Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Zugegeben, Innereien sind nun nicht der große Renner. Fleisch ist sowieso eher out und alles, was nicht auf den ersten Blick nach Steak oder Braten aussieht, scheint vielen ohnehin verdächtig und wird gemieden. Ja, nicht gerade wenige ekeln sich regelrecht vor ihnen. Aber ist es nicht ein Irrsinn, von geschlachteten Tieren nur einen verschwindend kleinen Teil zu nutzen? Auch die Vorliebe für Filet und sonstige ausgesuchte Leckerbissen ist ein Kritikpunkt, den sich Fleischesser gefallen lassen müssen. Also Leute, bitte nicht die Nase rümpfen, es gibt einiges (wieder) zu entdecken.
Zuerst ein kleiner Exkurs zu einem anderen Buch: Birgit Vanderbeke beginnt ihr äußerst empfehlenswertes Büchlein „Schmeckt’s? – Kochen ohne Tabu“ mit einer Episode aus den achtziger Jahren. In einem Berliner Kinderladen kochen Eltern abwechselnd für ihre Kinder. Die Autorin bereitet Rinderzunge zu, die Kleinen schauen interessiert zu, stellen Fragen: „Hat die Kuh das wirklich im Mund gehabt?“ Streicheln fasziniert die Zunge. Wie war wohl die Reaktion der ersten Mutter, die in diese traute Runde platzt? Richtig geraten: „Iiiih!“ Resultat: die Kinder gingen viel unbefangener mit dem unbekannten Stück Fleisch um als die ach so progressiven Eltern. Eine Generation vorher war das noch anders, waren Innereien fester Bestandteil des Speiseplans nicht nur der armen Leute, die sich nichts Teureres leisten konnten.
Das gar nicht so mysteriöse fünfte Viertel
Doch nun zum vorliegenden Buch (links ein Foto der Autorin Cornelia Schinharl), das gleich mit einem (für Fleischesser) schmucken Titelbild für sich einnimmt. Im Vorwort lernt man, wie es zu dem sonderbaren Begriff Quinto Quarto (fünftes Viertel) kommt. Beim Schlachten wird das Tier nämlich in vier Stücke geteilt, zwei Vorder- und zwei Hinterviertel. Übrig bleiben die Innereien, also das Quinto Quarto, was viele Metzger nur noch in die Tonne werfen. In Rom ist die Vorliebe für diese vernachlässigten Fleischteile noch nicht ausgestorben, vor allem im Stadtteil Testaccio, wo früher der Schlachthof lag. Hier gibt es sie noch, urige Osterien und Menschen, die sich auskennen mit Innereien und die die Tradition ihrer Zubereitung pflegen. Für mich sind die Begegnungen mit ihnen ein schöner stimmiger Einstieg in die Materie. Vergessen werden darf in diesem Zusammenhang nicht die jüdische Küche, in der Innereien eine große Rolle spielen. Allerdings fand ich es unpassend, unmittelbar nach dem Bericht über diese traditionsreiche Küche ein schweinernes Rezept zu platzieren.
Ich muss zugeben, dass ich auch zu denen gehörte, die ein eher ambivalentes Verhältnis zu Innereien haben. Schon in meiner Kindheit kamen sie kaum auf den Tisch, höchstens in Form von gebratener Leber, die ich nicht besonders schätzte. Auch der Umzug nach Süddeutschland, wo Innereien traditionell mehr verankert sind in der Alltagsküche, änderte nicht viel an meinen Vorlieben. Obwohl, das saure Lüngerl war schon etwas Feines. Später dann sorgte meine Begeisterung für mediterrane und französische Lebens- und Kochkunst für eine Erweiterung des Horizonts: Kutteln bekamen einen besonderen Reiz, auch Nierchen in Senfsauce. Doch ich schweife schon wieder ab.
