffnungsvoll mit einer Selleriesuppe mit Apfel-Tatar-Topping. Zunächst sind zwei Gewürze zu kaufen: Schabzigerklee, ein herb-nussiges Kraut, und Bertram, ein mild-scharfes Heilkraut. Das Rezept macht allerdings keine Mengenangabe für die mir unbekannten Würzmittel. Ich taste mich also vorsichtig heran. Die Suppe schmeckt mir solide, die säuerliche Apfelnocke obenauf ist ein angenehmer Kontrast.

Der nächste Versuch, Ofen-Karotten mit Thymianhonig und Ziegengouda mit Galgantpulver, begeisterte dagegen auf Anhieb. Ebenso das Spargelgericht mit zweierlei Süßkartoffeln und Wildkräutersalat: eine leckere Kombination, die zwar etwas zeitaufwendig war, sich aber gelohnt hat. Auch die vegane Moussaka schmeckte sehr gut. Aber auch dieses edle Gericht braucht Zeit, dafür aber keine ausgefallenen Gewürze.
Meine Gewürzschublade ist mit diesem Kochbuch voller geworden. Für mich ist es immer eine interessante Erfahrung, mit unbekannten Kräutern und Gewürzen zu arbeiten. Allerdings hätte ich mir eine Circa-Angabe für die Mengen gewünscht. Mehr geht ja immer. Auch Tipps für deren Alternativen wären hilfreich, denn Camelinaöl, Bertram oder Quendel sind nicht überall erhältlich. Es ist schade, wenn dann daran ein Rezept scheitert.
Ein alternativer Titel für dieses gesunde Kochbuch wäre Kräuter- und Gewürzstars gewesen. Sie machen die Vivamayr-Gemüseküche zu einer raffinierten sowie gehobenen Küche, die schmeckt. Verlegerisch lässt das Kochbuch allerdings einiges zu wünschen übrig. Es fehlen ein Register, Rezeptcredits, Mengenangaben von Kräutern und Gewürzen sowie Zeitangaben – vielleicht, weil man aus der Rezeptsammlung grundsätzlich nichts auf die Schnelle auf den Tisch zaubern kann? Ich hätte mir mehr Empathie für uns Leserinnen gewünscht.
Veröffentlicht im April 2023