Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Das, was (gute) Kochbücher eigentlich schon von jeher machen, bekommt in diesen Tagen der Pandemie eine ganz neue Qualität: Sie nehmen uns mit auf eine sinnlich erfahrbare Reise. Cettina Vicenzinos Herz schlägt für Sizilien. Ihr dorthin zu folgen, ist eine Freude – mit Anlauf.
Cettina Vicenzino ist eine mehrfach ausgezeichnete Kochbuchautorin und -fotografin. Viele ihrer Rezeptsammlungen haben wir bereits vorgestellt. Geboren auf Sizilien, wuchs sie in Köln auf, wo ihre Eltern ein italienisches Restaurant führten. Später studierte sie Mode und Kunst an der HAW Hamburg. Die Verbundenheit zur Küche der Insel südwestlich der Stiefelspitze blieb. Für dieses Kochbuch bereiste sie Sizilien einmal neu, um sich einerseits auf kulinarische Spurensuche zu begeben, aber auch um ein gegenwärtiges Bild der Küche zu entwerfen. In „Sizilien in meiner Küche“ geht es um die Geschichte der Insel, kulinarische Traditionen der Küche und die Menschen heute, die sie lebendig halten und kreativ fortentwickeln.
Patate fritte in Meerwasser gekocht
Klassisch dagegen ist das Buch strukturiert. Die Gerichte werden nach Primi, Secondi, Piatto Unico, Intermezzi, Dolci und Bevande unterteilt. Ich lerne außerdem: Den klassischen Antipasti-Gang gab es auf Sizilien nicht wirklich, er war im heutigen Sinne eher eine Beilage, aber manchmal auch der einzige Teller.
Nach dem optischen Genuss folgt mein Weg in die Küche. Was soll ich als Erstes aus dem Buch kochen? So vieles klingt speziell: die Knoblauchzehen aus Nubia, schwarze Pasta, aber am besten Trafilata in bronzo, Auberginen, aber am besten Nera di Palermo oder eine Sorte aus dem eigenen Garten… Und die Patate fritte sollen doch tatsächlich in Meerwasser gekocht werden? Ein schneller Zugang bleibt mir verwehrt. Das liegt nicht nur an den handverlesenen Produkten, sondern auch an meiner Erwartungshaltung.
Cucina dei Monsù
Denn bei der Auswahl des Kochbuchs war mir zunächst nicht klar, dass die sizilianische Küche so anders ist – eben nicht „typisch italienisch“. Woher dieser Reichtum an Akzenten und Einflüssen kommt, erklärt die Autorin: Prägend für die sizilianische Küche sei neben der bekannten Cucina povera (die Küche der armen Leute) auch die Cibo di strada, die typische palermitanische Streetfoodkultur, aber auch die Cucina dei Monsù, lese ich. Monsù leite sich vom französischen Monsieur ab, so wurden die Küchenchefs im 17./18. Jahrhundert genannt, erklärt Vicenzino. Diese Küche sei die Verschmelzung der französischen mit der italienischen Küche und daher eher aristokratisch geprägt. Das Rezept „Timballo del Gattopardo“ in Anlehnung an den Sizilien-Roman „Der Leopard“ von Giuseppe Tomasi di Lampedusa über den Fürsten Salina ist dafür ein Beispiel. Aber schließlich hat auch die wechselhafte Geschichte durch Eroberungen Ausprägungen in der Küche hinterlassen.
Der Anfang gelingt mir dann doch. Ausgerechnet eine Kiste Blutorangen – direkt aus Sizilien! – hilft mir dabei. Ich starte also mit dem Orangensalat mit Pecorino und schwarzen Oliven. Zwar kann ich keinen Pecorino siciliano auftreiben, nehme dann aber einfach einen anderen. Das tut dem Geschmack keinen Abbruch. Ein toller Salat, mit dem Mandarinendressing und frischem Oregano ein echtes Gedicht.
Das Eis ist plötzlich gebrochen: Nun improvisiere ich einfach, wo ich die Originalzutaten nicht beschaffen kann. Die Erdbeergranita funktioniert zum Beispiel auch mit TK-Früchten. Das hätte ich nicht gedacht. Ich stelle fest: Jedes der nachgekochten Gerichte ist richtig gut, manche sind herausragend. Der Anleitungen zur Zubereitung sind dabei einfach und die Gerichte gelingen mühelos.
Anmut und Kostbarkeiten
Zunehmend nimmt mich das Buch für sich ein. Die Autorin bringt mir diesen herrlichen Fleckchen Erde tatsächlich näher – auch dank der Fotos der Insel. Sonnenreiche Momentaufnahmen wechseln ab mit atmosphärischen Foodfotos, die stilistisch völlig eigen sind. Cettina Vicenzino verzichtet dabei auf typisch rustikalen Italo-Charme, sondern setzt eher auf geradezu kostbar inszenierte Speisen etwa auf historisch-weißem Tischleinen, das eingerahmt wird von schattigem Schwarz, das an die dortigen kühlen Steinhäuser anknüpft.
Einnehmend ist auch, dass Vicenzino stets versucht, die Rezepte historisch oder lokal zu verorten. So lese ich, dass die weiße sizilianische Focaccia von den Nonnen des Klosters San Vito erfunden wurde, oder dass die pikant-süße St.-Bernardo-Sauce antiken Ursprungs ist. Vicenzino verbindet so die kulinarische Geschichte mit der Gegenwart und transferiert die Gerichte ins Jetzt. Das wirkt fundiert, aber nie verstaubt und vor allem immer lecker. Auch wenn die Autorin von den Produkten ihrer Heimat schwärmt: dem Ziegenkäse, den Kapern oder Mandeln und natürlich dem sizilianischen Wein …, und auch von den Köchen und Produzenten, die alte Techniken und Produkte wiederbeleben. Sogar die Pommes in Meerwasser machen bei näherer Betrachtung Sinn: Süßwasser ist auf Sizilien ein seltenes Gut, daher kochte man früher häufig mit Meerwasser, dessen Qualitäten heute u. a. wegen des hohen Mineralgehalts wiederentdeckt werden.
Die Herausforderung bei Kochbüchern zur Länderküche besteht immer in der Verfügbarkeit der entsprechenden Ingredienzien. Wie müssen Cettina Vicenzinos Rezepte also erst auf Sizilien schmecken, wo alles doch auch hier schon so köstlich war? Mit den über das Buch verteilten Bezügen zu Land und Leuten ist ihr ein tolles Buch zur Küche Siziliens gelungen. Mit historisch verwurzelten Rezepten, die nachkochbar und köstlich sind. Die perfekte Lektüre, um sich (kulinarisch) auf eine Sizilienreise einzustimmen oder einfach in Fernweh zu schwelgen.
Veröffentlicht im Juni 2020