„Quinto Quarto“ orientiert sich in seinem Aufbau an der typisch italienischen Speisenfolge Antipasti, Primi, Secondi, Verdure, also Vorspeisen, erster und zweiter Gang, Gemüse. Dass Dolci ausfallen, dürfte wenig überraschen. Das Kapitel Verdure wohl schon eher, aber was wäre das schönste Stück Fleisch ohne etwas Grünes, noch dazu, wenn es sich um römische Spezialitäten wie ausgebackenen Borretsch, Fava, Artischocken in verschiedenen Zubereitungsweisen, Cime di rapa, Zucchini mit Minze oder Spinat mit Rosinen und Pinienkernen handelt.
Entweder vorbestellen oder in den türkischen Supermarkt
Der Einstieg in den Rezeptteil gerät gleich ziemlich deftig: Kalbskopf in Gemüsevinaigrette, Salat aus Kalbsfüßen, Zunge mit Petersilien-Oliven-Dressing. Dann sieht es für mich so aus, als hätten die Autoren Angst vor der eigenen Courage bekommen. Denn in der Folge kommen viele Rezepte mit Guanciale, also Backenspeck, der „normale“ Fleischesser, die an den hierzulande üblichen Bauchspeck gewöhnt sind, kaum schocken dürfte. Diese Rezepte bilden sozusagen das Einsteigerprogramm für Innereiennovizen. Empfehlenswert für Neulinge sind auch die beiden Ochsenschwanzrezepte und natürlich die in Mode gekommenen diversen Bäckchen.
Neuland für mich waren dann jene Innereien, die besonderes Knowhow erfordern und sich schon im Aussehen vom gewöhnlichen Muskelfleisch unterscheiden, also Herz und Nieren, Leber, Milz, Kutteln, Zunge und das mysteriöse Bries, von dem ich nur vom Hörensagen wusste, das sich aber nach dem ersten Versuch zum absoluten persönlichen Favoriten entwickelte. Um gleich allen, denen es ähnlich geht, die Furcht zu nehmen: nichts ist kompliziert, nichts eklig. Meist muss man nur irgendwelche Sehnen oder Fettstreifen wegschneiden, was mit einem guten Messer schnell geschehen ist. Schwierig ist nur die Beschaffung, auch weil Innereien immer frisch zubereitet werden müssen. Also heißt es in den meisten Fällen, beim Metzger seines Vertrauens vorbestellen. Oder zum türkischen Supermarkt gehen, wo es zumindest Lamm- und Kalbsinnereien in größerer Auswahl geben sollte.
Bedauert habe ich, dass zu Lunge und Hirn keine Rezepte zu finden sind. Ansonsten hat mich das schön gestaltete und mit stimmungsvollen Fotos geschmückte Buch begeistert samt den vielen interessanten Rezepten, die ihre Italianità nicht verleugnen können. Ich hoffe, dass dieser mediterrane Touch den einen oder die andere bewegen kann, diesem Kapitel unserer Kochtradition, das droht in Vergessenheit zu geraten, aufgeschlossener zu begegnen. Es lohnt sich!
Veröffentlicht im Oktober 2016
Scheint für mich ein tolles Buch zu sein, denn ich bin mit Innereien aufgewachsen. Wann immer mein Vater etwas erlegt hatte und Teile davon in unserer Küche zubereitet wurden, war ich immer nur scharf auf die für mich wohlschmeckenden „Kleinigkeiten“, wie Leberchen, Nierchen usw. Bei Kutteln geht mir das Herz auf. Auf meinen ersten Italien-Reisen wurde ich bei Kuttelbestellungen immer gefragt, ob ich auch wüsste, was das sei. Wenn ich sie dann mit Genuss verspeiste, wurde ich oft beäugt. Dann aber war ich die „Königin“…
Thea, das wäre der Beginn einer Geschichte: „Bei Kutteln geht mir das Herz auf.“ Wow.
Hast Du hier in Berlin einen Metzger des Vertrauens, bei dem Kutteln beziehst?