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Katharina Höhnk

Kochbuch von Elisabeth Bronfen: Besessen. Meine Kochmemoiren ★★★★★

Besessen. Meine Kochmemoiren
Elisabeth Bronfen
Tom Haller (Autorenfoto)
Pascal Möhlmann (Ölbild Umschlag)
Echtzeit Verlag (2016)

Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.

Isabel Geigenberger

Von

462 Seiten ohne Fotos? Keine Großaufnahme von Karottenpickeln oder Fenchelfalten, kein Vintage-Geschirr auf Oma-Decke, keine sexy Küchenbraut oder wenigstens ein pittoresker Gemüsestand? Kann das was sein? Ja, durchaus, aber nicht für jeden. Für Geisteswissenschaftlerinnen eher als für Illustrationsbedürftige, für Querleser, Neugierige, Reflektierte und Stöberer – aber nicht für Effizienzfetischisten. Ganz und gar nichts für Kalorienzähler oder Superfoodies, aber eine Bereicherung für alle, die sich im unbedingten Bekenntnis zum Genuss vereinen.

Ein Tag ohne Kochen ist ein trauriger Tag

Als ich dieses Buch entdecke, fühle ich mich von seiner textlastigen, dabei hochwertigen und irgendwie altmodischen Gestaltung angesprochen. „Ein Tag ohne Kochen ist ein trauriger Tag“, so lässt sich Frau Bronfen zitieren. Elisabeth Bronfen, die hier ihre „Kochmemoiren“ vorlegt, ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin mit deutsch-amerikanischen Wurzeln und einem weltläufigen Curriculum. Memoiren sind diese Seiten dabei nur am Rande, ihr Lebensweg und ihre Fachgebiete erschließen sich nebenbei.

Kochen ist für Frau Bronfen Alltag auch im akademischen Leben. Das gemeinsame kulinarische Erleben, wenn sie etwa Kollegen zum Essen bittet, erweitert die Intensität und Qualität der Zusammenarbeit. Als Genderforscherin sieht sie dabei auch die Gefahr, als Frau auf die traditionelle Rolle beschränkt zu werden. Amüsiert berichtet sie, wie leicht männliche Kollegen sie für mitgebrachte Kuchen loben, aber denselben die Anerkennung für ihre Publikationen deutlich schwerer von den Lippen kommt. Die Ausübung der Koch- und Backkunst ist eben ein zweischneidiges Schwert für Frauen, die beruflich weiterkommen wollen. Nicht nur in akademischen Kreisen.

Ein Singlehaushalt mit geselligen Runden und durchdachter Vorratshaltung

Frau Bronfen (Foto links) führt einen Singlehaushalt mit regelmäßigen geselligen Runden, dementsprechend ist die Auswahl gestaltet. Sie lässt nur ungern Lebensmittel verkommen, die Zubereitung nicht mehr frischen Obsts und Gemüses liegt ihr ebenso am Herzen wie die Resteküche oder die Rettung vermeintlicher Küchenkatastrophen. Ihre Ratschläge bei Versalzenem, Verbrannten oder Eingesunkenen bringen Rettung, wo alles verloren scheint.

Gegliedert sind Frau Bronfens Kochmemoiren nach Zubereitungsarten: Die kalte Speise, Die Pfanne, Vorrätig, Der Topf, Der Ofen, Köstliche Desaster, Für Sich kochen. Diese Kapitel sind weiter unterteilt, diese Aufteilung wiederum findet man jedoch nur zu Beginn des jeweiligen Kapitels. So wie etwa im Kapitel „Der Ofen“: Geröstet, En Papillote, Unter dem Grill, Gratin und Auflauf, Quiche und Kuchen. Auch sehr hübsch und persönlich die Abteilung „Für sich kochen“: Das gewöhnliche Ei, Vegetarisch, Pasta mit Tomaten, Ein Filet für mehr als einen Abend, Festlich bei sich. Geradezu strukturalistisch nähert sie sich den Rezepten in der Beschreibung des jeweiligen Kochvorgangs, seiner Besonderheiten, seiner Chemie und seiner Bedeutung im Kochalltag. Ihr Ziel ist es, die Idee typischer Speisen aufzuschlüsseln, so dass man durch das Erkennen der notwendigen Regeln zur Freiheit der Variation gelangt.

