Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
Wenn Eataly ein Kochbuch der „modernen italienischen Küche“ rausbringt, kann es nur den Anspruch haben, ein neues Standardwerk werden zu wollen. Schließlich erobert das Delikatessen-Imperium seit 2007 sukzessive die Foodiewelt. 300 Rezepte – einige von namhaften Chefköchen beigesteuert – machen da erst mal einen sehr guten ersten Eindruck.
Was macht erfolgreiche Formate aus? Sie vermarkten sich gut Und wie schlagen sie daraus noch mehr Kapital? Sie erweitern ihr Produktportfolio. So eindrucksvoll geschehen im letzten Jahr bei Eataly. Die italienischen Gigamärkte mit Gastro-/Getränkestationen und Kochschulen laufen zwischen New York, Dubai und Tokio so gut, dass sich Gründer Oscar Farinetti 2017 einen Traum erfüllt hat: die Eataly World. Sein Disneyland für Foodies wurde am 15. November in Bologna eröffnet. Kostenpunkt: 120 Millionen Euro. Dafür wird zwischen Olivenpressen, (lebenden) sardischen Schafen und Live-Trüffelsuche einiges geboten. Aber ich schweife ab …
Eine zweite Sache, auf die sich Eataly-Fans Ende 2017 sehr gefreut haben – ohne die Italienreise buchen zu müssen –, war das erste Kochbuch auf Deutsch: Eataly: Moderne italienische Küche. Toll aufgemacht in Zusammenarbeit mit dem Phaidon by Edel Verlag, dem Garant für wertiges Design. Und auch inhaltlich macht alles den Eindruck, als wolle man mit dem vorgelegten Buch ein neues Standardwerk etablieren.
Einmal alles auf 568 Seiten
Die Kapitel lassen keine Wünsche offen. Angefangen mit „Antipasti“ und „Suppen“ geht es auf 568 Seiten über zu den Primi piatti mit „frischer Pasta“, „getrockneter Pasta“, „Reis“, „herzhaften Tartes und Pasten“. Es folgen die Secondi piatti „Fisch und Meeresfrüchte“, „Fleisch“, „Gemüse und Hülsenfrüchte“, „Getreide und Pseudo-Getreide“ sowie „Brote, Pizzas, Focaccias und Frittiertes“, „Käse“, „Desserts“, „Torten, Kuchen und Kleingebäck“.
Viele der 300 Gerichte machen sich mit passendem Bild schmackhaft. Außerdem stehen Angaben zu Vorbereitungs- und Garzeiten dabei. Sogar eine Wein- oder Bierempfehlung wird zu jedem Essen ausgesprochen. Dazu kommen häufig Hinweise, wie etwa die Geschichte der Pastasorte „Reginette“, und Tipps, womit man Zutaten ersetzen kann oder wie der Oktopus noch aromatischer schmeckt. (Foto oben: Kaninchen mit Weintrauben & Porcini)
Wer das Dolce Vita weiter vertiefen mag, schmökert zwischen den Rezepten beispielsweise in die „Antipasto Etikette“ rein, lernt auf einer Doppelseite „was Salumi sind“, welche Kriterien bei der „Pasta-Saucen-Beziehung“ Erfolg versprechen oder erweitert sein Wissen zum Thema Mehl. Den Schluss bildet ein beeindruckendes, schön fotografiertes Glossar mit satten 40 Seiten.
Mit dem Buch hat man zu tun. Die zwei Lesebändchen sind sicherlich lieb gemeint. Ich hatte zusätzlich sofort mehr als 20 Post-its im Einsatz, die sich durch alle Kapitel zogen.
Lachs mit Milchmayonnaise, Mozzarella-Millefeuilles und „Ricotta salata“
Das Versprechen, die italienische Küche modern abzubilden, löst Eataly oft ein. Mit einem Schwerpunkt auf Hülsenfrüchte und (Pseudo-)Getreide widmet es dem „Körnertrend“ gleich zwei Kapitel. Gerichte wie Hähnchen mit Weintrauben, Schwarzwurzelrisotto und Petersilienbutter oder gegrillter Lachs mit Milchmayonnaise klingen für mich definitiv nach spannender, leichter Italoküche, zu der sich neu interpretierte Klassiker wie Millefeuilles mit Mozzarella, Tomaten und Pesto gesellen oder Rindercarpaccio mit Artischocken.
Schön finde ich auch den Schritt über die Länderküchengrenze. Eigentlich halten sich die Italiener ja eher bedeckt beim Thema Fusion. Nicht so das Eataly-Buch. Bei der Vollkorn-Focaccia mit Ratatouille, Minze und Ziegenkäse begegnen wir Frankreich, bei den Muffins mit Mortadella, Käsesauce und Balsamico-Würfeln denke ich an die U.S.A.
Bei ein paar Rezepten kann ich den Bezug zu Italien allerdings nicht mehr herstellen. Oder übersehe ich etwas bei den saftigen Frikadellen mit Kartoffelpüree, Quinoa mit Roter Bete oder Crème brûlée mit Ingwer? Auch bei absoluten Klassikern wie Panzanella, Involtini vom Kalb oder Risotto alla Milanese möchte ich unterstellen, dass sie als Lückenfüller in der Sammlung gelandet sind. (Foto oben: Rotes Graupenrisotto mit Gorgonzolasahne)
Wer genau hinliest, muss gelegentlich mitdenken. Allein der Ricotta tritt in vielen Versionen auf – mal aus Kuh-, mal „am besten aus Büffelmilch“. An anderer Stelle ist von gesalzenem, dann von „Ricotta zum Schneiden“ die Rede. Beide Male meint man „Ricotta salata“, den es im Feinkosthandel gibt und der mit der weichen Supermarktversion herzlich wenig zu tun hat. Hier hätte die Übersetzung etwas präziser sein dürfen. Auch an anderer Stelle war Interpretation gefragt. Zu ungenau fand ich „Wurst“ als Zutat. Beim Weiterlesen wurde erst klar, dass es sich um rohe (Brat-)Wurst handeln muss.
Wo Eataly drauf steht, ist Eataly drin. Der italienische Schinken hat mit 300 Rezepten auf zwei Kilo doppelt Gewicht. Und wenn Eataly-Gründer Oscar Farinetti im Vorwort die Frage stellt, wovon ein Kochbuch handeln sollte, „wenn nicht von Genuss und Vergnügen“, muss man sagen: Dieses Versprechen löst das Buch ein. Ausgewogene, gesunde, simple Gerichte, die die Vielfalt seiner Heimat widerspiegeln – nicht zuletzt in allen erdenklichen Kategorien. Nur ob das alles automatisch das Prädikat „modern“ verdient hat, ist Ansichtssache.
Veröffentlicht im Mai 2018