Drei Sterne: Hat Stärken, aber überzeugt nicht ganz.
Schon die Collage auf dem Cover verkündet die Reise, um die es in dem Kochbuch geht: Zwischen grünen Spargelstangen und Maiskolben staunt eine Französin, lacht eine Sambatänzerin und übt ein Tai-Chi-Meister. Das „Atlas Cookbook“ lädt ein, die Welt in 80 Rezepten zu erkunden.
Sein Autor ist Charlie Carrington. Er stammt aus Melbourne, Australien und ist Gastronom und Koch. Mit 16 habe er die Schule abgebrochen und sei seiner Berufung gefolgt, schreibt er eingangs. Seine erste weite Reise führte ihn nach London als Praktikant bei Gordon Ramsay. Zurück in der Heimat habe er weiter an seinem Traum gearbeitet, einem eigenen Restaurant. Zuvor noch ging er aber auf eine achtmonatige Weltreise, um die Küchen der Welt vor Ort zu erleben. Denn genau die sollten das Thema seines Restaurants werden.

Carringtons Tour führte von Nord- nach Südamerika, Europa und Asien. Er speiste in edlen Lokalen und einfachen Spelunken, machte sich die Hände schmutzig beim Arbeiten in diversen Restaurantküchen, so schreibt er. Im September 2016 war es dann so weit: Der damals 23-Jährige eröffnete in seiner Heimatstadt das „Atlas Dining“.
Der Koch, der sich nicht festlegen will
In seinem Restaurant wechselt er dreimal im Jahr das Menü vollständig, mal gibt es nur koreanisch, dann wird der mexikanischen Küche gehuldigt und ein anderes Mal die Levante kulinarisch bereist.
Sein Buch hat Carrington ebenfalls nach Kontinenten gegliedert: Von Südamerika, wo wir Gerichte aus Kolumbien, Argentinien, Peru, Brasilien und Bolivien kennenlernen, geht es über den Nahen Osten (Türkei, Syrien, Libanon, Irak und Israel) nach Europa (Griechenland, Portugal, Spanien, Italien, Frankreich) und schließlich nach Asien (Thailand, China, Indonesien, Vietnam und Kambodscha).
Zu jedem Land gibt es eine kurze zweiseitige Einführung inkl. Stimmungsfotos, einigen geografischen Angaben und wichtigen Zutaten der jeweiligen Landesküche. Mit dem Kochbuch in den Händen folge ich Carrington auf dieser Reise. Da ich nur noch Post-its einpacken muss, bin ich sofort startklar.
Kreativ mit Schwerpunkt auf Salaten
Nach einer ersten Tour durchs Buch bin ich einige Post-its los. Mich überrascht die Bandbreite der Rezepte, die mal sehr einfach anmuten wie etwa der Kartoffel-Rucola-Salat mit Orangen (Argentinien), der aus nicht viel mehr wie den namensgebenden Zutaten besteht, neben Gerichten wie Rührei mit Krebsfleisch auf Polenta (Brasilien), Schweinebauch, der 10 Stunden im Ofen gart (Kolumbien), oder ganzem Sepia mit Früchte-Sambal und Tintenfischsauce (Indonesien).
Die Gerichte sind äußerst attraktiv fotografiert und lassen erkennen, dass der Urheber eindeutig ein Händchen fürs kreative Präsentieren hat, ob Brokkoli-Tabouleh, der in Form eines Brokkoli auf dem Teller angerichtet wird, oder Brathähnchen mit Fatteh, einer Kichererbsen-Tahini-Speise aus dem Libanon, für die Carrington die Tahini-Kichererbsen und den Kräuter-Gewürz-Joghurt getrennt anrichtet.

Beim Planen des Nachkochens stoße ich dann jedoch auf Probleme. Viele der Gerichte sind letztlich Salate oder kleine Speisen, die sich auf einem Buffet gut machen würden, aber nicht unbedingt als alleinige Mahlzeit zum Sattessen für uns. Dieser Eindruck wird unterstrichen, da Carrington dafür sogar Vorschläge bietet: für Südamerika etwa ein Grillfest, für den Nahen Osten eine Mezzetafel oder für Asien ein „Faules Wochenende“, das so faul nicht werden dürfte, wenn man aus den Empfehlungen wie vorgeschlagen 5 Speisen auswählt und zubereitet.
Wie planen, wenn keine Party ansteht?
In Pandemiezeiten ist leider nicht an gesellige Gelage mit Freunden und Familie zu denken. Ich picke mir also Gerichte zum Nachkochen heraus, die ich gut kombinieren kann. Zum Zucchini-Rucola-Salat mit Trockenfrüchten etwa, einem Vertreter der irakischen Küche, servieren wir Hummus, Couscous und scharfe Sriracha-Sauce, eine Fusion, die wunderbar harmoniert. Da der Salat sehr üppig bemessen ist, essen wir zu dritt zweimal davon.
Hingegen nicht ganz so glücklich war die Idee, den Reissalat mit Amba und (veganem) Feta als alleinige Mahlzeit zu servieren (ebenfalls aus dem Irak). Der Reis, der mich optisch ein wenig an indisches Biryani erinnerte, wird von einer selbst zubereiteten Gewürzmischung – Amba –, mitgekochten Rosinen und zerkrümeltem Feta getragen. Das war dann in der Summe nicht überzeugend und wir hatten zudem das Gefühl, nur eine Beilage zu essen. Die Einleitung des Rezeptes gibt keinen Aufschluss darüber, ob das Gericht im Irak als „stand alone“-Gericht oder leckere Nebensache serviert wird. Sehr merkwürdig: Der Reis wird ohne Salz gekocht und erst später mit Salz abgeschmeckt – ein Experiment, das ich nicht wiederholen werde.
Charlie Carrington
„Ich hatte das Glück, 46 Länder kennenzulernen. Jedes einzelne hat mir gezeigt, wie herrlich die Welt ist, in der wir leben, und dass wir über das Essen Kontakte zu anderen knüpfen können.“
Nicht wirklich durchgegart war auch das Rezept für die Salatschiffchen mit Hähnchenfleisch und scharfen Kräutern (Bolivien). Dafür müssen die Hähnchenkeulen nach dem Backen vom Knochen geschnitten werden. Das dauert dann insgesamt doch so lange, dass das Fleisch bis zum Servieren fast völlig ausgekühlt ist.
Doch nicht nur das kulinarische Erlebnis blieb hinter meiner Erwartung zurück, sondern auch das erzählerische – mit jedem Rezept werden die Leerstellen des Buches deutlicher, das doch von der Welt und einer Reise erzählen will: Was sind die Geschichten der Gerichte, wo hat der Autor die Rezepte entdeckt und was ist darüber kulturell zu erzählen? So offenbarte es sich für mich immer mehr als wilde Aneinanderreihung frei von einem roten Faden.
Das „Atlas Cookbook“ versammelt eine breite Vielzahl an Rezepten, die zwar durchaus die Welt repräsentieren, aber einseitig im Hinblick auf die Auswahl sind: Salate und kleine Speisen sind im Übergewicht. Damit lässt sich leben, wenn sie auf der Gabel überzeugen würden. Aber nicht jedes machte mich glücklich. Der Anspielung auf den Klassiker „Reise um die Erde in 80 Tagen“ von Jules Vernes wird der Kochbuchautor mit seiner Idee vielleicht, aber weniger mit seiner Auswarbeitung gerecht.
Veröffentlicht im Juli 2021