Ein eigenes Exzerpt erleichtert die Orientierung

Eigentlich hatte ich mir eine gemütliche Lektüre vorgestellt, einmal von vorne bis hinten schmökern, querlesen, dazu googeln und gelegentliches Rezeptemarkieren. In einer Lebensphase des Hausbaus und Umzugs blieb dann aber kaum Muße und gleichzeitig wuchs das schlechte Gewissen. Um wenigstens ein wenig voranzukommen, wollte ich für das mir beim Einkaufen in den Korb gerutschte französische Hühnchen nach dem Register der Hauptzutaten schnell ein Rezept suchen. Das war nicht die richtige Herangehensweise. Zwar fand ich ein Rezept, das mir gefiel und auch die Zutaten waren rasch zur Hand. Die Rezeptbeschreibung selbst ist jedoch eher in einem epischen Stil mit Vor- und Rücksprüngen verfasst, weniger analytisch. Der Fließtext erleichtert das Wiederfinden der aktuellen Stelle nicht, und auch Vor- und Zurückblättern macht in der Hitze des Ofens wenig Spaß. Ich empfehle daher, ein kleines Schritt für Schritt-Exzerpt anzufertigen, samt Zeiten und Temperaturen. So behält man auch bei gelegentlicher Küchenhektik den Überblick.

Frau Bronfen geht pragmatisch vor bei der Wahl ihrer Zutaten. Einerseits pocht sie auf beste Qualität, andererseits bedient sie sich gern fertiger Blätter- und Mürbeteige und verzichtet im Alltag auf die Verwendung von selbst zubereiteten Brühen. Sehr sympathisch und alltagsfreundlich ist ihr genereller Küchenansatz: Nicht die komplexe und auf Show ausgerichtete Restaurantküche ist ihr Ideal, sondern Soul Food mit frohgemutem Einsatz von Sahne und Butter. Dabei entwickelt sie ihre eigene Form von Fusion-Küche – etwa in der Kombination von Sahne und Sojasauce oder ihrer eher italienischen Füllung für asiatischstämmige „Potstickers“ (Teigtäschchen à la Gyoza).

Mit Sahne und Soja zur Fusionsküche – mit Calamansi-Essig, Lavendelsalz und Pistazienöl auf Entdeckungsreise

Meine Nachkocherfahrungen sind rundum positiv, nicht jedes Rezept führt zu Begeisterungsstürmen, doch alle sind gut machbar, harmonisch und laden zum Genuss. Sehr gern stöbert Frau Bronfen auf Reisen auf Märkten nach neuen, unbekannten Zutaten – Teile ihrer Beute finden wir in den Rezepten: Verjus, Furikaka-Rice-Seasoning, Granatapfelmelasse, Lavendelsalz, Calamansi-Essig oder Pistazienöl. Stets gibt Frau Bronfen auch eine Erklärung für die Verwendung und Alternativen. Ich bin einigen ihrer Empfehlungen zu außergewöhnlichen Zutaten gefolgt. So ließ ich mir in einem der „Vom Fass“-Läden, die die Innenstädte bereichern, Portiönchen von Calamansi-Essig und Pistazienöl abfüllen. Dieses Vorgehen kann ich nur empfehlen – so kann man ohne große Investitionen erkunden, ob man die Begeisterung für diese Aromen teilt.

Destillat aus jahrzehntelanger Kochpraxis

Viele Erfahrungswerte und kleine Schätze finden sich in diesen Kochmemoiren, besonders im Kapitel „Vorrätig“. So manches habe ich aus meiner eigenen Erfahrung wiedererkannt. Frau Bronfens Ratschläge sind aus jahrzehntelanger Kochpraxis destilliert – oder den Granden der Kochbuchgeschichte geschuldet. Hier finden wir kein ernährungsphysiologisches Knowhow oder aktuelle Food-Moden. Sondern ein ebenso charmantes, reflektiertes und intelligentes Plädoyer für mehr gelebte Küchenpraxis. Zu Herzen nehme ich mir Frau Bronfens Appell zur mutigen Präsentation der Ergebnisse. Auch wenn das Motto von Julia Childs „Nobody is watching you “ in Zeiten der Kochinseln vielleicht nicht mehr so ganz zutreffend ist, die Grundhaltung ist klar. Die selbstbewusste Präsentation der Speisen ist die halbe Miete. Nur ich selbst weiß, wie das Gericht „eigentlich“ schmecken sollte – und das wollen und sollen die Gäste gar nicht wissen.

Hier lassen wir Elisabeth Bronfen das letzte Wort: „Soll aus Unfällen Schmackhaftes entstehen, ist alles eine Frage der Nerven, der Erfindungslust, aber auch des Elans. Man darf sich nur nie für das, was man in der eigenen Küche zubereitet hat, entschuldigen, weil die anderen ja nicht wissen, wie das Gericht hätte herauskommen sollen… Ist das Gericht missglückt, hat man dieses einfach neu interpretiert.“

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Veröffentlicht im Juni 2017

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